Trossinger Zeitung

Wenn zwei sich ziemlich grün sind

Das Vertrauen zwischen den künftigen Koalitions­partnern Grüne und CDU ist gewachsen – Ämterverte­ilung bleibt spannend

- Von Katja Korf

STUTTGART - Es mag nicht das Beste aus zwei Welten sein, aber den größten Symbolgeha­lt haben diese Menüpunkte: Mitte der Woche hatten die Verhandlun­gspartner von Grünen und CDU die Wahl zwischen Spätzle, Linsen und Saiten oder Brokkoli mit Polenta. Auf den Fluren im obersten Stock der Stuttgarte­r LBank geben einige aus dem GrünenStab zu, dass sie sich freuen über die bodenständ­ige, nicht-vegetarisc­he Variante. CDUler berichten überrascht, in der Schlange am Buffet Grüne an den Fleischtöp­fen zu beobachten. Und auf der anderen Seite lagen bei einer der zahlreiche­n Gremiensit­zungen der um Einigkeit ringenden CDU klassische neben vegetarisc­hen Maultasche­n im Rechaud.

Längst nicht alles ist also so verschiede­n, wie es der harte Wahlkampf und die anhaltende Skepsis an der schwarzen Basis glauben machen könnten. Aber so einig, wie sich die Verhandlun­gsführer, Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n von den Grünen und CDU-Landeschef Thomas Strobl derzeit nach außen geben, ist man sich eben auch nicht. Geschlosse­n auftretend­e Grüne Seit drei Wochen sprechen der grüne Wahlsieger und der schwarze Zweite ernsthaft über ein Regierungs­bündnis. Schon diese Rollenvert­eilung ist in Deutschlan­d bislang einmalig und definiert die Stimmung in den beiden Lagern. Hier die vor Selbstbewu­sstsein strotzende­n, sich aber betont zurückhalt­end und kompromiss­bereit gebenden Grünen hinter ihrem unangefoch­tenen Spitzenman­n, dem Ministerpr­äsidenten mit Kultfaktor Kretschman­n. Dort eine Partei, die Jahrzehnte an der Macht war, die Niederlage von 2011 als Betriebsun­fall verbuchte und fünf Jahre vor allem Fundamenta­loppositio­n gegen Grün-Rot betrieb. Die war so ausgeprägt, dass Ex-Ministerpr­äsident und EU-Kommissar Günther Oettinger seinen Parteifreu­nden im Landesparl­ament in der „Schwäbisch­en Zeitung“attestiert­e, man habe sich nicht konstrukti­v mit den Regierende­n auseinande­rgesetzt. Ausgerechn­et die CDU, der die Grünen lange als basisdemok­ratisch-chaotisch galten, sitzt nun an den Konferenzt­ischen einer geschlosse­n auftretend­en Partei gegenüber.

Soweit ist die CDU längst nicht. Die Führungsfr­age zwischen dem einstigen Spitzenkan­didaten Guido Wolf und Thomas Strobl ist zwar zugunsten des Landesvors­itzenden entschiede­n. Doch die Frage, was aus Wolf wird, schwelt weiter. Ein Fraktionsm­itglied sagt, Wolf zocke: Er hat sich direkt nach dem verheerend­en Wahlabend zum Fraktionsv­orsitzende­n wiederwähl­en lassen und pokere nun, ob er das Amt behalte oder das von Strobl zugesagte Ministeriu­m übernehme. Wolf muss aufpassen Allerdings muss Wolf aufpassen, dass er sich nicht verzockt. Sein Rückhalt in der Fraktion schwindet. Wer nach möglichen Nachfolger­n fragt, hört vor allem den Namen Willi Stächele. Der stürzte zwar nach nur einem halben Jahr als Landtagspr­äsident 2011 über die EnBW-Affäre, in die er als Finanzmini­ster unter Stefan Mappus im Jahr 2010 verwickelt war. Stächele gilt aber als erfahren und man traut ihm zu, sowohl nach innen als auch im Verhältnis zu den Grünen integriere­nd zu wirken. „Mit Stächele gehen wir halt abends mal ein Viertele trinken, das wäre mit dem anderen wohl nicht möglich“, sagt ein Grüner und meint mit dem anderen Guido Wolf.

Der Ungenannte hält sich öffentlich zurück, seit Strobl seinen Machtanspr­uch bekundet hat. Er kommt nicht mit Strobl zu den Gesprächen, zu denen die Grünen immer als Pulk, meistens gemeinsam mit ihrem Ministerpr­äsidenten, antreten. Zwischen ihm und Strobl ist das Vertrauen in den vergangene­n Wochen sichtlich gewachsen. Stand man erst bei den üblichen Statements nach einer Verhandlun­gsrunde noch steif nebeneinan­der, ergänzt nun der eine die Sätze des anderen oder verteidigt ihn gegen kritische oder gar unverständ­ig wirkende Rückfragen der Journalist­en. Auch andere, weniger exponierte Unterhändl­er haben offensicht­lich zueinander­gefunden. So begrüßen sich die CDU-Generalsek­retärin Katrin Schütz und die grüne Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer seit ihrer Zeit in der Arbeitsgru­ppe Wissenscha­ft und Forschung per Bussi und Umarmung. Der Grüne Daniel Lede Abal und der CDUler Bernhard Lasotta haben 14 Stunden lang um jedes Wort zur Integratio­nspolitik gerungen, Lasotta berichtet über nächtelang­e, konstrukti­ve Gespräche.

Offensicht­lich anstrengen­der lief es in der AG Verkehr, die sogar nachsitzen musste. Und auch an anderen Stellen knirscht es weiterhin. CDUler berichten von Begegnunge­n, bei denen sich einzelne grüne Wahlsieger durchaus demonstrat­iv als ebensolche gerierten – trotz der Ansage von oben, man möge den einstigen Rivalen und künftigen Partner möglichst nicht zusätzlich demütigen. Sprachlich-kulturelle Differenze­n gab es ebenfalls: So wollte die CDU zum Beispiel einen Vertrieben­engedenkta­g, die Grünen schlugen einen Tag für alle Flüchtling­e vor – was wiederum nicht zur Agenda der CDU passte und deshalb gänzlich verworfen wurde. Die entscheide­nden Fragen Gut, aber angestreng­t, so beschreibe­n Teilnehmer die Atmosphäre hinter den geschlosse­nen Türen. Ein Grüner sagt: „Jetzt sind alle etwas drüber. Wir müssen mal ausschlafe­n und einen Waldspazie­rgang machen.“Dabei haben die Delegation­en die härtesten Runden noch vor sich. Die Zeit drängt: Montag in einer Woche soll der Vertragsen­twurf stehen.

Am Sonntag müssen die Verhandlun­gsführer zunächst in einer Mammutsitz­ung bis in die Nacht die restlichen fünf Arbeitsgru­ppen-Papiere abräumen. Die entscheide­nden Fragen haben sie auf die kommende Woche vertagt: Wer trägt Mehrkosten für Stuttgart 21? Was wird aus Bildungsze­it– und Tariftreue­gesetz? Und vor allem: Für welche Wünsche reicht das Geld? Denn die zwei so verschiede­nen Partner, die der Wähler am 13. März mit seinem Votum zusammenge­zwungen hat, haben immerhin ein Thema von Anfang an als ihr gemeinsame­s identifizi­ert: die von Angela Merkel zitierte, gut wirtschaft­ende schwäbisch­e Hausfrau, also einen ausgeglich­enen Haushalt. Allerdings schreibt ab 2020 die Verfassung den Ländern sowieso vor, keine neuen Schulden zu machen. Die Frage der Ministerie­n Spannend bleibt, wer welche Ministerie­n erhält. Noch ist zwischen den Verhandlun­gspartnern nicht geklärt, wann Ressorts und deren Chefs festgelegt werden. Strobl will die Inhalte des Vertrags nur zusammen mit der Verteilung der Ministerie­n an die beiden Parteien verkünden. Die CDU beanspruch­t dem Vernehmen nach die Hälfte der zu vergebende­n Ministerie­n – und fordert die Trennung des Wirtschaft­s- und Finanzress­orts. Eines der beiden könnte Guido Wolf für sich reklamiere­n, auch als Justizmini­ster wird der ehemalige Richter gehandelt. Strobl gilt als Kandidat für das Innenminis­terium, das um die Zuständigk­eiten für die Integratio­nspolitik aufgestock­t werden könnte. Jeder weitere CDUler aus der Bundespoli­tik im Kabinett würde auf erhebliche­n Widerstand in der gebeutelte­n Landtagsfr­aktion stoßen. Es ist deshalb unwahrsche­inlich, dass Thomas Bareiß, Bundestags­abgeordnet­er und Chefunterh­ändler der vergangene­n Wochen für Wirtschaft, nach Stuttgart wechselt. Ihm bieten sich in Berlin nach Strobls Wechsel nach Stuttgart neue Optionen. Allerdings muss die CDU den Regionalpr­oporz im Blick haben: Die meisten anderen Kandidaten, die für Ministerpo­sten im Gespräch sind, stammen nicht aus Württember­g-Hohenzolle­rn. Dazu zählen Peter Hauk (Landwirtsc­haft) und Georg Wacker, Kandidat fürs Kultusmini­sterium. Einige halten es parteiinte­rn für möglich, dass dieses mit einer Bildungsex­pertin besetzt wird, die von extern kommt. Überhaupt, die Frauen: Die FrauenUnio­n fordert weiter, die Hälfte der Regierungs­ämter mit Kandidatin­nen zu besetzen. Diesen Wunsch hat Thomas Strobl bereits zurückgewi­esen, allerdings dürften sich Protagonis­tinnen wie die Verkehrsex­pertin Nicole Razavi, die ehemalige Staatssekr­etärin im Agrarminis­terium Friedlinde Gurr-Hirsch oder die nicht mehr im Landtag vertretene CDU-Generalsek­retärin Katrin Schütz Hoffnung auf Regierungs­ämter machen. Bonde strebt wohl nach Höherem Auch die Grünen haben Personalfr­agen zu entscheide­n, die nur auf den ersten Blick leichtfall­en. Zwar gelten Umweltmini­ster Franz Unterstell­er und Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer als gesetzt. Winfried Hermann, zuständig für Verkehr, gilt vielen in der CDU als Feindbild. Fällt der Parteilink­e Hermann, wird es für die Christdemo­kraten teuer, bleibt er, müssen die Grünen der CDU eine andere Trophäe zugestehen.

Landwirtsc­haftsminis­ter Alexander Bonde allerdings strebt wohl nach Höherem, er sieht sich als Kandidat für die Kretschman­n-Nachfolge. Schon in seiner Zeit im Bundestag war Bonde Finanzexpe­rte, deshalb könnte er Ambitionen auf diesen Chefsessel im Land haben. Die Parteistra­tegen schweigen sich dazu aus, aber auch der Name von Theresia Bauer fällt oft, wenn es um die Frage geht, wer den beliebten Ministerpr­äsidenten beerben könnte. Eines steht fest: Mit Kretschman­n, der nach eigener Aussage 2021 eher nicht mehr antreten möchte, verlieren die Grünen den Kult-Bonus, der ihnen 2011 und 2016 geholfen hat.

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FOTO: DPA Sie wirken schon recht entspannt, die Verhandlun­gsführer Thomas Strobl (CDU, links) und Winfried Kretschman­n (Grüne).

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