„Ich habe Leute Freudentränen weinen sehen“
BAP geht auf Zeitreise und spielt unter anderem in Trier zwei Album-Klassiker in voller Länge. Im Interview mit dem Trierischen Volksfreund spricht Wolfgang Niedecken über besondere Erinnerungen, seine Liebe zu Dylan, die ihn im Juni auch nach Saarburg fü
Persönlich geht's ihm hervorragend, sagt Wolfgang Niedecken im Telefonat mit dem Volksfreund, „auch wenn die weltpolitische Lage alles andere als berauschend ist“. Der Terminkalender des BAP-Frontmanns ist vollgepackt. Mit dem erfolgreichen Bob-Dylan-Programm ist der 73-Jährige noch mal gemeinsam mit Pianist Mike Herting unterwegs, sie treten auch am 27. Juni in Saarburg auf.
Das sei ein Glücksfall gewesen, damals in Corona-Zeiten, wo an große Hallen-Touren mit BAP nicht zu denken war. Da hatte er endlich Zeit und Muße gefunden, ein Buch über Bob Dylan zu schreiben, seine große Inspiration. Dann zum 80. Geburtstag
von Dylan eine Show in der Elbphilharmonie – und da ging es erst richtig los. „Wir haben fast 100 Konzerte gespielt – und es kommen immer noch Anfragen. Das macht nach wie vor Spaß“, erzählt Niedecken.
Und weil es mit Herting so gut harmoniert, wird es auch 2025 ein neues Programm in Zweierbesetzung geben, „mit Songs und Geschichten aus meinem Leben“. Aber das ist erst mal Zukunftsmusik und -prosa. Denn zuvor steht im Herbst eine große Tour an, die bereits jetzt auf Rekordkurs ist.
BAP spielt auf der Arena-Tour die Erfolgsalben „Für Usszeschnigge!“(1981) und „Vun drinne noh drusse“(1982) erstmals in voller Länge. Da wird für viele Fans ein Traum wahr. So kam es dazu: Es sei „eigentlich eine völlig logische Angelegenheit“, die ursprünglich mit dem noch aktuellen Album „Alles fließt“von 2020 zu tun hatte, berichtet Niedecken.
Wegen Pandemie-Auflagen konnte die Tour nicht wie geplant über die Bühne gehen, sie musste um ein Jahr verschoben werden. „Wir wollten aber möglichst viele Songs vom Allesfließt-Album spielen, denn wenn du ein Album hast, auf das du stolz bist und du kannst es nicht vor Publikum spielen, dann ist das furchtbar“, sagt er. „Aber wenn man weiß, dass 30 Positionen bei einem BAP-Konzert zur Verfügung stehen und davon sind zehn schon mit neuen Stücken belegt, dann bedeutet das auch: Man muss sich darum kümmern, dass die anderen Stücke wirklich alle bekannt sind.“
Da sei schnell klar gewesen, dass es Stücke aus den frühen 80ern sein
müssten. Einige der Songs gehören seit Jahrzehnten zum Live-Repertoire – andere wurden aber lange, beziehungsweise noch nie gespielt. Und da wird's besonders spannend. Niedecken: „Es war ein tolles Erlebnis zu sehen, wie die Leute auf die Songs reagiert haben, beispielsweise Zehnter Juni` oder ‚Wenn et Bedde sich lohne däät`. Da habe ich im Publikum Leute Freudentränen weinen sehen – die haben sich so gefreut, dass wir das endlich noch mal spielen. Im Lauf der Tournee kam die Idee immer näher: Wir müssen einmal eine Tour spielen, wo wir nur die Songs spielen, die definitiv älter als 40 Jahre sind.“
Sie feilten am Konzept – und noch bevor die „Zeitreise“so richtig losgeht, steht erst mal ein Rekord: Das im Dezember 2023 bei Vorab-Auftritten in den Kölner Sartory-Sälen aufgenommene Live-Album ist bereits das 13. Nummer-eins-Album von BAP in den deutschen Charts. Das kann keine andere Band toppen.
Die „Zeitreise“kickte nach Veröffentlichung Ende April übrigens das neu erschienene Album von Taylor Swift von der Spitze. „Normalerweise nimmt man ein Livealbum erst während der Tour auf“, sagt Niedecken: „Wir haben es andersrum gemacht.“Das Interesse an den Shows in Köln war riesig. „Dass wir so schnell eine Tour ausverkaufen, das haben wir seit den frühen 80ern nicht mehr erlebt. Die vier Gigs im Sartory haben wir innerhalb von drei Stunden ausverkauft.
Das war ein deutliches Signal. Wir freuen uns total, alle scharren in den Startlöchern.“Es war kein Zufall, dass
es in die Sartory-Säle ging, schon früher eine besondere Konzert-Location für die Kölsch-Rocker um Wolfgang Niedecken: „Ich hatte immer ein bisschen Angst, in die große Sporthalle zu gehen. Ich hatte das Gefühl, wenn ich das Weiße in den Augen der Leute nicht mehr sehe, dann bekomme ich die Magie nicht mehr rüber.“
Aber auch das klappte. Und wenn es im November auf große Hallentour geht, wird es auch voll, für viele Fans bestimmt auch magisch und sehr emotional – das ist jetzt schon klar. So ist das Konzert am 16. November in der SWT-Arena Trier längst ausverkauft, auch die Show am Tag zuvor in Koblenz. Tickets gibt es aber noch für den Auftritt am 8. Dezember in St. Vith ( Triangel).
Mal ein Gedankenspiel, wenn Sie schon auf Zeitreise gehen: Wenn sich der Wolfgang Niedecken von 1981/82 mit dem von heute treffen würde – wie würden die sich verstehen? Alles prima oder gäbe es da Diskussionen?
„Hier und da hätten wir Meinungsverschiedenheiten“, antwortet Niedecken. „Damals war ich komplett gegen den Nato-Doppelbeschluss. Mittlerweile würde ich aber sagen, dass Helmut Schmidt recht hatte. Das kann man auch ruhig zugeben, da vergebe ich mir nichts bei. Das atomare Gleichgewicht hat funktioniert.“
Und, mit Blick aufs Heute: „Hätte die Ukraine nicht nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf Atomwaffen verzichtet, wäre Putin nie dort einmarschiert. Das ist eine bittere Erkenntnis, aber davor kann
man sich nicht drücken. Ich denke, es ist absolut in Ordnung, wenn man über einen Zeitraum von 40 Jahren eine Meinung revidiert.“
Wolfgang Niedecken über selten (oder auch fast nie) gespielte Songs aus den frühen 80ern, die nun auf dem Programm stehen. Koot vüür Aach
(für Nicht-Kölner: Kurz vor Acht). Im letzten Song auf „Vun drinne noh drusse“reflektiert Niedecken über seine Gefühlslage kurz vor dem Auftritt. „Ich habe mittlerweile sehr viel Routine, aber ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, warum ich das Stück damals geschrieben habe.“Warum der Song, mit dem nun die Zeitreise beginnt, zuvor nie live zu hören war? „Es wäre damals nicht gegangen, das als erstes Stück zu spielen. Wenn wir damals einen Gig hatten, musste es direkt mit einem Brecher losgehen, damit die Leute direkt in Fahrt kommen. Wir hätten es damals nicht gewagt, mit so einer leisen Ballade anzufangen. Jetzt haben wir es endlich gewagt – und das war sehr schön.“
Nit für Kooche (in etwa: Nicht mal für Kuchen): Niedeckens damalige Abrechnung mit dem Karneval in Köln wurde nur sporadisch bei Konzerten gespielt. Wie er den Song heute noch so schreiben würde? „Das war damals nötig. Der Karneval war damals ziemlich verspießert, sehr vereinsmeierisch. Durch den Einfluss der Stunksitzung ab 1984 ist einiges in Bewegung gekommen.“Es gehe aber zum Teil wieder in eine schlechte Richtung – „man hat teilweise auch den Ballermann-Karneval mit den Besäufnissen, wo Karneval nur den Grund liefern soll, sich maßlos zu besaufen. Das hat mit Karneval nicht viel zu tun. Es hat sich aber viel geändert. Ich bin da auch toleranter geworden – lasst die Leute doch feiern, ich muss da ja nicht mitmachen.“
Er flüchte an Karneval auch nicht mehr – denn da wird er in Köln gebraucht: Zwangsläufig bleibe ich an Karneval in Köln, weil meine Frau gerne mit Freundinnen auf Veranstaltungen geht, wo getanzt wird. Auch meine Töchter, die mittlerweile in Berlin leben, fanden das prima. Ich habe also in die Regel die Damen hingefahren, wo sie feiern wollten und habe sie dann wieder abgeholt. Ich war an Karneval das Papa-Taxi, aber alles gut!“
Ein alter BAP-Klassiker ist auch „Wahnsinn“, die Kölschrock-Version des Troggs-Hits „Wild Thing“, der auch auf dem Live-Album zu hören ist. Bei früheren Live-Auftritten trug Niedecken dazu regelmäßig eine Lederweste, die ihm dann mal in Trier geklaut wurde – und die er bei einem späteren Konzert zurückerhielt. „Ich erinnere mich dunkel, da war was. Ein Fan hatte sie mir schließlich reumütig zurückgebracht. Das war so eine merkwürdige Lederkutte, mit Stickern drauf und hinten dem Union Jack, so pseudo-punkmäßig. Die Weste habe ich nicht mehr, aber es gibt Live-Fotos davon.“