Trierischer Volksfreund

Warum immer noch Menschen in Triers zerstörter Partnersta­dt Isjum leben

Gerade ist die Städtepart­nerschaft zwischen Trier und Isjum unterzeich­net worden. Dazu kam auch der Bürgermeis­ter aus der Ostukraine nach Trier. Was er aus seiner Heimatstad­t berichtet, ist erschütter­nd. Doch es gibt auch Hoffnung.

- VON JAN-NIKLAS SCHMITZ

Die nun zehnte Städtepart­nerschaft Triers ist besiegelt – dieses Mal mit der ukrainisch­en Stadt Isjum. Dafür ist der Bürgermeis­ter der Stadt, Valerii Marchenko, angereist. Mit dem Oberbürger­meister Wolfram Leibe und weiteren Vertretern beider Städte ist das Projekt zeremoniel­l gestartet. Eine Partnersch­aft, die Frieden stiften soll.

Die Geschichte von Isjum ist eine besonders traurige. Russische Streitkräf­te haben die Stadt im März 2022 besetzt. Hinterlass­en wurde eine Schneise der Zerstörung. Nachdem ukrainisch­e Militärs die Stadt im September 2022 zurückerob­ert hatten, wurden Massengräb­er mit Hunderten Leichen gefunden. Unter den Opfern waren größtentei­ls Zivilisten aus Isjum. Spuren deuten laut Bürgermeis­ter unter anderem auf Folter durch russische Angreifer hin.

Der Wiederaufb­au der Stadt Isjum

Laut Valerii Marchenko wurde die Stadt in der Ostukraine zu 80 Prozent zerstört. Dennoch sind viele Menschen geblieben – trotz russischer Angriffe. „Momentan sind es 27.000 Menschen, die in Isjum

leben. Sie leben dort, weil sie ihre Heimat lieben. Sie wollen zu Hause leben. Und sie wollen unsere Stadt wiederbele­ben“, sagt er.

Nach der Befreiung haben die Menschen in Isjum vieles wiederaufg­ebaut, berichtet der ukrainisch­e Bürgermeis­ter. „Am Anfang hatten die Menschen nichts. Inzwischen haben sie Zugang zu allen Dienstleis­tungen. Jetzt gibt es wieder Strom, Wasservers­orgung und Heizung. Wohngebäud­e und die Infrastruk­tur im zivilen Bereich werden rekonstrui­ert. Den großen Wiederaufb­au schaffen wir aber nicht alleine. Dafür brauchen wir Hilfe.“

Auch militärisc­he Unterstütz­ung sei notwendig. „Im militärisc­hen Bereich brauchen wir vor allem Waffenlief­erungen. Es ist für uns sehr schwer, Russland alleine Widerstand zu leisten.“Laut Vasilii Marchenko

besteht für die Stadt – derzeit – keine akute Bedrohung. Eine Gefahr seien weiterhin russische Raketen, die in der ganzen Ukraine verteilt landen. Vasilii Marchenko vertraut auf die ukrainisch­en Truppen. Optimistis­ch blickt er in die Zukunft. „Wir hoffen, dass es nicht mehr zu einer Besatzung kommt.“

Triers Oberbürger­meister Wolfram Leibe sieht von einem Besuch in der Partnersta­dt noch ab. „Die Stadt ist nur 30 Kilometer von der Front entfernt. Auch dauert die Trauerarbe­it wegen der Ermordung von über 1000 Bürgerinne­n und Bürgern noch an“, sagt er. Erste Pläne, jungen Besuch aus der Ukraine willkommen zu heißen, gibt es aber schon. „Wir versuchen, im Sommer eine Gruppe von Kindern und Jugendlich­en nach Trier zu holen, damit sie eine Zeit ohne Krieg erleben können.“

Zudem appelliert Leibe an Trierer Bürger, ihrer neuen Partnersta­dt unter die Arme zu greifen. „Öffentlich-rechtlich als Stadt sind wir zu wenige, um alles zu leisten. Aber die Partnersch­aftsverein­e mit einem Mitgliedsb­eitrag oder einer Sachspende zu unterstütz­en – das wäre toll!“

Hoher Besuch aus Frankfurt: der ukrainisch­e Generalkon­sul Vadym Kostiuk

Beim Unterzeich­nen der Städtepart­nerschaft ist der ukrainisch­e Generalkon­sul, Vadym Kostiuk, ebenfalls anwesend. Er findet es wichtig, dass sich die Städte kulturell annähern. „In der Ukraine ist Deutschlan­d bekannt. In Deutschlan­d sind Ukrainer weniger bekannt. Oft werden wir noch mit Russen gleichgest­ellt. Deswegen ist es wichtig, dass politische und kulturelle Veranstalt­ungen stattfinde­n. Die sollten unsere Geschichte und Kultur durch unsere Augen zeigen, und nicht das, was durch russische Propaganda verkehrt dargestell­t worden ist.“

Wie ordnet er das aktuelle Geschehen an der Front ein? „An manchen Stellen haben die russischen Angreifer schon erste Abschirmli­nien erreicht. Weiter können sie nicht vordringen. Die Kräfte gehen ihnen aus. Im Gegensatz dazu bekommen wir mehr und mehr Waffen und Munition aus Europa, von den USA und anderen westlichen Partnern. Wir hoffen, bald imstande zu sein, die Angreifer auf diesem Grenzabsch­nitt wieder nach Russland zu vertreiben.“

Mit Blick auf diese Situation hofft Vadym Kostiuk auf weitere militärisc­he Unterstütz­ung durch die EU. „Taurus-Raketen, Waffen und Munition. Nur damit können wir die russischen Angreifer verdrängen. Wir brauchen natürlich Luftabwehr­systeme. Damit könnten wir, unter anderem, die Region Isjum vor russischen Raketen und Flugzeugen schützen.“Auch wünscht er sich einen klaren, politische­n Konsens. „Es fehlt für meine Begriffe die Einigkeit bei der Entscheidu­ng wichtiger Fragen wie europäisch­er Sicherheit und Frieden. Da finde ich, sind parteipoli­tische Spielchen nicht an der Zeit.“

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FOTO: JAN-NIKLAS SCHMITZ Viele Vertreter aus Trier und der neuen Partnersta­dt Isjum haben sich für die Zeremonie eingefunde­n.

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