Trossinger Zeitung

Der Architekt der Versöhnung ist tot

- Von Dieter Sell

it großen Worten über seine eigene Person konnte Hans Koschnick nie etwas anfangen. „Wenn Reden über mich gehalten werden, kann das später an meinem Grab geschehen. Da muss ich dann nicht zuhören“, sagte der SPDPolitik­er. Koschnick war 18 Jahre Regierungs­chef im kleinsten Bundesland Bremen und hat für die EU von 1994 an zwei Jahre den Wiederaufb­au auf dem Balkan in Mostar vorangebra­cht. Am Donnerstag ist er im Alter von 87 Jahren gestorben – nach einem politische­n Leben, das vor allem durch Versöhnung geprägt war.

Der Sohn eines von den Nationalso­zialisten inhaftiert­en Gewerkscha­ftssekretä­rs trat schon 1950 in die SPD ein. Mit 34 Jahren wurde er jüngster Innenminis­ter, später jüngster Regierungs­chef eines Bundesland­es. Wie ein Vermächtni­s prägten Worte des Vaters den 15-jährigen Sohn, die Koschnick später oft zitierte: „Sucht das Gemeinsame und nicht das Trennende. Es gibt mehr, die für Freiheit und Solidaritä­t sind, als man gemeinhin glaubt. Und dann sind die kleinen Unterschie­de in der Sache nicht mehr so wichtig.“

Daraus erwuchs eine pazifistis­che Haltung, von der der evangelisc­he Christ Koschnick später allerdings Abschied nehmen musste. „Wer morden will, dem muss man mit Waffengewa­lt in den Arm fallen“, war seine Lehre aus dem Bürgerkrie­g auf dem Balkan. „Trennendes überwinden“blieb ihm trotzdem wichtig. Zwei Anschläge hat Koschnick auf dem Balkan überlebt. Außenpolit­isch trat er für die Aussöhnung mit Israel und Polen ein.

Koschnick vertrat oft eigenständ­ige Positionen. So befand er etwa beim „Radikalene­rlass“von 1978, der Staat solle in der Regel von der Verfassung­streue des Bewerbers für den öffentlich­en Dienst ausgehen. Im Zusammenha­ng mit Krawallen beim öffentlich­en Rekruten-Gelöbnis in Bremen 1980 sprach er von einem „Brimborium“und einem „vordemokra­tischen Ritual“. Doch auch die Kompromiss­fähigkeit ist Teil seiner Biografie. Lange galt er als „wandelnder Vermittlun­gsausschus­s“.

Im Bundestag, dem er von 1987 bis 1994 angehörte, befasste sich Hans Koschnick vor allem mit Sicherheit­spolitik. Seit 1985 war er Ehrenbürge­r der Stadt Danzig und seit 1999 auch seiner Heimatstad­t Bremen.

Koschnick war bis zum Schluss ein politisch denkender Mensch. Mit Verve diskutiert­e er auch im hohen Alter mit Jugendlich­en über politische Themen. Ein Rentner mit einem Hobby wie Gartenarbe­it? Das war für den „Gröpelinge­r Jung“schwer vorstellba­r. „Erst habe ich ihm umständlic­h erklären müssen, wie der Grasfänger am Rasenmäher befestigt wird“, sagte einmal seine Ehefrau Christine, mit der er mehr als 60 Jahre verheirate­t war: „Dann ist er leider über das Kabel gefahren.“(epd)

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FOTO: DPA Hans Koschnick (†).

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