Als Musik Millionen bewegte
Was zählte, war das Geld. Da mochten Bandmitglieder in Interviews noch so oft betonen, wie sehr ihnen eine bessere Welt am Herzen läge (gegen Hunger, für Frieden – das Übliche halt), am Ende ging es darum, dass der Wocheneinkauf und die Miete bezahlt werden konnten.
Und das waren noch die kleineren Ausgabenposten. Fragen Sie mal Keith Richards, wie viel er monatlich für Heroin ausgab. Die Eagles und Fleetwood Mac wiederum verschleuderten die Kohle für Koks. „Hotel California“und „Rumours“erzielten nicht nur Verkaufsrekorde, sondern setzten auch Bestmarken, was den Kokainverbrauch während der Studioaufnahmen anging. Bedauerlicherweise ließen sich die Drogen nicht als Investitionen steuerlich absetzen.
Das Leben erwies sich für einen Rockstar (wahlweise: Popstar) als sündhaft teuer. Sich mit Mannequins zu verlustieren, war nicht für umme. Die schicken Modemädels hätten sich kaum mit Dosenravioli und Literwein von Aldi zufriedengegeben. Also musste ein Hit her. Manchmal genügte eine einzige Single, um für den Rest des Lebens ausgesorgt zu haben. George McCrae („Rock Your Baby“), Kim Carnes („Bette Davies Eyes“) und Lou Vega („Mambo No. 5“) wissen ein Lied davon zu singen.
Noch besser war eine LP. Bis in die 80er hinein war es üblich, dass Musiker im Jahresrhythmus ein neues Album rausbrachten. Nicht unbedingt, weil sie vor Kreativität überschäumten und die Jahrhundertmelodien aus ihnen heraussprudelten, sondern weil Langspielplatten eine fantastische Einnahmequelle waren. Da mutete man den Zuhörern gern auch schon mal musikalisches Füllmaterial zu (beim Essen würde man von „Sättigungsbeilage“sprechen). Unerreicht in dieser Hinsicht waren Modern Talking. Sie brachten
das Kunststück fertig, zwischen April 1985 und November 1987 sechs Alben mit 58 Variationen eines einzigen Liedes zu veröffentlichen – hier wurde eine Kuh gemolken, bis die Euter bluteten.
Doch hatten Platten noch eine weitere Funktion. Im kurzlebigen Pop-Business war es wichtig, sich immer wieder beim Konsumenten ins Bewusstsein zu rufen. Wer dies versäumte, musste sich auf einen Karriereknick gefasst machen. Human League hatten 1981/82 mit der Single „Don't you want me“und dem Album „Dare“weltweit dem britischen Synthiepop zum Durchbruch verholfen. Das Nachfolgewerk „Hysteria“
aber wurde und wurde nicht fertig. Als es schließlich zweieinhalb Jahre später – in der Popwelt eine Ewigkeit – erschien, war die Gunst der Stunde vorbei.
Da halfen selbst wohlgesinnte Schreiber nichts mehr. Und davon gab es viele. In den Jubeljahren der Rock- und Popmusik waren Journalisten die heimlichen Verbündeten der Stars. Dies lag in ihrem Naturell begründet. Der Musikjournalist war ein verhinderter Musiker. Wenn er schon nicht Gitarre spielen oder singen konnte, dann wollte er wenigstens per Schreibmaschine am Erfolg seiner Idole teilhaben. Das konnte so weit gehen, dass der Reporter Teil
des Tourzirkus wurde und bei AfterShow-Partys mitfeierte. Man kann davon ausgehen, dass sein Artikel nach ausgiebigem Sex- und Drogengenuss nicht allzu kritisch ausfiel.
Wer in Sachen PR auf Nummer sicher gehen wollte, lud die ganze Medienschar zur großen Sause ein. Anlässlich der Veröffentlichung des Queen-Albums „Jazz“organisierte deren Plattenfirma WEA (ein Label von Warner Bros. Records) eine einwöchige Orgie in New Orleans. Aufs Geld schaute man dabei nicht. Der Spaß kostete nach heutiger Kaufkraft rund eine Million Dollar. Neben der Band und zahlreichen Pressevertretern nahm auch die halbe
Belegschaft an der Ausschweifung teil. Unter ihnen Stan Cornyn, Vizechef Warner Bros. Records, der von „zugedröhnten Sekretärinnen“und einer Dirne mit ungewöhnlichem Rauchverhalten zu berichten wusste: „Die Massen strömten herbei, um jene Frau zu sehen, die Zigaretten über eine Körperöffnung inhalierte, bei der sich etwaige Bedenken hinsichtlich Lungenkrebs erübrigten.“
Doch von solchen Exzessen bekam die Öffentlichkeit nichts mit. Man spürte vielleicht, dass es glaubwürdigere Vertreter für eine Keuschheitskampagne gab als Freddie Mercury, aber was da genau passierte, wusste man nicht. Das war auch besser so. Denn der Rockstar war ein Mythos, eine Projektionsfläche, ein Wunschbild. Man stellte sich vor, er würde das Leben führen, das man selber gern geführt hätte. Wild, verwegen, abenteuerlich. Dass ein Rockstar sich mit seiner Ehefrau stritt, von seinen Bandkollegen genervt war und regelmäßig einen Psychotherapeuten aufsuchte – all das kam in solchen Fantasien nicht vor.
Ja, selbst gegen Geldnöte waren Rockstars trotz exorbitanter Einnahmen nicht gefeit. In Großbritannien betrug der Spitzensteuersatz in den 70er-Jahren bis zu 98 Prozent. Wenn dann noch windige Manager und betrügerische Konzertveranstalter in die eigene Tasche wirtschafteten, schrumpfte der Geldberg schnell auf die Größe eines Ameisenhügels.
Sogar Pink Floyd drohte 1979 der finanzielle Ruin – „The Wall“rettete die Band. Und Maggie Thatcher, die den Spitzensteuersatz in Großbritannien erst auf 60 und dann auf 40 Prozent senkte.
Heute touren die Helden von einst – sofern sie nicht an Leberzirrhose, Lungenkrebs, Herzversagen und anderen lebenswandelbedingten Krankheiten gestorben sind – als Rentnerkombos durch die Lande. Die Stones werden vermutlich als erste Rock'n'Rollator-Band in die
Geschichte eingehen. Und der musikalische Nachwuchs? Der fragt sich, wie er von den Spotify-Almosen den Wocheneinkauf und die Miete bezahlen soll.