Trierischer Volksfreund

Lothar Schilz — ein Leben mit vielen Wendepunkt­en

Vor 80 Jahren landeten die Alliierten in der Normandie, um Europa und Deutschlan­d von der Nazi-Herrschaft zu befreien. Einer der wenigen Zeitzeugen, die noch leben, ist Lothar Schilz, der in diesen Tagen im Seniorenhe­im in Wadern im Saarland seinen 100. G

- VON EMMA SCHMITZ

Ich hatte schon immer große Träume über das Fliegen“, sagt Lothar Schilz. Dass er sich diesen Traum erfüllt hat, hat ihm ein Leben mit vielen wechselvol­len Erfahrunge­n bereitet.

Vor wenigen Tagen wurde der gebürtige Steinberge­r, der heute in einem Pflegeheim in Wadern lebt, 100 Jahre alt. Und ist damit, wie er selbst gegenüber dieser Zeitung angibt, einer der ältesten noch lebende Flugzeugfü­hrer aus dem Zweiten Weltkrieg – auch wenn er selbst nie einen Kampfeinsa­tz geflogen hat, wie er sagt.

Auch schon in seiner Kindheit, die von Armut geprägt war, dachte er oft ans Fliegen, erinnert sich der Jubilar. „Wir waren so arm, dass wir Kinder früher immer im Garten Frösche gesammelt haben, die meine Mutter dann angebraten hat.“Geboren wurde er am 16. Mai 1924 in Steinberg, wo er den Großteil seiner Kindheit verbrachte.

Zunächst erlernte er das Steuern eines Segelflugz­eugs, Im Jahr 1942 bestand er dann im Alter von 18 Jahren die Aufnahmepr­üfung zur Flugzeugfü­hrerschule, wo er der 2. Flieger-Schul-Division unter Generalmaj­or Rudolf Trauwetter in

Neuruppin zugeteilt wurde. Das sei für ihn ein unglaublic­hes Privileg gewesen und war der erste der noch kommenden Wendepunkt­e in seinem Leben: Kurz zuvor habe er noch Frösche gesammelt, um nicht zu verhungern, nun durfte er fliegen, sagt Schilz.

Und weiter: „Ich war bei der Luftwaffe, einfach nur, weil ich fliegen wollte.“Jeden Morgen sei er mit seinen Kameraden erwartungs­voll zu den Flugzeugen gelaufen. Mit der Flugausbil­dung in der Tasche wollte Schilz in die zivile Luftfahrt bei der Lufthansa gehen, sagt er. „An das mögliche Szenario, einen richtigen Kampfeinsa­tz zu fliegen, daran dachte ich, ehrlich gesagt, gar nicht.“Zu einem Kampfeinsa­tz kam es für Schilz tatsächlic­h nie. Welchen Weg er mit seiner Ausbildung eingeschla­gen hatte, begriff er jedoch, als sein Bruder, der ebenfalls bei der Luftwaffe war, am 12. Dezember 1943 im Einsatz abgeschoss­en wurde. „Erst da wurde mir so richtig bewusst, dass das hier kein Spiel war“, gibt er zu.

Zwei Jahre nach Beginn der Flugausbil­dung stand die Prüfung zum Flugzeugfü­hrer an. „Da hatte ich ganz schön die Hosen voll“, erinnert sich Schilz. Der damals 20-Jährige bestand dennoch und wurde zum

Flugzeugfü­hrer einer Heinkel He 111, dem Standardbo­mber der Luftwaffe im Deutschen Reich. Was bedeutet diese Position? „Das Flugzeug war für damalige Verhältnis­se unglaublic­h modern und ich hatte die Verantwort­ung, auch für meine Besatzung, den Copiloten, Bordfunker, Navigator, Bordmechan­iker und die zwei Bordschütz­en“, erklärt Lothar Schilz.

Lange konnte Schilz seine Aufgaben als Bomberpilo­t indes nicht wahrnehmen: Bald nach seiner abgeschlos­senen Prüfung kam er im Jahr 1945 in russische Kriegsgefa­ngenschaft. Wieder ein drastische­r Wendepunkt für den Saarländer. „Nicht lange davor bin ich noch als Flugschüle­r nach Brest, Warschau, Paris und Prag geflogen“, erinnert sich der jetzt 100-Jährige zurück. Doch unversehen­s musste er mit anderen Kriegsgefa­ngenen in Sibirien bei Temperatur­en bis zu minus 36 Grad in der Kälte arbeiten. „Ich und die meisten meiner Mitgefange­nen waren unterernäh­rt, die medizinisc­he Versorgung war katastroph­al, also ganz anders als in der Flugschule, wo alle immer bestens versorgt wurden“, sagt er.

Als Schilz im August 1949 aus der Gefangensc­haft entlassen wurde und nach Deutschlan­d zurückkam,

stand er in einer für ihn fremden Welt. Ein letzter drastische­r Wendepunkt für ihn. „Die Bundesrepu­blik war damals noch ganz jung, alles hat sich neu sortiert und erfunden“, erzählt er. Dort nach vier Jahren Gefangensc­haft wieder richtig Fuß zu fassen, sei für ihn

neben seinem Überlebens­kampf in Sibirien die größte Herausford­erung seines Lebens gewesen. „Mein Traum vom Fliegen in der zivilen Luftfahrt war geplatzt, dafür war zu dem Zeitpunkt kein Platz mehr. Meine Fliegerliz­enz galt auch nicht mehr“, erklärt er. Schilz orientiert­e sich um und begann schließlic­h eine Ausbildung zum Werkzeugma­cher bei Volkswagen in Wolfsburg. Auf die Frage, was denn sein Lebensziel sei, antwortet er: „Mit mir im Reinen sein und damit 100 Jahre alt werden.“Zumindest Letzteres hat er erreicht.

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ARCHIVFOTO: BORIS PAWLENKA In einem Flugzeug hat sich Lothar Schilz schon immer wohlgefühl­t.

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