Der neue Trierer Westen ist wahrhaft aufregend
Millionen von Euro werden aktuell in dieses Viertel gesteckt: Nun zeigt ein außergewöhnliches Kunstprojekt die noch unentdeckten Seiten von Trier-West. Was der Stadtteil mit Paris und Verdun gemeinsam hat.
Trier-West befindet sich im Aufbruch. Nachdem der Stadtteil lange als sozialer Brennpunkt Triers galt, werden mittlerweile Millionen in neue schicke Viertel investiert. Grund genug für den Kultur- und Kunstverein Trier, diese Entwicklung in einem soziokulturellen Projekt näher zu beleuchten und zu hinterfragen.
Entstanden ist ein außergewöhnliches Kunstprojekt unter dem Titel „Im Westen viel Neues – der Trierer Westen“, das am Wochenende rund um die Europäische Kunstakademie im Rahmen des Kultursommers Rheinland-Pfalz gezeigt wurde. Spannende und noch nicht entdeckte Seiten dieses sich wandelnden Stadtteils wurden als multimediales Event präsentiert.
Im Hintergrund läuft als Bühnenbild ein Stummfilm, gezeigt werden Szenen aus Trier-West. Die theatrale Aufführung mit Film wird unterbrochen von fiktiven Figuren, die nacheinander als Live-Protagonisten auftauchen und unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist beispielsweise die ältere Frau, die sich mühsam zum Einkaufen über die Behelfsbrücke bewegt. Oder ein Typ mit Kettensäge, der im Trierer Westen am liebsten alles abreißen will. Einer abgedrehten und gleichzeitig verkaufstüchtigen Esoterikerin ist alles heilig, eine junge Unternehmerin träumt davon, ihr Start-Up hier zu eröffnen.
Dann ist da noch die schwarze Deutsche, die hier lebt und ein ausgesprochen gewähltes Deutsch spricht, Deutscher denkt als viele Deutsche. Nicht zu vergessen die Nonne, die die Himmelsleiter zur „Säulenmarie“aufsteigt. Sie alle vergegenwärtigen den neuen Trierer Westen, der ambivalenter nicht sei kann. Denn wer kennt ihn wirklich so genau?
Lange war Trier-West behaftet mit dem Image einer Bronx, geprägt von
Kasernen, Industrie und Armut. Der Stadtteil machte medial höchstens mal auf sich aufmerksam mit trivialen Fernsehshows wie „Hartz und herzlich“bei RTL 2 oder wenn es mal wieder Zoff im Nachtleben gab. Doch jetzt ist der mittlerweile angesagte Stadtteil stark im Wandel, verändert sich rapide. Zurzeit entstehen Hunderte neuer Wohnungen – sowohl Luxus- als auch Sozialwohnungen. Gut situiert und arm Seite an Seite – geht das?
Sogar der versteckte Irrbach soll im Rahmen der Weiterentwicklung wieder freigelegt werden, sodass in Triers Westen ein neues Grüngelände unterhalb des Lenus-Mars-Tempel entsteht. Und „es gibt auch heute leider noch Straßenzüge und Ecken, zum Glück nicht mehr so zahlreich, die in einem untragbaren Zustand sind. Dort haben wir Szenenfotos gemacht für unser Projekt“, sagt Rainer Breuer. Gemeinsam mit Monika Wender ist er verantwortlich für die Produktion des soziokulturellen Projektes „Der Trierer Westen“, das am Wochenende zwischen Römerbrücke und Skaterhalle Kunst und Kultur zum Anfassen präsentierte. Performances
und künstlerische Aktionen sowie die oben beschriebene Filmaktion wurden auf dem Freigelände und in den Innenräumen der Europäischen Kunstakademie mit KünstlerInnen aus dem Westen von Trier, Europa und Afrika gezeigt.
Veranstalter war KUKT – Kulturund Kunstverein Trier in Kooperation mit Frosch Kultur und PulpXIX. Drehund Angelpunkt der Veranstaltung war die Europäische Kunstakademie (EKA), seit 30 Jahren das kulturelle Zentrum der Bildenden Kunst in Trier. Der zweistündige Rundgang (insgesamt sechs) startete in der Kunsthalle der EKA mit einer kurzen Reminiszenz an die laufende Ausstellung ( Thirties mit Künstlern aus der Großregion). Von dort aus ging es raus ins Außengelände Richtung Römerbrücke durch Triers Westen, den Napoleon schon durchquerte, als er in Trier einzog. Die erste der insgesamt drei Performances gestaltete der Trier-Westler Künstler und Kunsthistoriker JeanLuc Caspers, für den Kunst nicht elitär sein soll. „Wir müssen uns der Kunst öffnen, sie demokratisieren, mitmachen, selbst den Pinsel schwingen.“Ein paar Meter weiter zeigten zwei
Künstlerinnen (Inessa Babaovich und Ketevan Tskhadadze) aus Osteuropa, die seit Längerem in Trier leben und sich aus dem Osten in den Westen aufgemacht haben, ein Kunstwerk mit 300 Windrädern für den Frieden. Die dritte Performance gestaltete der Künstler Alexander Harry Morrison, tief aus dem Westen kommend, nämlich aus Schottland, und den es der Liebe wegen nach Trier verschlagen hat. Der Dozent für klassische Drucktechniken an der Hochschule Trier zeigte eine interaktive, kommunikative Installation – er hatte eigens für das Projekt Telefonsprechdosen entwickelt.
Weiter ging es zur Trierer Skaterhalle, der drittgrößten Deutschlands. Das Jugendkulturzentrum kann nun weitere 25 Jahre an Ort und Stelle bleiben. „Das ist für uns sehr wichtig“, betonte einer der jungen Skater. Anschließend ging es über die Rückseite der EKA Richtung Mosel zurück in die zweite Etage der Kunsthalle in die oberen Atelierräume. Dorthin, wo Besucher normalerweise nicht gelangen. Hier wurde die Ausstellung „Westen“gezeigt, ein Gemeinschaftsprojekt von insgesamt 18 Künstlern aus der Großregion mit Fotografien, Malerei, Zeichnungen und Skulpturen mit politischem und geografischem Hintergrund.
„Wenn man sich von Trier wegbewegt, merkt man, dass viele bekannte
Örtlichkeiten genau im Westen von Trier liegen, wie etwa Verdun, Paris, die Bretagne und die Normandie“, sagt Breuer. Intention des stadtkulturellen Porträts ist es, so Breuer, Trierern und interessierten Trier-Touristen die Stadt und hier insbesondere den Westen näher zu bringen. Ihn anders zu sehen, aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und an Orte zu gehen, die vorher so nicht gesehen wurden oder die nicht zugänglich sind, wie jetzt die Atelierräume.
Ähnlich konzipiert waren schon die Vorgängerprojekte „Trierer Osten“2023 oder der theatrale Stadtrundgang „Meine liebe Scholle“2019. Und logischerweise geht die Reihe noch weiter. Auf den Trierer Westen folgt in der zweiten Septemberhälfte der Trierer Süden – soziokulturell künstlerisch gesehen. Die abwechslungsreiche Pop-Up-Ausstellung „Trierer Westen“endete am Sonntagabend.