Wie konnten die Pegel nur so schnell steigen?
Der Regen wirkte gar nicht so bedrohlich. Dennoch kam es an Pfingsten entlang von Saar, Ruwer und Mosel außergewöhnlich rasant zu teils schweren Überflutungen. Was ist da passiert? Und wie kann man sich schützen?
war da an Pfingsten nur los? Dass aus kleinen Rinnsalen bei Starkregen ganz schnell reißende Fluten werden können – daran hat man sich mit dem Klimawandel ja fast schon gewöhnt. Aber dass auch große Flüsse wie Saar, Ruwer oder Mosel derart rasant steigen können – das war für viele Menschen neu. Und es war ein Schock.
Wir haben mit Experten darüber gesprochen, wie es zu der außergewöhnlichen Hochwasserlage kam, die Orte oft von zwei Seiten in die Zange nahm: Von den Bergen stürzten die Bäche heran und aus dem Tal stieg der Fluss empor.
Der vorhergesagte Starkregen war eher ein intensiver Dauerregen, der zunächst gar nicht so bedrohlich wirkte. Dachrinnen und Abflüsse konnten das locker verarbeiten. Wieso wurde das Hochwasser vielerorts trotzdem so schlimm?
Auch im Vorfeld habe es schon viel geregnet, berichtet Ortrun Roll vom Deutschen Wetterdienst – im April etwa ein Viertel mehr als im langjährigen Mittel üblich. Die Böden seien also schon mit Wasser gesättigt gewesen. Und dann sei ergiebiger Dauerregen gefallen. In Saarbrücken vom 17. Mai 7 Uhr bis 18. Mai um 7 Uhr mehr als 80 Liter pro Quadratmeter. Gemessen von Mitternacht bis Mitternacht sogar mehr als 100 Liter. Das sei für den Mai ein Tagesrekord. Wie auch an fast allen anderen Wetterstationen des Saarlands. Dieser extrem ergiebige Dauerregen mag vielleicht auf den ersten Blick aus dem Fenster nicht bedrohlich gewirkt haben. Doch er sei ein Unwetter der höchsten Kategorie, betont Roll. Auch in Trier kam mit mehr als 40 Litern/Quadratmeter viel Regen vom Himmel.
Ab wann spricht man überhaupt von Starkregen?
Ab 15 bis 25 Liter pro Quadratmeter und Stunde oder ab 20 bis 35 Liter pro Quadratmeter in sechs Stunden. Von Dauerregen spricht man laut DWD bei 25 bis 40 Litern in 12 Stunden oder bei 30 bis 50 Litern in 24 Stunden.
Muss man in bestimmten Jahreszeiten
mit mehr Starkregen rechnen? Der Deutsche Wetterdienst (DWD) bestätigt, dass man durchaus von einer Starkregensaison sprechen könne. Diese starte im April und ende im September. „Grund dafür ist, dass der höhere Sonnenstand zu einer stärkeren Erwärmung der Landmassen und der Luft darüber führt. Höhere Lufttemperaturen sorgen dafür, dass die Luft auch mehr Wasserdampf aufnehmen kann und somit hochreichende Bewölkung sowie intensivere Niederschläge möglich sind“, erklärt DWD-Meteorologe Thomas Kesseler
Manche geben jetzt hauptsächlich dem Menschen schuld, der Flächen versiegelt und zu nah am Wasser baue. Andere sehen den Klimawandel als Verursacher? Was stimmt?
„Das stimmt beides“, sagt Ortrun Roll. Es sei tatsächlich so, dass zu viele Flächen versiegelt und zu viele Bäche und Flüsse begradigt wurden. Es gebe noch immer zu wenige Flächen, wohin das Hochwasser ausweichen könne. „Natürlich ist auch der Klimawandel Mitverursacher.“Pro Grad Temperaturzunahme kann die Atmosphäre etwa sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Daher sei mit großflächigeren und intensiveren Starkniederschlägen zu rechnen. Zudem habe der Klimawandel die Luftströmungen in mehr als zehn Kilometern Höhe stark verändert: Sie ziehen nun langsamer von Westen nach Osten und bilden größere Mäander. So kommt es zu blockierenden Wetterlagen mit längeren Trockenepisoden und anhaltenden Regenfällen.
Was unterscheidet das, was im Ahrtal 2021 geschah, von dem, was jetzt im Südwesten passiert ist?
Die großräumige Wetterlage über Europa war zwar unterschiedlich. In beiden Fällen wurde laut DWD aber warme, feuchte Luft aus dem Mittelmeerraum herangeführt. Und in beiden Fällen blieb das Tief lange hängen, ohne sich weiterzubewegen. Die Regenmengen, die über der Eifel runterkamen waren noch größer als jene, die nun im Saarland fielen, erklärt Meteorologe Dominik
Jung. Haupt-Unterschied ist für ihn aber nicht das Wettergeschehen, sondern die Topografie: Das Ahrtal sei deutlich enger als Saar- und Moseltal, sodass die Flutwellen dort eine noch verheerendere Wirkung hatten.
Wie verändert der Klimawandel Hochwasser an Mosel und Saar?
Das hat die Internationale Kommissionen zum Schutze der Mosel und der Saar im Rahmen des Projekts „Flow MS“untersuchen lassen und kommt beim Betrachten des Zeitraums bis 2050 zu folgendem Ergebnis: Im Sommerhalbjahr wird es an der Mosel weniger Hochwasser geben. Im Winterhalbjahr hingegen mehr. „Es ist nicht auszuschließen, dass es in naher Zukunft zu Abflüssen kommen kann, die 15 bis 30 Prozent über den derzeitigen Spitzenabflüssen des hundertjährlichen Hochwassers liegen“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie.
Bis zu 30 Prozent mehr als bei einem Jahrhundert-Hochwasser! Wie soll man sich davor schützen?
Vor bis zu 100-jährlichen Ereignissen könne man sich sinnvoll mit technischen Hilfsmitteln schützen, aber: „Wer am Wasser wohnt, ist von Wasser bedroht. Ein Restrisiko bleibt“, sagt Hochwasserschutzexperte Frank Hömme, der viele Gemeinden der Region in Sachen Hochwasserschutz berät. Er appelliert an die Eigenvorsorge der Bürger. Gemeinden sollten dringend Fragen beantworten wie: Wo parken Bürger bei Hochwasser ihre Autos? Wohin kann man die gefährdete Bevölkerung evakuieren? Wie kommen Rettungswagen überhaupt in den Ort? Hömme warnt vor der weit verbreiteten „Hochwasser-Demenz“. Er hält es für überaus riskant, Häuser genau da wieder aufzubauen, wo Fluten sie zerstörten. Auch warnt der Planer vor Fehlern, die Zugezogene gerne machen. Traditionell sind Erdgeschosse an der Mosel so eingerichtet, dass sie sich schnell ausräumen lassen und bei Hochwasser keine großen Schäden entstehen.
Das heißt aber auch: Ein hochwertiges Wohnzimmer oder Schwimmbad
hat dort nichts zu suchen. „Auch Heizungen gehören nicht ins Erdgeschoss“, sagt Hömme und rät dazu, Gasbrenner oder Wärmepumpe in höheren Etagen zu montieren, ebenso wie den Verteilerkasten. Auch erinnert der Hochwasserschutzdaran, dass nicht an erster Stelle der Staat und die Kommune, sondern zunächst einmal jeder Hausbesitzer selbst dafür verantwortlich sei, Maßnahmen zu treffen, die sein Eigentum schützen. Wenn der Kellerschacht falsch liege und vollzulaufen drohe, dann verlange mancher, dass die Gemeinde ihre Straße umbaut. „Nein, Du musst Dein Gebäude dichtmachen“, betont Hömme und appelliert an die Bürger, sich Gedanken zu machen, wie sie ihren privaten Hochwasserschutz verbessern können. Hommes Planungsbüro rät Gemeinden, dringend Starkregen- und Hochwasservorsorgekonzepte zu erstellen und die Maßnahmen dann auch zügig umzusetzen.