Grüne Doppelspitze bleibt
Agnieszka Brugger warnt vor „Rolle rückwärts“
BERLIN (sal) - Winfried Kretschmanns Kritik an Doppelspitzen können viele Grüne nicht nachvollziehen. „Die Verteilung von Macht und Einfluss in der Doppelspitze ist kein Relikt aus der grünen Vergangenheit, sondern ein Ausdruck moderner und geschlechtergerechter Führungskultur“, sagte die grüne Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger der „Schwäbischen Zeitung“. „Andere Parteien diskutieren, ob sie Doppelspitzen einführen, wir Grüne sollten doch gerade dann keine Rolle rückwärts machen.“Parteichefin Simone Peter sagte, Männern falle es schwer, Macht zu teilen. Genau deswegen halte man an der Doppelspitze fest.
In Berlin wurde Kretschmanns Kritik nicht als Vorstoß aufgefasst, die Doppelspitze abzuschaffen. Diese sei auf dem vergangenen Parteitag für die Urwahl der Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl ohne Widerspruch beschlossen worden.
BERLIN - Ball flach halten, heißt die Devise. „Das war doch kein Vorstoß“, heißt es bei den Grünen in Berlin zu Winfried Kretschmanns Kritik an grünen Doppelspitzen. Der baden-württembergische Ministerpräsident habe doch eigentlich nur das gesagt, was er schon immer gesagt habe. Und dieser eine Satz habe ja auch nur in einem großen Interview der „Süddeutschen Zeitung“gestanden. Dass Kretschmann jetzt bewusst an der Doppelspitze rütteln will, glaubt niemand.
Kretschmann hat allerdings ein Problem angesprochen, das vielen Grünen bewusst ist. Die Doppelspitze ist irgendwie auch zu einer RealoFundi-Doppelspitze geworden. Da bisher für die Urwahl zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2017 die dem Realo-Flügel zugerechnete Katrin Göring-Eckardt als einzige weibliche Bewerberin ihren Hut in den Ring warf, rechnen viele damit, dass dann als zweiter Spitzenkandidat nur ein linker Mann, sprich Anton Hofreiter, infrage kommt. Ausgeschlossen wären so Parteichef Cem Özdemir oder Robert Habeck, der schleswig-holsteinische grüne Vizeministerpräsident, die beide eher für einen Realo-Kurs stehen.
Die Doppelspitze wurde bei den Grünen geschaffen, um Frauen nach vorne zu bringen. Deshalb reagierten die grünen Frauen auch etwas alarmierter als der Rest der Partei. Die Doppelspitze sei eine feministische Errungenschaft und keine Flügelquote, klärte Gesine Agena, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, auf. „Alter weißer Mann“Richtig spitz twitterte Jamila Schäfer, Sprecherin der Grünen Jugend: „Danke, Winfried, wir haben alle nur darauf gewartet, dass uns ein alter weißer Mann erklärt, dass die Doppelspitze überholt ist.“Die grüne Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger meint zur Doppelspitze: „Wenn sogar unser Ministerpräsident Winfried Kretschmann dreißig Jahre erfolglos dagegen angekämpft hat, stehen die Chancen gut, dass sie auch weitere 30 Jahre überlebt.“
Insgesamt aber schwanken nicht nur die grünen Frauen, sondern auch der gesamte linke Flügel zwischen Bewunderung für den erfolgreichen Winfried Kretschmann und gelegentlichem Missmut über dessen Kurs und dessen Empfehlungen.
Sein Erfolg ist zwar so unbestritten, dass man bemüht ist, von ihm zu lernen – aber bitte nicht die Realpolitik wie beim Asylkompromiss. In Sachen Personalisierung und vielleicht auch beim Habitus könne man aber etwas bei ihm abgucken, heißt es. Schließlich habe es Kretschmann geschafft, mit einem linken Programm im Rücken auch Wähler anzusprechen, die bestimmt kein grünes Parteiprogramm unterschreiben würden.
Ansonsten aber sind sich alle einig: Die Doppelspitzendiskussion ist zurzeit kein Thema, sondern beschlossene Sache für die Urwahl. So reagierten der linke Fraktionschef Anton Hofreiter und der Realo-Parteichef Cem Özdemir fast wortgleich: Man solle sich jetzt auf Inhalte konzentrieren, sprich auf das Wesentliche. Das wiederum würde wohl auch Winfried Kretschmann unterschreiben.