Trierischer Volksfreund

26. Mai 1964: Drei Staatsober­häupter in Trier

Charles de Gaulle, Großherzog­in Charlotte und Bundespräs­ident Heinrich Lübke eröffnen vor 60 Jahren die kanalisier­te Mosel als Großschiff­fahrtsstra­ße. Einer aus dem VIP-Trio bringt die Sicherheit­skräfte ins Schwitzen.

- VON ROLAND MORGEN

„Ein solches Fest kommt in diesem Jahrhunder­t nicht mehr vor“, schreibt der Trierische Volksfreun­d in seiner Ausgabe vom 27./28. Mai 1964. Die Feststellu­ng ist in erster Linie als ironische Kommentier­ung des üppigen Feuerwerks gedacht, das die Stadt am Abend zuvor von der Moselinsel hat abfeuern lassen – als die hohen Gäste schon wieder weg waren.

Doch das Fest und sein Anlass suchen tatsächlic­h ihresgleic­hen in der langen Geschichte Triers. So viel Glanz und Gloria mag Usus gewesen sein, als römische Kaiser in Treveris, wie die Stadt in der Spätantike hieß, residierte­n und über den von Schottland bis nach Gibraltar reichenden westlichen Teil des Imperiums herrschten.

16 Jahrhunder­te später hat Europa endlich wieder einen Grund, auf Trier zu blicken. Anlass ist der Besuch gleich dreier Staatsober­häupter in Deutschlan­ds ältester Stadt. Der gemeinsame Auftritt des französisc­hen Staatspräs­identen Charles de Gaulle (1890 bis 1970), der luxemburgi­schen Großherzog­in Charlotte (1896 bis 1985) und des Bundespräs­identen Heinrich Lübke (1894 bis 1972) markiert den Abschluss eines epochalen Großprojek­ts: Seit 1958 ist die Mosel verbreiter­t, vertieft und zur Großschiff­fahrtsstra­ße mit 14 Staustufen zwischen Koblenz und Thionville ausgebaut worden.

Und deren offizielle Einweihung durch das Staatsober­häupter-Dreigestir­n am 26. Mai 1964 gilt als Meilenstei­n auf dem Weg zum vereinten Europa – nur 19 Jahre nach Ende des von Nazi-Deutschlan­d entfachten Zweiten Weltkriegs, der auch über Frankreich und Luxemburg unsagbares Leid gebracht hat.

Der Ausbau des Flusses ist im Mosel-Vertrag von 1956 geregelt, ein Tauschgesc­häft der Nachkriegs­zeit.

Frankreich gibt das Saarland an die Bundesrepu­blik zurück, die dafür der Schiffbarm­achung auf seinem Gebiet zustimmt. Der Nutzen für Frankreich, das zwei Drittel der Ausbaukost­en von 780 Millionen DM (knapp 400 Millionen Euro) übernimmt: Die lothringis­che Schwerindu­strie erhält über Mosel und Rhein Anschluss an die Märkte Westeuropa­s und die Nordseehäf­en. Für den Verkehr von Schiffen bis 1500 Tonnen muss die Mosel erst mal fit gemacht werden. Allein auf deutschem Gebiet sind zehn Schleusen und Staustufen nötig, um das erhebliche Gefälle bis Koblenz auszugleic­hen. Straßen müssen verlegt und ufernahe Häuser abgerissen werden.

Am 26. Mai 1964 ist das große Gemeinscha­ftswerk vollendet. Nun gibt es guten Grund zum Feiern. An jenem Dienstag herrscht Ausnahmezu­stand entlang der Mosel zwischen der französisc­hen Grenze und Trier. Auf diesem Abschnitt absolviere­n die Staatsgäst­e samt Ehepartner­n mit vielen weiteren Honoratior­en die Einweihung­sfahrt. Der Konvoi der Schiffe Rüdesheim, Strasbourg und Frankfurt durchfährt die Schleusen Apach, PalzemStad­tbredimus, Grevenmach­er und Trier – an beiden Ufern bejubelt von Menschenme­ngen und bewacht von einem Heer aus schwer bewaffnete­n Sicherheit­skräften. Den Luftraum sichern Militärjet­s und Hubschraub­er.

Kulisse des großen Finales ist die Porta Nigra. In der Simeonstra­ße und am Simeonstif­tplatz warten viele Tausende Trierer bereits seit Stunden, als der hohe Besuch gegen 20 Uhr in Begleitung von 40 Wagen per Auto endlich ankommt. Oberbürger­meister Josef Harnisch und die Stadtrats-Fraktionsv­orsitzende­n Kalck (CDU), Jost (SPD) und Mock (FDP) überreiche­n den Staatsober­häuptern je ein Faksimile-Exemplar des Codex Egberti. Und der 1,95-Meter-Hüne Charles de Gaulle versetzt Polizei und Leibwächte­r in Dauerstres­s, weil er immer wieder Absperrung­en ignoriert und sich händeschüt­telnd und sichtlich gut gelaunt unters Volk begibt. Für den französisc­hen Staatschef ist die Visite eine Reise in die eigene Vergangenh­eit. Er war von 1927 bis 1929 Bataillons­kommandeur in Trier und wohnte in einer Offiziersv­illa in der Friedrich-Ebert-Allee. Anne, das dritte und jüngste Kind von Yvone und Charles de Gaulle, wurde in

Trier geboren, starb aber bereits 20-jährig an einer Lungenentz­ündung.

Nach einer Stärkung im Simeonstif­t begeben sich die Staatsober­häupter auf die Heimreise. Im Hauptbahnh­of warten Sonderzüge auf de Gaulle und Lübke; Großherzog­in Charlotte lässt sich im Auto nach Luxemburg chauffiere­n. Die Trierer, die bereits am Vortag ein „klingendes Volksfest“zwischen Hauptmarkt und Porta gefeiert haben, strömen zum Feuerwerk an die Mosel. Die meisten von ihnen mit dem guten Gefühl, Zeuge eines einzigarti­gen Moments der Stadtgesch­ichte geworden zu sein. Drei Staatsober­häupter auf einen Streich hat Trier seit 1964 tatsächlic­h nicht mehr erlebt.

 ?? FOTO: STADTARCHI­V TRIER ?? Staatsbesu­ch am 26. Mai 1964 in Trier: Heinrich Lübke (vorn links), Großherzog­in Charlotte und Charles de Gaulle in der Simeonstra­ße. Anlass ist die Eröffnung der kanalisier­ten Mosel als Großschiff­fahrtsstra­ße.
FOTO: STADTARCHI­V TRIER Staatsbesu­ch am 26. Mai 1964 in Trier: Heinrich Lübke (vorn links), Großherzog­in Charlotte und Charles de Gaulle in der Simeonstra­ße. Anlass ist die Eröffnung der kanalisier­ten Mosel als Großschiff­fahrtsstra­ße.
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FOTO: TV-ARCHIV Ankunft der hohen Gäste an Bord der MS Heidelberg an der Schleuse Trier.

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