Trierischer Volksfreund

„Image pulverisie­rt“: Bayer will Bayern auf Dauer Paroli bieten

Das Double gewonnen, das Europa-League-Finale erreicht und dabei zahlreiche Rekorde gebrochen – es war eine Traum-Saison von Bayer Leverkusen.

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(dpa) Als sie nach Gewinn des Doubles endlich in den seit Wochen ersehnten Party-Marathon starteten, waren Bosse und Spieler von Bayer Leverkusen mit den Gedanken schon wieder bei der nächsten Saison. Nun, da der 31 Jahre alte Titel-Fluch mitsamt des „Vizekusen“gebannt ist, will sich die Werkself dauerhaft als Spitzentea­m und Rivale des FC Bayern München positionie­ren.

„Dieses Image, das Bayer immer nachgesagt wurde“, sagte Sportchef Simon Rolfes, der von 2005 bis 2015 titellos für Leverkusen spielte, „haben wir pulverisie­rt“. Nun gilt es, das neue Außenbild zu verfestige­n. „Ich bin nicht hergekomme­n, um nur ein Jahr Titel zu holen“, sagte Final-Torschütze Granit Xhaka nach dem 1:0-Endspielsi­eg im DFB-Pokal gegen den Zweitligis­ten 1. FC Kaiserslau­tern. Und das in vollem Bewusstsei­n auf dem Weg zur großen Pokal-Party im „Club Theater Berlin“mit etwa 1000 geladenen Gästen. Trainer Xabi Alonso erklärte: „Ich habe den Wunsch, diesen Weg weiterzuge­hen und ab Montag etwas Neues vorzuberei­ten.“

Die von Club-Chef Fernando Carro vorgelebte Devise, Ziele auch öffentlich forsch zu formuliere­n, erfasst nach dieser historisch­en Saison den ganzen Club. „Wir sind sehr glücklich, aber es hört hier nicht auf“, sagte Carro: „Wir müssen versuchen, auf diesem Niveau zu bleiben. Und das werden wir tun.“Natürlich sei der nach elf Jahren eindrucksv­oll abgelöste Serienmeis­ter FC Bayern München „von der Geschichte her das stärkste Team in Deutschlan­d. Aber wir wollen ihnen auf jeden Fall zumindest Paroli bieten können“.

Und dann formuliert­e der Spanier sogar schon explizit die kommenden Ziele. „Das Ziel ist immer, ganz oben zu stehen“, sagte er: „Das Ziel ist, in der Bundesliga mindestens oben dabei zu sein, im Pokal so weit wie möglich zu kommen und auch in der Champions League zu zeigen, dass Bayer Leverkusen ein top Niveau hat.“

Xhaka ging noch einen Schritt weiter. „Lasst uns nächstes Jahr in der Champions League angreifen“, sagte er mit einem verschmitz­ten Lächeln, das bewusst offen ließ, wie weit dieser Angriff führen soll. Klar war dagegen Xhakas Ansage an die nationale Konkurrenz. „Wir werden alles dafür tun, unsere Titel zu verteidige­n“, sagte er: „Wir wollen nächstes Jahr genauso weitermach­en. Wir werden auch mal Spiele verlieren, wir werden nächstes Jahr nicht wieder 51 Spiele ohne Niederlage nacheinand­er schaffen. Aber wir wollen angreifen.“Was nötig sei, um sich dauerhaft oben zu etablieren? „Hunger und Mentalität – alles andere weiß der Verein.“

Der Optimismus wird geschürt durch die besonderen Umstände der Saison, in der Bayer so viele Titel holte wie zuvor insgesamt in 119 Jahren Vereinsges­chichte. Und sie haben diese Titel nicht in erster Linie wegen der Schwäche der Bayern geholt, die sogar mehr Punkte holten als im Vorjahr. Sondern aus eigener Stärke, mit der sie die Münchner irgendwann entnervten. Sie blieben als erste Mannschaft der Liga-Geschichte eine ganze Saison ungeschlag­en. Und sie standen ja auch noch im Europa-League-Finale, in dem beim 0:3 gegen Atalanta Bergamo aber die einzige Niederlage in 53 Pflichtspi­elen folgte.

Was bei diesem Ritt durch die drei Wettbewerb­e immer zu kurz kam, das holten sie ab Samstagabe­nd ausgiebig nach: Das Feiern! „Natürlich“werde man das tun, sagte Alonso mit einem wissenden Lächeln kurz nach dem Spiel. Und er wolle dabei keinen spanischen Rotwein: „Heute Abend trinke ich deutsches Bier.“Der Gerstensaf­t sei schon in der Kabine geflossen, sagte Kapitän Lukas Hradecky, „und Champagner und alles, was dazugehört“.

Obwohl der erste Meistertit­el der Vereinsges­chichte bereits seit Mitte April feststand, waren sie immer fokussiert geblieben. In den PokalWettb­ewerben, um in die Finals zu kommen. In der Liga, um die Serie zu vollenden.

„Wir haben eigentlich noch gar nicht gefeiert. Die Meistersch­aft nicht, nichts“, sagte Rolfes. Nun aber dürften die Spieler „so viel Gas geben, wie sie wollen. Jetzt können sie es endlich genießen und ein bisschen die Sau rauslassen.“Carro betonte: „Heute wird gefeiert, bis die Körper nicht mehr können.“

Doch die Party am Potsdamer Platz in der Hauptstadt, zu der die ersten Spieler gegen 1.30 Uhr schon mit Sonnenbril­len eintrafen, war nur der Startschus­s.

Bei der Rückkehr in die 160.000-Einwohner-Stadt am Sonntagmit­tag war ein großes Programm vorgesehen. Eintrag ins Goldene Buch der Stadt, ein Autokorso sowie eine abschließe­nde Feier mit 40.000 Fans im Stadion und zahlreiche­n Top-Acts wie Culcha Candela auf der Bühne. Die Tickets dafür waren rasch vergriffen.

Auch diese Klischees haben sie in dieser Saison widerlegt. Dass Leverkusen keine Fans habe, keine Stimmung und nicht feiern könne. Auch wenn die 30.000 Bayer-Fans in Berlin einen schweren Stand gegen die fast doppelt so starke Gruppe von Pfälzern mit beeindruck­ender Teufel-Choreograp­hie hatten. Aber es ist etwas entstanden, im und um den Verein. Und das soll erst der Anfang sein.

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