„Darf ich Sie bitte fotografieren?“
Wie der Bullayer Wolfgang Wesener in New York viele Künstler und Musiker kennenlernte und porträtierte
Er hat sein Idol Andy Warhol in New York fotografiert, hatte Musiker wie Debbie Harry, B. B. King oder James Brown vor der Kamera: Wolfgang Wesener hat unter dem Künstlernamen wowe Furore gemacht. Vor zwei Jahren hat der 64-Jährige der US-Metropole den Rücken gekehrt und lebt seitdem wieder in seiner Heimat, in Bullay. Dort haben wir ihn zum Gespräch getroffen.
Herr Wesener, obwohl Sie sehr lange in New York gelebt haben, Sie sind ein Kind der Mosel ...
WOLFGANG WESENER Ja, ich bin zwar in Köln geboren, aber meine Eltern sind dann früh nach Bullay gezogen. Hier lebten meine Großeltern. Ich bin hier zur Volksschule gegangen, zur Realschule, anschließend zum Gymnasium nach Wittlich. Weil meine Eltern dann aber nicht mehr mit mir klarkamen, wurde ich zu den Jesuiten in ein Internat im Schwarzwald geschickt. Das war eigentlich ganz gut.
Warum war das gut?
WESENER Dort waren Schüler aus ganz Deutschland. Ich hatte eine gute Clique, und dort herrschte eine Atmosphäre, die mir die Augen geöffnet hat. In der 11. oder 12. Klasse habe ich entschieden, dass ich Fotograf werden will, obwohl meine Eltern schon andere Ideen hatten. Ich sollte das großväterliche Unternehmen Kellergeister übernehmen. Es war schon organisiert, dass ich eine Banklehre in Mainz bei der Deutschen Bank machte, die ich auch leider Gottes durchstehen musste. Danach habe ich in Essen an der Folkwang-Universität Kommunikationsdesign studiert.
Was hat Sie so früh am Fotografieren gereizt?
WESENER Mein Vater war Amateurfotograf. Ich erinnere mich daran, dass er die allererste Polaroidkamera hatte. Das war für mich als Kind ein Riesenerlebnis
zu sehen, wie scheinbar aus dem Nichts innerhalb von zwei Minuten ein Foto entstand. Im Internat hatten wir dann eine Fotogruppe und sogar eine Dunkelkammer. Dort habe ich meine allerersten SchwarzWeiß-Filme entwickelt. Zum 18. Geburtstag
habe ich eine Spiegelreflexkamera bekommen.
Eine gute Kamera macht noch keinen guten Fotografen. Wie ist Ihr Gespür für den besonderen Moment entstanden?
WESENER Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass ich gezwungen war, diese Banklehre zu machen. Ich habe so sehr darunter gelitten, dass ich anschließend mit einer ganz anderen Motivation ins Studium gegangen bin. Ich wusste: Ich will Porträtfotograf werden. Da ist es im Übrigen ganz hilfreich, wenn man mit Leuten gut umgehen kann. Das wiederum habe ich von meinen Eltern gelernt. Bei uns zu Hause stand die Tür immer offen. Jeder, der zu uns kam, wurde freundlich empfangen.
Die Freundlichkeit des Mannes von der Mosel kam dann auch in New York gut an?
WESENER Auch wenn man es mit berühmten Leuten zu tun hat, darf man sie niemals zu etwas überreden oder zu etwas zwingen. Denn wenn sich die Person nicht wohlfühlt, kann das Foto nicht gut werden. Egal, wie gut deine Idee ist, du musst einfach Respekt haben vor den Menschen.
Wie gelang überhaupt der Sprung nach New York?
WESENER Ich wollte unbedingt dorthin, weil ich ein Riesenfan von Andy Warhol war. Ich habe mir vorgenommen, dass ich nicht eher zurückkehre, bis ich ihn fotografiert habe.
Das war sehr ehrgeizig, immerhin war Warhol in den 1980er-Jahren schon eine Ikone der Pop-Art.
WESENER Ja, ich habe in New York durch glückliche Umstände einen Job in einem Nachtklub bekommen. Es stellte sich heraus: Das war der Nachtklub der 1980er überhaupt, das „Area“. Über eine deutschstämmige Journalistin, die sich um uns Neuankömmlinge gekümmert hat, erhielt ich eine Einladung zur Geburtstagsparty von Keith Haring – da waren natürlich alle wichtigen Künstler, inklusive Warhol. Ich stand wie versteinert mit meiner Kamera in der Hand vor meinem Idol. Ich habe dann ganz schüchtern gefragt: May I please take a picture? Darf ich bitte ein Foto machen? Ich bin dann schnell zum Hausfotografen im „Area“geworden – und habe Andy Warhol ständig getroffen.
Das hat Ihnen dann einen Job beim FAZ-Magazin verschafft?
WESENER Ja, das war unglaublich. Da war ich gerade mal 24 Jahre alt. Der damalige Artdirector hat meine Nachtklubfotos gesehen und mich gefragt, ob ich Keith Haring für sie fotografieren will. Ich wusste auch, dass das FAZ-Magazin seit mehr als zehn Jahren vergeblich versuchte, eine Geschichte mit Warhol zu machen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1986 war ich dann mit Warhol im Fotostudio verabredet. Nach zwei Stunden dachte ich: Jetzt weißt du weniger über ihn als vorher. Er war sehr in sich gekehrt, zugleich aber auch super freundlich. Auf die Frage, ob er bereit zu einem Interview sei, winkte er ab und sagte: Erfindet einfach was! Als dann einige Wochen später das Layout für das FAZ-Magazin feststand, habe ich es Warhol gezeigt – und er stimmte einem Interview zu. Zwei Wochen später starb er.
Was hat Ihnen die „Area“-Zeit bedeutet?
WESENER Das war eine unglaubliche Zeit. Im „Area“gab es eine wilde Mischung von Menschen. Dort haben sich die reichen Banker von der Wall Street, die Europäer, die kreativen Künstler aus dem East Village und die reichen Leute von der Park Avenue getroffen. Gleichzeitig war das auch der Beginn von Aids. Unglaublich viele gute Freunde sind innerhalb kürzester Zeit gestorben.
Viele Fotografen in den Metropolen verdienen als Paparazzi ihr Geld. Aber so haben Sie nie gearbeitet ...
WESENER Ich war nie ein Paparazzo und wollte auch keiner sein. Ich habe es mir zum obersten Gebot gemacht, immer zu fragen: May I take a picture? Ich hatte auch einen wunderschönen schweren deutschen Akzent, der sehr geholfen hat. Das haben die Amerikaner echt sehr gemocht. Mit der Zeit habe ich auch meine Scheu vor Berühmtheiten verloren, weil ich festgestellt habe: Das sind auch nur Menschen wie du und ich. Sie haben dieselben Bedürfnisse, dieselben Gefühle – und wünschen sich Respekt.
Wie ging es dann weiter?
WESENER Ich habe nach etwa zehn Jahren aufgehört, das Nachtleben zu fotografieren, weil es gesundheitlich zu gefährlich wurde – ohne jetzt ins Detail zu gehen. Ich habe eine Italienerin kennengelernt und mit ihr zwei Kinder bekommen. Weil ich nicht wollte, dass sie in New York aufwachsen, sind wir nach Italien ins Veneto gezogen. Dort habe ich 20 Jahre lang gelebt. Jetzt sind die Kinder erwachsen und ich bin geschieden. 2008 bin ich dann wieder nach New York gezogen.
Da kamen Sie aber in ein ganz anderes New York ...
WESENER Das stimmt, alles war schwieriger, alles war teurer. Die Situation in den Zeitungsverlagen veränderte sich rapide. Das bekamen vor allem Freie wie ich zu spüren. Das FAZ-Magazin war bereits zur Jahrtausendwende eingestellt worden. Ich habe dann viel für britische Magazine gearbeitet, für den „Observer“und das „Telegraph Magazine“, und habe mich auf Familienporträts konzentriert. Aber heute denkt jeder, das kann er selbst machen.
Was können Sie, was andere nicht können?
WESENER Ich glaube, ich habe ein geschenktes Talent für Komposition. Das hängt wahrscheinlich auch mit meiner Liebe zur Musik zusammen. Und ich kann gut auf Menschen zugehen und innerhalb kürzester Zeit eine Vertrauensbasis schaffen. Oft hat man nur fünf oder zehn Minuten Zeit, um Prominente zu fotografieren. In dem Moment, wo einem die Person, die man porträtiert, vertraut, ist die Sache schon gewonnen.
Vor zwei Jahren haben Sie New York verlassen und sind an die Mosel nach Bullay zurückgekehrt.
WESENER Ich will mich jetzt um meine 90-jährige Mutter kümmern ... – und für mich schließt sich mit der Rückkehr ein Kreis. Meine Wurzeln sind hier, und auch wenn ich ein wildes Leben geführt habe und vielleicht viele Jahre lang weggelaufen bin, heißt es nicht, dass man nicht wieder zurückkommen kann. Jetzt bin ich hier – und fühle mich wohl.