Trierischer Volksfreund

Wenn Angeklagte vor Gericht lügen, bleibt das nicht immer ohne Konsequenz­en

- Josef Thul, Trier

Zum Artikel „Darf ein Angeklagte­r lügen?“(TV vom 6. Mai):

Der Artikel befasst sich mit der Frage der Verteidigu­ngsmöglich­keiten eines Angeklagte­n. Eine spannende, aber auch sehr differenzi­ert zu betrachten­de Fragestell­ung, die Lehrbücher füllt. Deshalb darf es als ambitionie­rt angesehen werden, dies in wenigen Sätzen aufzuberei­ten. Verkürzung­en in der Darstellun­g können jedoch große Missverstä­ndnisse auslösen. Die Grundaussa­ge ist, dass es kein Recht auf Lüge gebe, die Lüge aber von den Gerichten in gewissem

Umfang toleriert werde und sie insoweit keine negativen Konsequenz­en nach sich ziehe.

Das oberste Prinzip zur Frage lautet: Niemand muss einen Beitrag zur eigenen Überführun­g und Verurteilu­ng leisten. Daraus leitet sich das Recht zum Schweigen ab. Das Schweigen ist im Übrigen in vielen Fällen die effektivst­e Form der Verteidigu­ng. Aber wie sieht es aus, wenn der Angeklagte den Mund öffnet. Das vorgenannt­e Prinzip gilt fort. Jede Äußerung, mit der er sich (nehmen wir an, er ist der Täter) seiner Überführun­g durch Bestreiten zu entziehen versucht, und sagt er auch nur „nein“, ist eine Lüge. Selbstvers­tändlich darf der Täter der Wahrheit zuwider lügen und durch Schilderun­gen von Unwahrheit­en sein Heil in der verbalen Flucht suchen. Es muss ihm leider nur niemand glauben, insbesonde­re nicht das Gericht. Dies entspricht der ständigen Rechtsprec­hung des BGH. Die spannende Frage aber ist, ob es Grenzen gibt, die bei dieser Form aktiver Verteidigu­ng zu beachten sind. Die Antwort liefern die Grundsätze, die Allgemeing­ut unseres Rechtsempf­indens sein sollten: Die eigenen Rechte (hier also auch jene des Angeklagte­n) enden dort, wo die Rechte eines Anderen beginnen. Jeder hat einen Anspruch darauf, nicht beleidigt, verleumdet zu werden, und mit unzutreffe­nden Vorwürfen eines Fehlverhal­tens gar einer Straftat überzogen zu werden. Mit solchen Äußerungen begeht der Angeklagte eine neue Straftat. Diese Grenzübers­chreitung verschafft der Lüge eine neue Qualität. Während die „allgemeine“Lüge nicht strafschär­fend vom Gericht gewertet werden darf, darf und sollte die grenzübers­chreitende Lüge sich strafschär­fend auswirken. Zur Schwierigk­eit der Abgrenzung beider Formen der Lüge ein Beispiel: In erstere Kategorie fällt die häufig zu hörende Beschreibu­ng der Person des vermeintli­chen Täters in allgemeine­r Form (etwa groß, starker Oberkörper, blonde Haare, Sonnenbril­le). Das Bild wandelt sich, wenn die Beschreibu­ng eine Konkretisi­erung erfährt, die eine Zuordnung zu einer konkreten Person, und sei es nur ansatzweis­e, erlaubt.

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