Wenn Angeklagte vor Gericht lügen, bleibt das nicht immer ohne Konsequenzen
Zum Artikel „Darf ein Angeklagter lügen?“(TV vom 6. Mai):
Der Artikel befasst sich mit der Frage der Verteidigungsmöglichkeiten eines Angeklagten. Eine spannende, aber auch sehr differenziert zu betrachtende Fragestellung, die Lehrbücher füllt. Deshalb darf es als ambitioniert angesehen werden, dies in wenigen Sätzen aufzubereiten. Verkürzungen in der Darstellung können jedoch große Missverständnisse auslösen. Die Grundaussage ist, dass es kein Recht auf Lüge gebe, die Lüge aber von den Gerichten in gewissem
Umfang toleriert werde und sie insoweit keine negativen Konsequenzen nach sich ziehe.
Das oberste Prinzip zur Frage lautet: Niemand muss einen Beitrag zur eigenen Überführung und Verurteilung leisten. Daraus leitet sich das Recht zum Schweigen ab. Das Schweigen ist im Übrigen in vielen Fällen die effektivste Form der Verteidigung. Aber wie sieht es aus, wenn der Angeklagte den Mund öffnet. Das vorgenannte Prinzip gilt fort. Jede Äußerung, mit der er sich (nehmen wir an, er ist der Täter) seiner Überführung durch Bestreiten zu entziehen versucht, und sagt er auch nur „nein“, ist eine Lüge. Selbstverständlich darf der Täter der Wahrheit zuwider lügen und durch Schilderungen von Unwahrheiten sein Heil in der verbalen Flucht suchen. Es muss ihm leider nur niemand glauben, insbesondere nicht das Gericht. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH. Die spannende Frage aber ist, ob es Grenzen gibt, die bei dieser Form aktiver Verteidigung zu beachten sind. Die Antwort liefern die Grundsätze, die Allgemeingut unseres Rechtsempfindens sein sollten: Die eigenen Rechte (hier also auch jene des Angeklagten) enden dort, wo die Rechte eines Anderen beginnen. Jeder hat einen Anspruch darauf, nicht beleidigt, verleumdet zu werden, und mit unzutreffenden Vorwürfen eines Fehlverhaltens gar einer Straftat überzogen zu werden. Mit solchen Äußerungen begeht der Angeklagte eine neue Straftat. Diese Grenzüberschreitung verschafft der Lüge eine neue Qualität. Während die „allgemeine“Lüge nicht strafschärfend vom Gericht gewertet werden darf, darf und sollte die grenzüberschreitende Lüge sich strafschärfend auswirken. Zur Schwierigkeit der Abgrenzung beider Formen der Lüge ein Beispiel: In erstere Kategorie fällt die häufig zu hörende Beschreibung der Person des vermeintlichen Täters in allgemeiner Form (etwa groß, starker Oberkörper, blonde Haare, Sonnenbrille). Das Bild wandelt sich, wenn die Beschreibung eine Konkretisierung erfährt, die eine Zuordnung zu einer konkreten Person, und sei es nur ansatzweise, erlaubt.