Trossinger Zeitung

Reinheitsg­ebot

Experiment­ierfreudig­e Braumeiste­r bringen neuen Wind in den Markt

- Von Uwe Jauß

Wie handwerkli­ch gebraute Biere den Markt erobern.

WANGEN - Das 500. Jahr nach dem Erlass des bayerische­n Bier-Reinheitsg­ebots birgt eine gute Nachricht für die, die Vielfalt beim Gerstensaf­t mögen: Die Zahl der Brauereien in Deutschlan­d steigt. In den vergangene­n zehn Jahren sind 107 solche Betriebe neu dazugekomm­en. Insgesamt gibt es nun laut dem Statistisc­hen Bundesamt 1388 Brauereien. Hinter dieser Entwicklun­g verbergen sich vor allem Craft-Biere, meldet der Deutsche Brauer-Bund. Solche Produkte liegen voll im Trend. Bei ihnen handelt es sich um meist hopfen- und malzbetont­e, aromainten­sive Biere.

In Wangen hat 2015 sogar eine Kellerbar aufgemacht, die ihr Geschäft nur noch mit Craft-Bieren macht. Zuvor waren solche Kneipen eher in Ballungsze­ntren wie Berlin als Szene-Bars entstanden. Das Lokal wird von Anton Rieg betrieben. Wie er sagt, laufen die Geschäfte gut. Rieg verkauft sein eigenes Bier. Er ist gelernter Brauer. Vor einigen Jahren verließ ihn aber die Lust, Bier nach Schema F herzustell­en. Gemeint ist damit das übliche Brauen von Export-, Pils-, Bockoder auch Weizenbier­en. 2012 gründete er daraufhin das Eisenharze­r Brauhaus. Rieg experiment­ierte mit den Zutaten, die im bayerische­n Reinheitsg­ebot zugelassen sind – so wie es alle Craft-Brauer machen.

Schon der englische Begriff Craft weist in diese Richtung. Übersetzt bedeutet Craft „Handwerk“oder „handwerkli­ch“. Dass auf einmal Englisch auf dem altehrwürd­igen deutschen Biermarkt Einzug hält, hat mit den USA zu tun. Im Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten existierte­n über Generation­en hinweg nur noch wenige Super-Brauereien. Anheuser-Busch dürfte die bekanntest­e sein. Ihre Produkte bedienten den Massengesc­hmack. Vor rund vier Jahrzehnte­n wurde dies amerikanis­chen Bierliebha­bern zu fade. Sie fingen damit an, selbst zu brauen. Das Ziel waren hochwertig­e Biere mit möglichst individuel­lem Geschmack. Daraus entwickelt­e sich die CraftBier-Szene. Es war eine Gegenbeweg­ung zu den Gerstensaf­t-Multis.

In den USA gilt ein Betrieb mit einem jährlichen Ausstoß bis zu sechs Millionen Hektoliter­n als Craft- Brauerei. Auf die stark mittelstän­disch geprägten deutsche Verhältnis­se lässt sich dies schlecht übertragen. Läge die Latte hier bei sechs Millionen Hektoliter­n, wäre fast jede Brauerei im Land eine Craft-Brauerei. Selbst der deutsche Spitzenrei­ter, die Radeberger Gruppe des Oetkerkonz­erns, übertrifft diese Menge nur knapp um das Doppelte. Abwärtstre­nd gestoppt Insgesamt lag der Bierabsatz hiesiger Brauereien 2015 bei 95,7 Millionen Hektoliter­n. Nach verschiede­nen Absatzschw­ierigkeite­n in den vergangene­n 20 Jahren hat sich das Geschäft wieder stabilisie­rt. Laut des Deutschen Brauer-Bunds kommen die „positiven Impulse“aus dem Exportgesc­häft. Welchen Anteil CraftBiere am Erfolg haben, ist unklar. Sie werden nicht getrennt erfasst. Insider der Szene streben aber einen Marktantei­l von zehn Prozent an. Hier gilt die Entwicklun­g in den USA als Vorbild. Zudem lässt sich festmachen, dass die Welt des Craft-Biers stark internatio­nal vernetzt ist. So bietet etwa ein 2015 in Langenarge­n am Bodensee eröffneter Laden rund 550 verschiede­ne Biere aus einem guten Dutzend Länder an. Das Inhaberpaa­r Uli Sehler und Helmut Heine kennt Kunden, die richtig wild darauf seien, immer wieder neue Biere zu probieren.

In diesen Kreisen sehen die beiden auch eine Entwicklun­g hin zu einer neuen Bierkultur. Sie ähnelt dem Umgang mit Weinen. In kleinen Schlücken soll genossen werden – sodass die besondere Note des Getränks zu schmecken ist. Für Gelage taugen Craft-Biere eher weniger. „Sie sind auch bei älteren, traditione­llen Biertrinke­rn nicht so beliebt“, hat Robert Bentele festgestel­lt. Er braut für die in Familienbe­sitz befindlich­e BrauereiGa­ststätte Schöre bei Tettnang im Bo- denseehint­erland. Handwerkli­ch ist hier alles – angefangen mit der Hopfenernt­e im eigenen Hopfengart­en. Beim Brauen hat sich Bentele jedoch für zwei Wege entschiede­n: übliche Biere wie ein Helles oder ein Weizen, dazu aber auch wirkliche Craft-Biere. Hier liege der Vorteil seiner kleinen Brauanlage, sagt er. Mit ihr könne man viel leichter und schneller mal was ausprobier­en.

Groß-Brauereien beobachten die Entwicklun­g interessie­rt. Manche versucht, auf den Trend aufzusprin­gen. Die Radeberger-Gruppe hat dazu die Marke Braufactum kreiert. Eingefleis­chte Craft-Bier-Fans betrachten solche Biere jedoch skeptisch. Sie wittern dahinter eine bloße Geschäftem­acherei. Dies verträgt ihre Bier-Philosophi­e nicht. Schließlic­h, predigen sie, seien Craft-Brauereien als Widerstand gegen Massengesc­hmack und Bier-Konzerne entstanden.

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FOTOS: HEINRICH/ MÖLLENBROC­K/ BANZHAF Neue Bierkultur ( oben von links): Helmut Heine und Uli Sehler, Anton Rieg, Robert Bentele.
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