Die rheinland-pfälzischen Spitzenkandidaten für die Europawahl
Erfahrene Politiker und Neulinge: Die rheinlandpfälzischen Spitzenkandidaten für Europa und ihre Chancen.
(dpa) Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, stammt zwar aus RheinlandPfalz, ist aber ein Vorschlag der Bundespartei. Die Landes-SPD hat für ihren Spitzenkandidaten nur einen hinteren Platz auf der Bundesliste durchsetzen können. RheinlandPfälzer aus anderen Parteien haben da bessere Karten. Ein Überblick über die Kandidaten:
Katarina Barley (SPD): Die 55-Jährige ist eine der Vizepräsidentinnen des Europäischen Parlaments. Die deutsch-britische Juristin aus dem Raum Trier ist mit einem Niederländer verheiratet und spricht mehrere Sprachen. Dem EU-Parlament gehört sie seit 2019 an. Zuvor war sie Bundesministerin und SPD-Generalsekretärin. Sie ist auch Mitglied des Vorstands der Bundes-SPD. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören in Brüssel zu ihren Schwerpunktthemen. Barley warnt schon länger vor einem Rechtsruck im Parlament und fordert die Bürger auf, am 9. Juni wählen zu gehen und einer demokratischen Partei ihre Stimme zu geben.
Karsten Lucke (SPD): Der 49 Jahre alte gebürtige Kieler ist seit 2022 Mitglied des EU-Parlaments und würde gerne weiter machen. Bei der Wahl des rheinland-pfälzischen Spitzenkandidaten Ende 2023 setzte er sich auf dem Landesparteitag überraschend mit einer flammenden Rede für Europa gegen den vom Vorstand einstimmig vorgeschlagenen Daniel Stich durch. Einen aussichtsreichen Platz auf der Bundesliste bekam er aber – trotz der Unterstützung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer – nicht. Er geht auf Platz 20 ins Rennen. Die SPD muss Schätzungen zufolge am 9. Juni auf rund 20 Prozent kommen, damit er wieder ins Parlament einziehen kann.
Lucke lernte nach eigenen Worten schon als Junge bei den Pfadfindern in der Begegnung mit jungen Menschen aus anderen Ländern, dass sie bei allen Unterschieden die gleichen Sorgen und Nöte haben. Thematische Schwerpunkte seiner Parlamentstätigkeit sind bisher Außen- und Entwicklungspolitik, und er ist Mitglied im Sonderausschuss zu den Erkenntnissen aus der Corona-Pandemie und den Zukunftsempfehlungen. Lucke, der 1994 in die SPD eintrat, ist aber im Westerwald auch kommunalpolitisch aktiv. Er ist unter anderem ehrenamtlicher Ortsbürgermeister von Lautzenbrücken und kandidiert bei der Kommunalwahl auch wieder.
Christine Schneider (CDU):
Die Pfälzerin aus Landau ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und parlamentarische Geschäftsführerin
der CDU/ CSU-Gruppe. Sie ist Spitzenkandidatin auf der CDU-Landesliste und wird vier Tage vor der Europawahl 52 Jahre alt. Thematisch befasst sich Schneider auch vor allem mit Weinbau, Landwirtschaft und ländlicher Entwicklung. Sie engagiert sich auch im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie im Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter sowie für die Beziehungen zu Südafrika und dem Panafrikanischen Parlament. Von 1996 bis zu ihrer Wahl ins Europaparlament 2019 war die gelernte Tischlerin Landtagsabgeordnete in Mainz mit den politischen Schwerpunkten Landwirtschaft, Weinbau, Umwelt- und Forstpolitik. Die letzten drei Jahre ihrer Abgeordnetenzeit war sie auch stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende. Seit Mai 2022 steht Schneider an der Spitze des CDU-Bezirks Rheinhessen-Pfalz.
Die rheinland-pfälzische CDU hofft, dass nicht nur Schneider und der ehemalige Westerburger Bürgermeister Ralf Seekatz (Platz 2) wieder in das Parlament einziehen können, sondern auch die 28 Jahre alte Carolin Hostert-Hack aus der Westeifel. Dafür wären Berechnungen zufolge wohl etwa 35 Prozent der Stimmen notwendig. Die CDU hat anders als die
anderen Parteien keine bundesweite Liste, sondern Landeslisten.
Jutta Paulus (Grüne): Die 56-jährige Jutta Paulus wurde im hessischen Gießen geboren und kam nach dem Studium in Marburg in die Pfalz. Die gelernte Pharmazeutin und Mutter zweier erwachsener Kinder war einst Abgeordnete im Marburger Stadtparlament. In Rheinland-Pfalz war sie nach der Landtagswahl 2016 Mitglied der grünen Gruppe bei den Koalitionsverhandlungen, die schließlich in die Bildung der ersten Ampel-Koalition im Land mündeten.
Von Mai 2017 bis Ende 2019 war Paulus Co-Vorsitzende der rheinlandGrünen neben Josef Winkler, seit 2019 sitzt sie im Europaparlament. Bei dieser Europawahl steht sie auf Platz neun der bundesweiten Liste ihrer Partei und dürfte bei einem Ergebnis ab zehn Prozent für die Grünen sicher wieder ins Parlament einziehen.
Als einen Schlüsselmoment in ihrem Leben schildert sie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl aus dem Jahr 1986. Seitdem begleiteten sie die Themen Umwelt und Energie. Eines ihrer Hauptanliegen ist es nach eigener Aussage, dass eine „konservativ-rechte Allianz den Europäischen Green Deal nicht weiter zerstören kann“. Auf dem Parteitag der rheinland-pfälzischen
Grünen im April in Lahnstein rief sie den Delegierten zu, sie könne es nicht mehr ertragen, wenn etwa Christdemokraten mit Rechten flirteten, um Umweltschutz zu schleifen.
Alexander Jungbluth (AfD):
Der aus Nierstein stammende Alexander Jungbluth ist auf Platz fünf der AfDListe für die Europawahl gewählt worden. Damit werden dem 37-Jährigen gute Chancen eingeräumt, ins Europaparlament einzuziehen. Es wäre nach Angaben der Partei das erste Mal, dass ein Vertreter der AfD aus Rheinland-Pfalz in Brüssel vertreten sein wird. Mit den Schwerpunktthemen Finanzen und Währung war der Volkswirt im Eurowahlkampf unterwegs. Bei seiner Bewerbung um Listenplatz fünf auf der Europawahlversammlung in Magdeburg im vergangenen Jahr wetterte er gegen „Multikulti“und rief „Deutschland zuerst“.
Jungbluth war langjähriger Landesvorsitzender der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative in Rheinlandund ist Vize-Vorsitzender des AfD Kreisverbands Mainz-Bingen. Er ist seit dem Gründungsjahr der Partei im Jahr 2013 AfD-Mitglied. Der zweifache Familienvater lebt im rheinhessischen Dexheim.
Sandra Weeser (FDP): Die 54-Jährige machte kürzlich auf sich aufmerksam, als sie sich in einem Brief an die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD) wandte und bei der Hilfe für das flutgeschädigte Ahrtal eine bessere Koordination zwischen Bund und Land forderte. Weeser, deren Wahlkreis Neuwied-Altenkirchen im Norden von Rheinland-Pfalz ist, sitzt seit 2017 im Bundestag, dort ist sie auch Vorsitzende des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauen und Kommunen. Für die FDP aktiv wurde sie 2006 zunächst im Ortsverband ihrer Heimatstadt Betzdorf. Mittlerweile ist die gelernte Betriebswirtin, die früher unter anderem im Management eines Maschinenbauunternehmens tätig war, auch Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand der FDP Rheinland-Pfalz und Bezirksvorsitzende der FDP Koblenz. Nun möchte Weeser, die in Frankreich studiert und gearbeitet hat, mit einem Franzosen verheiratet ist und seit einigen Jahren auch die französische Staatsbürgerschaft hat, den Schritt ins Europaparlament gehen. Auf der bundesweiten Liste der FDP steht sie auf Rang 25. Aktuell haben die Freien Demokraten, die bei der Wahl 2019 bundesweit 5,4 Prozent der Stimmen holten, fünf Vertreter im Europaparlament. Weeser würde als Europaparlamentarierin nach eigener Aussage ihr Netzwerk nutzen wollen, um die EU bürgernäher und transparenter zu machen. Die EU müsse reformiert werden, betont sie in einem Vorstellungsvideo zur Europawahl. „Nur so kann die Akzeptanz steigen.“
Joachim Streit (Freie Wähler):
Joachim Streit ist Gründungsmitglied der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz und vertritt seine Partei auch im rheinland-pfälzischen Landtag. Im Parlament in Mainz sitzt er der Fraktion seit dem Jahr 2021 als Vorsitzender vor. Seit diesem Jahr ist der 58-Jährige auch stellvertretender Bundesvorsitzender der Freien Wähler. Streit war vor seiner Tätigkeit als Landtagsabgeordneter von 1997 bis 2009 Bürgermeister von Bitburg, danach bis zu seinem Einzug in den rheinland-pfälzischen Landtag Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm. Wichtig in den Angaben zu seinem persönlichen Lebenslauf ist Streit auch, dass er Reserveoffizier mit dem Rang des Majors ist. Der Jurist stammt gebürtig aus Trier, hat drei Kinder und lebt in Bitburg. Im Europawahlkampf sind die wichtigsten Themen von Streit die Sicherung der Außengrenzen und eine Steuerpolitik zur Steuerung von Investitionen. Der Politiker der Freien Wähler tritt zudem gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden und ein kommunales Denken von Europa ein. Auf der Europawahlliste seiner Partei rangiert der 58-Jährige auf Platz drei.
Gerhard Trabert (Linke): Der parteilose Sozialmediziner wurde durch seine Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl 2022 für die Linke bundesweit bekannt. Bei seinem zentralen Thema der sozialen Ungerechtigkeit sieht er sich den Linken am nächsten. Er betont aber auch, niemals in eine Partei eintreten zu wollen. In seiner Heimatstadt Mainz ist der 67-Jährige seit vielen Jahren mit dem Arztmobil unterwegs. Der vierfache Vater und bald dreifache Großvater steht auch hinter dem in Mainz sitzenden Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“. Trabert reist oft in Krisengebiete wie Syrien, engagiert sich stark in der Flüchtlingshilfe. Aufgewachsen ist er in einem Mainzer Waisenhaus, aber als Privilegierter, wie er selbst sagt, denn sein Vater arbeitete dort als Erzieher. In den 1970er-Jahren war Trabert erfolgreicher Leichtathlet, startete für den USC Mainz, 1975 wurde er etwa mit der 4x400m Staffel Vize-Junioren-Europameister und 1977 Dritter mit der 4x400m Staffel bei den Studentenweltmeisterschaften. Irgendwann habe es für ihn aber nicht mehr zusammengepasst, Leistungssport zu betreiben und Sozialarbeit zu studieren. Ob ihm der Einzug ins Europaparlament gelingt, bleibt abzuwarten. Bei der Wahl 2019 holte die Linke deutschlandweit 5,5 Prozent und eroberte fünf Sitze im Parlament – dann wäre Trabert als Nummer vier auf der bundesweiten Liste der Partei drin.