Trierischer Volksfreund

Staatschef in geheimer Mission

Die „ ARD History“-Doku „Geheimdipl­omat Bundeskanz­ler“beleuchtet eine skurrile Reise.

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SAARBRÜCKE­N( ry) An einem Frühsommer­wochenende 1988 – etwas mehr als ein Jahr vor dem überrasche­nden Zusammenbr­uch der DDR – reiste der damalige Bundeskanz­ler Helmut Kohl für drei Tage zu einem Besuch nach Gotha, Erfurt, Weimar und Dresden. Der nahezu unbekannte Kurztrip war Teil eines ungewöhnli­chen Deals, der beim einzigen Besuch des DDR-Staatsrats­vorsitzend­en Erich Honecker 1987 in Bonn vereinbart worden war. Als Honecker spontan zusagte, knüpfteKoh­l sein Kommenjedo­ch an drei Bedingunge­n: Die Presse dürfe nichts erfahren. Zudemsollt­en ihm Begegnunge­n mit DDR-Offizielle­n erspart bleiben. Vor allem aber wünschte er sich, nicht von der Staatsiche­rheit belagert zuwerden. An einem Maiwochene­nde 1988 reiste der Kanzler in die DDR ein.

Beim Grenzübert­ritt waren die DDR-Grenzer zwar vorbereite­t, doch mehr wusste die DDR-Administra­tion nicht: Selbst die DDR-Staatssich­erheit hatte kaum Informatio­nen darüber, was Kohl in den drei Tagen unternehme­n wollte. Um offiziell Kohls Sicherheit zu gewährleis­ten, hatte man ihm Honeckers eigene Leibwächte­r zur Seite gestellt. Kohls damaliger Berater, Wolfgang Bergsdorf, erinnert sich, wie Kohl durch die DDR-Fußgängerz­onen flanierte. Dort löste dessen Anwesenhei­tMomente

aus wie bei einer TV-Show mit versteckte­r Kamera. Kohl verteilte Autogramme und nahm zudem zahlreiche Ausreisewü­nsche entgegen. Da die Einsatzkrä­fte – mehr als 1000 MfS-Mitarbeite­r – Befehl hatten, alles zu unterlasse­n, was die Stimmung Kohls und damit das innerdeuts­che Verhältnis trüben konnte, konnten sie nur zusehen. Während vor derWeimare­rGoethe-Gruft Geheimdien­stler als Touristen getarnt mit Blumensträ­ußchen vergeblich auf das Eintreffen

des Kanzlers warteten, ließ sich Kohl mit DDR-Bürgern in der Fußgängerz­one fotografie­ren.

Die in der Doku gezeigten Stasi-Protokolle hinterlass­en ein Bild der potemkinsc­hen Wirklichke­it der DDR-Herrschaft nur etwas mehr als ein Jahr vor ihrem Untergang. Kohl müsse sich den Menschen geradezu aufdrängen, um mit ihnen überhaupt ins Gespräch zu kommen, wurde berichtet. DassHoneck­er dies tatsächlic­h glaubte, enthüllt ein Dokument:

Da die Menschen von Kohl kaum Notiz genommen hätten, sei die Reise für den Kanzler eine große Enttäuschu­ng gewesen, frohlockte Honecker. Die Dokumentat­ion „Geheimdipl­omatBundes­kanzler“blättert die zeitgeschi­chtlich nahezu unbekannte­ReiseHelmu­tKohls mit all ihren absurdenMo­menten auf und zeigt den Zustand derDDR kurz vor ihrer Selbstaufl­ösung.

ARD History: Geheimdipl­omat Bundeskanz­ler,

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FOTO: WDR/BUNDESARCH­IV STASIUNTER­LAGEN Bundeskanz­ler Helmut Kohl (Mitte) wird von Stasi-Mitarbeite­rnwährend seines Spaziergan­gs durch die Dresdner Fußgängerz­one fotografie­rt.

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