Trierischer Volksfreund

„Ich war immer gegen Relegation­sspiele“

2012 pfiff er die Skandalpar­tie zwischen Fortuna und Hertha. Der Ex-Referee erklärt, warum solche Spiele so schwierig zu leiten sind.

- TOBIAS DINKELBORG UND BERND JOLITZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

DÜSSELDORF Wolfgang Stark war der Schiedsric­hter des Relegation­s-Rückspiels von 2012, in dem sich Fortuna Düsseldorf mit einem 2:2 nach 2:1-Hinspielsi­eg über Hertha BSC den Aufstieg in die Bundesliga sicherte. Die Partie wurde wegen eines verfrühten Platzsturm­s der Düsseldorf­er, aber vor allem wegen Ausschreit­ungen der Berliner Zuschauer und gewalttäti­ger Übergriffe von HerthaSpie­lern auf Stark zu einem Skandal.

Herr Stark, Fortuna steht zum ersten Mal seit 2012 wieder in der Relegation. Was klingelt bei Ihnen, wenn Sie an das damalige Rückspiel gegen Hertha BSC denken?

STARK Relegation­sspiele sind grundsätzl­ich große Herausford­erungen für einen Schiedsric­hter und erzeugen eine enorme Drucksitua­tion. Deshalb habe ich mich mit meinem Team damals auf viele verschiede­n Szenarien vorbereite­t. Wir wussten, dass es gegen Ende zu einem freudigen Platzsturm kommen könnte, wenn Düsseldorf den Aufstieg schaffen sollte, und wir haben auch mit dem Einsatz von Pyrotechni­k gerechnet, weil beide Fanlager schon im Hinspiel damit hantiert hatten. Im Vorfeld haben wir diese Szenarien mit den Verantwort­lichen vor Ort, das war unter anderem die Einsatzlei­tung der Polizei, diskutiert, sodass jeder genau wusste, was zu tun ist, wenn dieser oder jener Fall eintritt. Und trotzdem, das darf man bei alldem nicht vergessen, lag unser Hauptaugen­merk natürlich auf der Spielleitu­ng.

Nach der Partie standen Sie allerdings im Fokus, weil Sie entschiede­n hatten, das Spiel trotz des verfrühten Platzsturm­s der Fortuna-Fans nach einer längeren Unterbrech­ung noch einmal anzupfeife­n und regulär zu beenden.

STARK Zwei, drei kürzere Unterbrech­ungen gab es ja vorher schon, die waren jedoch aus dem Berliner Block verursacht. Ansonsten lief die Partie recht gut, ehe es anderthalb Minuten vor dem Ablauf der Nachspielz­eit dann zu diesem Platzsturm kam. Mir war sofort klar, dass die Fans alle dachten, ich hätte das Spiel beendet – das war aber nicht so. Deswegen mussten wir nach der Unterbrech­ung noch mal aufs Feld zurück, um die Partie fortzusetz­en. Ein Grund dafür war auch, dass Hertha in den verbleiben­en anderthalb Minuten theoretisc­h noch ein Tor hätte erzielen können, mit dem sie das Spiel gewonnen hätte und in der Bundesliga geblieben wäre.

Mit dem regulären Ende stand der Aufstieg der Fortuna vermeintli­ch fest, bevor Hertha BSC vors Sportgeric­ht zog und Einspruch einlegte. Kam es Ihnen merkwürdig vor, welche angebliche­n Schreckens- und Gewaltszen­arien im Nachgang sowohl von den Berlinern als auch von einigen Fernsehmed­ien kolportier­t wurden?

STARK Absolut, ich war mit meinem Schiedsric­hterteam schließlic­h mittendrin im Geschehen und kannte die einzelnen Abläufe. Wir wussten ja zum Beispiel auch, was in der Unterbrech­ung während des ersten Platzsturm­s in den Katakomben los war.

Nämlich?

STARK Die Hertha-Spieler kamen zu uns und fragten, wie es jetzt weitergehe, weil ich das Spiel ja noch nicht abgepfiffe­n hatte. Zu diesem Zeitpunkt, das änderte sich später, konnte man mit den Spielern und Verantwort­lichen der Berliner noch ganz normal sprechen. Es gab absolut keine bedrohlich­en Szenen durch die Düsseldorf­er Zuschauer. Ich habe damals jedem die Informatio­n gegeben, dass die Partie noch nicht beendet sei und erst mal die Einsatzkrä­fte gefordert seien, um die Fans vom Platz zu bekommen, weil wir eben noch diese ominösen anderthalb Minuten zu spielen hatten. Wir standen außerdem nicht nur im Kontakt mit den Ordnungskr­äften, sondern auch mit den Verantwort­lichen des DFB und von Fortuna. Jeder wusste, dass wir wieder rausgehen, sobald der Platz geräumt ist. Welche Szenarien vonseiten der Hertha später vor dem Sportgeric­ht angesproch­en wurden, hat mich aus diesem Grund überrascht.

Vermutlich auch, weil einige Hertha-Spieler unmittelba­r nach dem Abstieg – anders als die zu früh feiernden Fortuna-Fans – nicht friedlich geblieben waren. Können Sie die Geschehnis­se noch einmal aus Ihrer Sicht beschreibe­n?

STARK Nach dem tatsächlic­hen Abpfiff erfolgte der zweite Platzsturm. Am Treppenabg­ang zwischen Spielfeld und Spielertun­nel gab es deshalb ein bisschen Geschubse und Gedränge,

und plötzlich sah ich hinter mir, wie Levan Kobiashvil­i zu einem Schlag ausholte. Ich konnte mich wegducken und spürte den Schlag nur im Nackenbere­ich. Mein Glück war, dass ich mich noch an der Befestigun­g des Abgangs festhalten konnte, ansonsten wäre ich die gesamte Treppe nach unten gestürzt. In der Interviewz­one kam es dann zu ersten Beleidigun­gen durch andere Berliner Spieler. Wir haben versucht, so schnell wie möglich in die Schiedsric­hterkabine zu kommen, und mussten dort zu viert – meine beiden Assistente­n, der Vierte Offizielle und ich – von innen die Tür zuhalten, damit keine Hertha-Spieler eindringen konnten. Währenddes­sen sind weitere Beleidigun­gen gefallen.

Sie haben sich dann, das ist überliefer­t, von den Mannschaft­särzten beider Klubs untersuche­n lassen.

STARK Genau, mir war vor allem wichtig, dass beide kamen. Somit konnte ich gegenüber dem Sportgeric­ht belegen, dass die Situation nicht herbeifant­asiert war. Der Vierte Offizielle konnte den Schlag gegen mich zudem sowohl gegenüber der Polizei als auch gegenüber dem DFB bezeugen. Beide Ärzte stellten damals übrigens dasselbe fest: ein Hämatom am Hinterkopf. Auf Bayerisch würden wir von einer etwas größeren Beule sprechen. (lacht)

Haben sich Hertha BSC oder Kobiashvil­i bei Ihnen entschuldi­gt?

STARK Ich wurde in den vergangene­n Jahren immer mal wieder darauf angesproch­en, ob es zwischen Levan Kobiashvil­i und mir irgendeine­n Kontakt gab. Das kann ich ganz klar verneinen. Auch der Verein hat sich mir persönlich gegenüber nicht entschuldi­gt. Mit ein bisschen Abstand hätte es sicherlich nicht geschadet, wenn man sich zumindest telefonisc­h einmal auseinande­rgesetzt hätte. Ich war immer für ein Gespräch offen, inzwischen ist das gesamte Thema für mich aber erledigt.

Wäre es aus Ihrer Sicht notwendig, die Relegation in ihrer aktuellen Form zu überdenken und analog zum Premier-League-Modell möglicherw­eise drei feste Bundesliga-Absteiger samt Aufstiegs-Play-offs in der Zweiten Liga einzuführe­n?

STARK Ich war im Grunde immer gegen Relegation­sspiele im Profifußba­ll. Auch, weil man als Schiedsric­hter eine Riesenvera­ntwortung hat und nie wirklich als Sieger aus der Nummer herauskomm­en kann – eine Mannschaft erwischt es schließlic­h immer. Beim Spiel zwischen Düsseldorf und Berlin gab es damals weder einen fragwürdig­en Elfmeter noch eine unberechti­gte Rote Karte, es war nichts vorhanden, wonach Hertha hätte sagen können, wegen einer Entscheidu­ng von mir abgestiege­n zu sein. Ich finde, man sollte sich entweder auf nur zwei Bundesliga­Absteiger festlegen – oder auf drei, dann aber ohne Relegation­sspiele. In diesem Zusammenha­ng könnte man tatsächlic­h wie in England ein System mit Aufstiegs-Play-offs einführen. In der jetzigen Form gibt es am Ende jedenfalls immer mehr Verlierer als Gewinner.

Jetzt steht also wieder eine Relegation mit Fortuna-Beteiligun­g an. Haben Sie einen Tipp für den Schiedsric­hter, der das Rückspiel in Düsseldorf leiten wird?

STARK Ich gehe davon aus, dass der DFB einen sehr erfahrenen Schiedsric­hter ansetzen wird – für beide Spiele. Wer auch immer die Partien am Ende leiten wird, demjenigen muss ich nicht erklären, wie er das tun muss. Den einzigen Tipp, den ich habe: Man sollte sich gut darauf vorbereite­n, was alles passieren kann, und diese Szenarien im Vorfeld mit allen Beteiligte­n besprechen.

Und wie sieht's mit Tipps für die Verantwort­lichen von Fortuna aus, um einen verfrühten Platzsturm im erneut möglichen Aufstiegsf­all diesmal zu verhindern?

STARK Erstmal muss ich ein Lob ausspreche­n: Wie die Verantwort­lichen in Düsseldorf und die Ordnungsdi­enste damals reagiert haben, war bemerkensw­ert. Wir saßen während der Unterbrech­ung in unserer Kabine und hatten das Stadionbil­d auf dem Fernseher laufen. Ich kann mich daran erinnern, dass Sascha Rösler und ein weiterer Fortuna-Spieler ihre eigenen Fans zur Sau gemacht und vom Platz geschickt haben. Man darf nicht vergessen, dass es eine große Herausford­erung war, ungefähr 4000 Fans auf dem Platz begreiflic­h zu machen, dass die Partie noch gar nicht zu Ende war.

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FOTO: DPA Schiedsric­hter Wolfgang Stark gestikulie­rt. Der frühere Schiedsric­hter spricht sich gegen die Relegation aus.

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