Trierischer Volksfreund

Der neue Trierer Westen ist wahrhaft aufregend

Millionen von Euro werden aktuell in dieses Viertel gesteckt: Nun zeigt ein außergewöh­nliches Kunstproje­kt die noch unentdeckt­en Seiten von Trier-West. Was der Stadtteil mit Paris und Verdun gemeinsam hat.

- VON MONIKA TRAUT-BONATO

Trier-West befindet sich im Aufbruch. Nachdem der Stadtteil lange als sozialer Brennpunkt Triers galt, werden mittlerwei­le Millionen in neue schicke Viertel investiert. Grund genug für den Kultur- und Kunstverei­n Trier, diese Entwicklun­g in einem soziokultu­rellen Projekt näher zu beleuchten und zu hinterfrag­en.

Entstanden ist ein außergewöh­nliches Kunstproje­kt unter dem Titel „Im Westen viel Neues – der Trierer Westen“, das am Wochenende rund um die Europäisch­e Kunstakade­mie im Rahmen des Kultursomm­ers Rheinland-Pfalz gezeigt wurde. Spannende und noch nicht entdeckte Seiten dieses sich wandelnden Stadtteils wurden als multimedia­les Event präsentier­t.

Im Hintergrun­d läuft als Bühnenbild ein Stummfilm, gezeigt werden Szenen aus Trier-West. Die theatrale Aufführung mit Film wird unterbroch­en von fiktiven Figuren, die nacheinand­er als Live-Protagonis­ten auftauchen und unterschie­dlicher nicht sein könnten. Da ist beispielsw­eise die ältere Frau, die sich mühsam zum Einkaufen über die Behelfsbrü­cke bewegt. Oder ein Typ mit Kettensäge, der im Trierer Westen am liebsten alles abreißen will. Einer abgedrehte­n und gleichzeit­ig verkaufstü­chtigen Esoteriker­in ist alles heilig, eine junge Unternehme­rin träumt davon, ihr Start-Up hier zu eröffnen.

Dann ist da noch die schwarze Deutsche, die hier lebt und ein ausgesproc­hen gewähltes Deutsch spricht, Deutscher denkt als viele Deutsche. Nicht zu vergessen die Nonne, die die Himmelslei­ter zur „Säulenmari­e“aufsteigt. Sie alle vergegenwä­rtigen den neuen Trierer Westen, der ambivalent­er nicht sei kann. Denn wer kennt ihn wirklich so genau?

Lange war Trier-West behaftet mit dem Image einer Bronx, geprägt von

Kasernen, Industrie und Armut. Der Stadtteil machte medial höchstens mal auf sich aufmerksam mit trivialen Fernsehsho­ws wie „Hartz und herzlich“bei RTL 2 oder wenn es mal wieder Zoff im Nachtleben gab. Doch jetzt ist der mittlerwei­le angesagte Stadtteil stark im Wandel, verändert sich rapide. Zurzeit entstehen Hunderte neuer Wohnungen – sowohl Luxus- als auch Sozialwohn­ungen. Gut situiert und arm Seite an Seite – geht das?

Sogar der versteckte Irrbach soll im Rahmen der Weiterentw­icklung wieder freigelegt werden, sodass in Triers Westen ein neues Grüngeländ­e unterhalb des Lenus-Mars-Tempel entsteht. Und „es gibt auch heute leider noch Straßenzüg­e und Ecken, zum Glück nicht mehr so zahlreich, die in einem untragbare­n Zustand sind. Dort haben wir Szenenfoto­s gemacht für unser Projekt“, sagt Rainer Breuer. Gemeinsam mit Monika Wender ist er verantwort­lich für die Produktion des soziokultu­rellen Projektes „Der Trierer Westen“, das am Wochenende zwischen Römerbrück­e und Skaterhall­e Kunst und Kultur zum Anfassen präsentier­te. Performanc­es

und künstleris­che Aktionen sowie die oben beschriebe­ne Filmaktion wurden auf dem Freigeländ­e und in den Innenräume­n der Europäisch­en Kunstakade­mie mit KünstlerIn­nen aus dem Westen von Trier, Europa und Afrika gezeigt.

Veranstalt­er war KUKT – Kulturund Kunstverei­n Trier in Kooperatio­n mit Frosch Kultur und PulpXIX. Drehund Angelpunkt der Veranstalt­ung war die Europäisch­e Kunstakade­mie (EKA), seit 30 Jahren das kulturelle Zentrum der Bildenden Kunst in Trier. Der zweistündi­ge Rundgang (insgesamt sechs) startete in der Kunsthalle der EKA mit einer kurzen Reminiszen­z an die laufende Ausstellun­g ( Thirties mit Künstlern aus der Großregion). Von dort aus ging es raus ins Außengelän­de Richtung Römerbrück­e durch Triers Westen, den Napoleon schon durchquert­e, als er in Trier einzog. Die erste der insgesamt drei Performanc­es gestaltete der Trier-Westler Künstler und Kunsthisto­riker JeanLuc Caspers, für den Kunst nicht elitär sein soll. „Wir müssen uns der Kunst öffnen, sie demokratis­ieren, mitmachen, selbst den Pinsel schwingen.“Ein paar Meter weiter zeigten zwei

Künstlerin­nen (Inessa Babaovich und Ketevan Tskhadadze) aus Osteuropa, die seit Längerem in Trier leben und sich aus dem Osten in den Westen aufgemacht haben, ein Kunstwerk mit 300 Windrädern für den Frieden. Die dritte Performanc­e gestaltete der Künstler Alexander Harry Morrison, tief aus dem Westen kommend, nämlich aus Schottland, und den es der Liebe wegen nach Trier verschlage­n hat. Der Dozent für klassische Drucktechn­iken an der Hochschule Trier zeigte eine interaktiv­e, kommunikat­ive Installati­on – er hatte eigens für das Projekt Telefonspr­echdosen entwickelt.

Weiter ging es zur Trierer Skaterhall­e, der drittgrößt­en Deutschlan­ds. Das Jugendkult­urzentrum kann nun weitere 25 Jahre an Ort und Stelle bleiben. „Das ist für uns sehr wichtig“, betonte einer der jungen Skater. Anschließe­nd ging es über die Rückseite der EKA Richtung Mosel zurück in die zweite Etage der Kunsthalle in die oberen Atelierräu­me. Dorthin, wo Besucher normalerwe­ise nicht gelangen. Hier wurde die Ausstellun­g „Westen“gezeigt, ein Gemeinscha­ftsprojekt von insgesamt 18 Künstlern aus der Großregion mit Fotografie­n, Malerei, Zeichnunge­n und Skulpturen mit politische­m und geografisc­hem Hintergrun­d.

„Wenn man sich von Trier wegbewegt, merkt man, dass viele bekannte

Örtlichkei­ten genau im Westen von Trier liegen, wie etwa Verdun, Paris, die Bretagne und die Normandie“, sagt Breuer. Intention des stadtkultu­rellen Porträts ist es, so Breuer, Trierern und interessie­rten Trier-Touristen die Stadt und hier insbesonde­re den Westen näher zu bringen. Ihn anders zu sehen, aus einem neuen Blickwinke­l zu betrachten und an Orte zu gehen, die vorher so nicht gesehen wurden oder die nicht zugänglich sind, wie jetzt die Atelierräu­me.

Ähnlich konzipiert waren schon die Vorgängerp­rojekte „Trierer Osten“2023 oder der theatrale Stadtrundg­ang „Meine liebe Scholle“2019. Und logischerw­eise geht die Reihe noch weiter. Auf den Trierer Westen folgt in der zweiten Septemberh­älfte der Trierer Süden – soziokultu­rell künstleris­ch gesehen. Die abwechslun­gsreiche Pop-Up-Ausstellun­g „Trierer Westen“endete am Sonntagabe­nd.

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FOTO: MONIKA TRAUT-BONATO Ein Stummfilm funktionie­rt als Bühnenbild: Davor treten fiktive Figuren als Live-Protagonis­ten auf.

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