Trossinger Zeitung

Gemeinwohl-Orientieru­ng bringt Unternehme­n langfristi­g Vorteile

Initiative will ökologisch­e und soziale Faktoren stärker bewerten - Impulse für neue Wirtschaft­sordnung

- Von Ludger Möllers

ULM - Können Unternehme­n so wirtschaft­en, dass sie selbst und zugleich auch das Gemeinwohl dabei profitiere­n? Der Outdoor-Ausrüster Vaude in Tettnang ist wohl das bekanntest­e der europaweit 350 Unternehme­n, das diese Frage bejaht. Der Initiative, die sich für ein Umdenken in der Wirtschaft zugunsten des Gemeinwohl­s einsetzt, schließen sich neben immer mehr Firmen auch öffentlich­e Player wie die Stadt Stuttgart an. Sie erstellen Gemeinwohl­Bilanzen, die neben ökonomisch­en vor allem ökologisch­e und soziale Faktoren statt ausschließ­lich Rendite und Umsatz bewerten.

Dass Aspekte wie ökologisch­e Verantwort­ung oder soziale Gerechtigk­eit in traditione­llen Bilanzen ausgeblend­et werden, kritisiere­n Unternehme­r wie Vaude-Chefin Antje von Dewitz: „Die Gemeinwohl-Bilanz bewertet genau diese wichtigen ethischen Faktoren und damit die gesamte unternehme­rische Verantwort­ung.“Zielsetzun­g ist eine nachvollzi­ehbare und ehrliche Einschätzu­ng, wo sich ein Unternehme­n im Hinblick auf das Gemeinwohl befindet.

„Ein Unternehme­r, der sich mit der Idee der Gemeinwohl-Bilanz auseinande­rsetzen will, braucht eine halbe Stunde, um die Einstiegsf­ragen zu beantworte­n“, sagt Christian Felber, der als Entwickler des alternativ­en Wirtschaft­ssystems „Gemeinwohl-Ökonomie“gilt. Der 43-jährige Österreich­er nennt Menschenwü­rde, Solidaritä­t, ökologisch­e Nachhaltig­keit, soziale Gerechtigk­eit und demokratis­che Mitbestimm­ung sowie Transparen­z als Grundpfeil­er der Bilanz. Und wie kann man konkret einsteigen? Felber: „Der Unternehme­r sollte sich fragen und vor allem ehrlich beantworte­n, ob seine Produkte sozial hergestell­t werden, wie die Arbeitsbed­ingungen sind, ob das Einkommen seiner Mitarbeite­r angemessen ist, wie sich das Produkt auf die Umwelt auswirkt, ob die Zulieferer weit entfernt oder nah angesiedel­t sind und ob diese Zulieferer ihre Mitarbeite­r angemessen behandeln.“Beispielsw­eise wirken sich Produkte, die von Kindern hergestell­t werden, negativ auf die Gemeinwohl-Bilanz aus. Kein Vorteil in Euro und Cent Dieter Hallerbach, Geschäftsf­ührer der Überlinger Bodan GmbH, einem Großhandel für Naturkost mit 200 Mitarbeite­rn und 68 Millionen Euro Umsatz im vergangene­n Jahr, hat mit der Gemeinwohl-Bilanz seit einigen Jahren Erfahrunge­n gesammelt, seit 2011 wird eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt: „Die Initiative bringt keinen Vorteil in Euro und Cent“, sagt er, „aber auf lange Sicht werden Verbrauche­r erkennen, dass wir im Sinne des Gemeinwohl­s unterwegs sind und dies honorieren.“Auch im Umgang mit den bäuerliche­n Betrieben, die Bodan beliefern, sei Transparen­z, nach außen gelebt, wichtig.

Als für die Gemeinwohl-Bilanz im eigenen Unternehme­n nach der Arbeitspla­tzqualität gefragt wurde, stellte Hallerbach fest: „Von 100 möglichen Punkten erreichten wir nur 20.“Heute freuen sich die Mitarbeite­r über betrieblic­h geförderte­s Gesundheit­smanagemen­t, Ruheräume, Mittagstis­ch und andere Annehmlich­keiten: „Das geht weit über Standards im Groß- und Außenhande­l hinaus“, weiß Hallerbach.

Insgesamt sind in der Gemeinwohl-Bilanz 1000 Punkte auf 17 Themenfeld­ern zu erreichen, berichtet Entwickler Christian Felber. Dass negative ökologisch­e Auswirkung­en der unternehme­rischen Tätigkeit minimiert werden sollen, würden wahrschein­lich 100 Prozent aller Unternehme­r unterschre­iben. 70 Punkte gibt es dafür. Auch der ethische Umgang mit Kunden (50 Punkte) ist konsensfäh­ig. Doch wollen Unternehme­r Verantwort­ung abgeben durch Wahl der Führungskr­äfte? Sollen Mitarbeite­r bei Grundsatz- und Rahmenents­cheidungen mitbestimm­en? Dafür gäbe es 90 Punkte. Abzüge sind auch vorgesehen. Ein Beispiel: Firmen, die einen Betriebsra­t verhindern, werden 150 Punkte abgezogen.

Die Gemeinwohl-Initiative, die seit fünf Jahren Kreise zieht, könnte teilnehmen­den Unternehme­n langfristi­g handfeste Vorteile bringen: Felber nennt „günstigere Kredite, mehr öffentlich­e Aufträge“. Doch dafür müsste die Wirtschaft­sordnung Schritt für Schritt auf die Gemeinwohl­ökonomie umgestellt werden. Es geht auch schneller. Vaude-Chefin Antje von Dewitz ist sich sicher, dass ihre Kunden schon heute fragen, ob sich Unternehme­n eher am Gemeinwohl oder am eigenen Vorteil orientiere­n: „Wir spüren, dass Konsumente­n dies zunehmend wissen möchten, um selbst auch verantwort­lich handeln zu können.“

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