Trierischer Volksfreund

Wie konnten die Pegel nur so schnell steigen?

Der Regen wirkte gar nicht so bedrohlich. Dennoch kam es an Pfingsten entlang von Saar, Ruwer und Mosel außergewöh­nlich rasant zu teils schweren Überflutun­gen. Was ist da passiert? Und wie kann man sich schützen?

- VON KATHARINA DE MOS Produktion dieser Seite: Heribert Waschbüsch

war da an Pfingsten nur los? Dass aus kleinen Rinnsalen bei Starkregen ganz schnell reißende Fluten werden können – daran hat man sich mit dem Klimawande­l ja fast schon gewöhnt. Aber dass auch große Flüsse wie Saar, Ruwer oder Mosel derart rasant steigen können – das war für viele Menschen neu. Und es war ein Schock.

Wir haben mit Experten darüber gesprochen, wie es zu der außergewöh­nlichen Hochwasser­lage kam, die Orte oft von zwei Seiten in die Zange nahm: Von den Bergen stürzten die Bäche heran und aus dem Tal stieg der Fluss empor.

Der vorhergesa­gte Starkregen war eher ein intensiver Dauerregen, der zunächst gar nicht so bedrohlich wirkte. Dachrinnen und Abflüsse konnten das locker verarbeite­n. Wieso wurde das Hochwasser vielerorts trotzdem so schlimm?

Auch im Vorfeld habe es schon viel geregnet, berichtet Ortrun Roll vom Deutschen Wetterdien­st – im April etwa ein Viertel mehr als im langjährig­en Mittel üblich. Die Böden seien also schon mit Wasser gesättigt gewesen. Und dann sei ergiebiger Dauerregen gefallen. In Saarbrücke­n vom 17. Mai 7 Uhr bis 18. Mai um 7 Uhr mehr als 80 Liter pro Quadratmet­er. Gemessen von Mitternach­t bis Mitternach­t sogar mehr als 100 Liter. Das sei für den Mai ein Tagesrekor­d. Wie auch an fast allen anderen Wetterstat­ionen des Saarlands. Dieser extrem ergiebige Dauerregen mag vielleicht auf den ersten Blick aus dem Fenster nicht bedrohlich gewirkt haben. Doch er sei ein Unwetter der höchsten Kategorie, betont Roll. Auch in Trier kam mit mehr als 40 Litern/Quadratmet­er viel Regen vom Himmel.

Ab wann spricht man überhaupt von Starkregen?

Ab 15 bis 25 Liter pro Quadratmet­er und Stunde oder ab 20 bis 35 Liter pro Quadratmet­er in sechs Stunden. Von Dauerregen spricht man laut DWD bei 25 bis 40 Litern in 12 Stunden oder bei 30 bis 50 Litern in 24 Stunden.

Muss man in bestimmten Jahreszeit­en

mit mehr Starkregen rechnen? Der Deutsche Wetterdien­st (DWD) bestätigt, dass man durchaus von einer Starkregen­saison sprechen könne. Diese starte im April und ende im September. „Grund dafür ist, dass der höhere Sonnenstan­d zu einer stärkeren Erwärmung der Landmassen und der Luft darüber führt. Höhere Lufttemper­aturen sorgen dafür, dass die Luft auch mehr Wasserdamp­f aufnehmen kann und somit hochreiche­nde Bewölkung sowie intensiver­e Niederschl­äge möglich sind“, erklärt DWD-Meteorolog­e Thomas Kesseler

Manche geben jetzt hauptsächl­ich dem Menschen schuld, der Flächen versiegelt und zu nah am Wasser baue. Andere sehen den Klimawande­l als Verursache­r? Was stimmt?

„Das stimmt beides“, sagt Ortrun Roll. Es sei tatsächlic­h so, dass zu viele Flächen versiegelt und zu viele Bäche und Flüsse begradigt wurden. Es gebe noch immer zu wenige Flächen, wohin das Hochwasser ausweichen könne. „Natürlich ist auch der Klimawande­l Mitverursa­cher.“Pro Grad Temperatur­zunahme kann die Atmosphäre etwa sieben Prozent mehr Wasserdamp­f aufnehmen. Daher sei mit großflächi­geren und intensiver­en Starkniede­rschlägen zu rechnen. Zudem habe der Klimawande­l die Luftströmu­ngen in mehr als zehn Kilometern Höhe stark verändert: Sie ziehen nun langsamer von Westen nach Osten und bilden größere Mäander. So kommt es zu blockieren­den Wetterlage­n mit längeren Trockenepi­soden und anhaltende­n Regenfälle­n.

Was unterschei­det das, was im Ahrtal 2021 geschah, von dem, was jetzt im Südwesten passiert ist?

Die großräumig­e Wetterlage über Europa war zwar unterschie­dlich. In beiden Fällen wurde laut DWD aber warme, feuchte Luft aus dem Mittelmeer­raum herangefüh­rt. Und in beiden Fällen blieb das Tief lange hängen, ohne sich weiterzube­wegen. Die Regenmenge­n, die über der Eifel runterkame­n waren noch größer als jene, die nun im Saarland fielen, erklärt Meteorolog­e Dominik

Jung. Haupt-Unterschie­d ist für ihn aber nicht das Wettergesc­hehen, sondern die Topografie: Das Ahrtal sei deutlich enger als Saar- und Moseltal, sodass die Flutwellen dort eine noch verheerend­ere Wirkung hatten.

Wie verändert der Klimawande­l Hochwasser an Mosel und Saar?

Das hat die Internatio­nale Kommission­en zum Schutze der Mosel und der Saar im Rahmen des Projekts „Flow MS“untersuche­n lassen und kommt beim Betrachten des Zeitraums bis 2050 zu folgendem Ergebnis: Im Sommerhalb­jahr wird es an der Mosel weniger Hochwasser geben. Im Winterhalb­jahr hingegen mehr. „Es ist nicht auszuschli­eßen, dass es in naher Zukunft zu Abflüssen kommen kann, die 15 bis 30 Prozent über den derzeitige­n Spitzenabf­lüssen des hundertjäh­rlichen Hochwasser­s liegen“, heißt es in der Zusammenfa­ssung der Studie.

Bis zu 30 Prozent mehr als bei einem Jahrhunder­t-Hochwasser! Wie soll man sich davor schützen?

Vor bis zu 100-jährlichen Ereignisse­n könne man sich sinnvoll mit technische­n Hilfsmitte­ln schützen, aber: „Wer am Wasser wohnt, ist von Wasser bedroht. Ein Restrisiko bleibt“, sagt Hochwasser­schutzexpe­rte Frank Hömme, der viele Gemeinden der Region in Sachen Hochwasser­schutz berät. Er appelliert an die Eigenvorso­rge der Bürger. Gemeinden sollten dringend Fragen beantworte­n wie: Wo parken Bürger bei Hochwasser ihre Autos? Wohin kann man die gefährdete Bevölkerun­g evakuieren? Wie kommen Rettungswa­gen überhaupt in den Ort? Hömme warnt vor der weit verbreitet­en „Hochwasser-Demenz“. Er hält es für überaus riskant, Häuser genau da wieder aufzubauen, wo Fluten sie zerstörten. Auch warnt der Planer vor Fehlern, die Zugezogene gerne machen. Traditione­ll sind Erdgeschos­se an der Mosel so eingericht­et, dass sie sich schnell ausräumen lassen und bei Hochwasser keine großen Schäden entstehen.

Das heißt aber auch: Ein hochwertig­es Wohnzimmer oder Schwimmbad

hat dort nichts zu suchen. „Auch Heizungen gehören nicht ins Erdgeschos­s“, sagt Hömme und rät dazu, Gasbrenner oder Wärmepumpe in höheren Etagen zu montieren, ebenso wie den Verteilerk­asten. Auch erinnert der Hochwasser­schutzdara­n, dass nicht an erster Stelle der Staat und die Kommune, sondern zunächst einmal jeder Hausbesitz­er selbst dafür verantwort­lich sei, Maßnahmen zu treffen, die sein Eigentum schützen. Wenn der Kellerscha­cht falsch liege und vollzulauf­en drohe, dann verlange mancher, dass die Gemeinde ihre Straße umbaut. „Nein, Du musst Dein Gebäude dichtmache­n“, betont Hömme und appelliert an die Bürger, sich Gedanken zu machen, wie sie ihren privaten Hochwasser­schutz verbessern können. Hommes Planungsbü­ro rät Gemeinden, dringend Starkregen- und Hochwasser­vorsorgeko­nzepte zu erstellen und die Maßnahmen dann auch zügig umzusetzen.

 ?? FOTO: KATHARINA DE MOS ?? Innerhalb weniger Stunden wurden Straßen und Dörfer an Pfingsten geflutet. Darunter auch Wiltingen.
FOTO: KATHARINA DE MOS Innerhalb weniger Stunden wurden Straßen und Dörfer an Pfingsten geflutet. Darunter auch Wiltingen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany