Mysterien gehören zu seinem Erbe
Wie das englische Stratford den 400. Todestag von William Shakespeare begeht
STRATFORD - Einigermaßen großgewachsene Menschen müssen den Kopf beugen, um durch die niedrige Tür der Stratforder Dreifaltigkeitskirche zu kommen. Dort vorn im Chorraum liegen die sterblichen Überreste seines berühmtesten Bürgers. Nüchtern verzeichnet das Kirchenbuch fürs Jahr 1616 seinen Namen neben dem Datum 25. April. Eingeschlagen in ein Leintuch, ohne Sarg, wurde William Shakespeare in das Grab gelegt. Weil die Beisetzung 48 Stunden nach dem Ableben damaligen Gepflogenheiten entsprach, gilt der 23. April als sein Todestag – der nun genau 400 Jahre zurückliegt.
Das Recht, an so prominenter Stelle in der Ortskirche beigesetzt zu werden, hatte Shakespeare 1605 erworben – und gewiss teuer bezahlt. Kurioserweise steht ausgerechnet auf seiner Grabplatte kein Name, anders als auf den danebenliegenden Gräbern seiner Frau Anne Hathaway, seiner Tochter Susanna und des Mannes seiner Enkelin. Hingegen ziert den hellen Stein Shakespeares’ ein Vierzeiler, der in der Warnung gipfelt: „Verflucht sei, wer meine Knochen fortschafft.“
Daran hält man sich in Stratford, einem Städtchen nordwestlich von London. Allen Bitten, das Grab zu öffnen, hat sich das Pfarrkapitel standhaft widersetzt. Eine mit modernsten Messgeräten durchgeführte Radaranalyse ergab: Das Grab enthält ein Skelett, allerdings womöglich ohne Kopf. Der soll einer Legende zufolge schon 1794 entfernt worden sein. Ortspfarrer Patrick Taylor lassen die Spekulationen kalt: „Wir werden mit dem Geheimnis leben müssen, nicht genau zu wissen, was unter dem Stein liegt.“
Mysterien und Unklarheiten gehören zu Shakespeare wie Sonette und Komödien. Dazu zählt die Tatsache, dass das protestantische England den 1582 durch Papst Gregor XIII. eingeführten Kalender erst im 18. Jahrhundert einführte. Genau genommen fällt Shakespeares angenommener Todestag also auf den 3. Mai. Aber wer wird sich von solchen Kleinigkeiten am Feiern hindern lassen?
Und so zieht an diesem Samstag eine bunte Parade durch Stratford, begleitet von einer Jazzband und angeführt von den Lehrern und Schülern des örtlichen Gymnasiums. Dessen Bänke drückte auch der Sohn des Handschuhmachers und späteren Bürgermeisters John Shakespeare. In seinen sieben oder acht Jahren dort lernte Shakespeare, wie sein Freund Ben Jonson später scherzte, „wenig Latein und weniger Griechisch“– wenn auch Kenner der Materie zu wissen glauben, dass ein 14-jähriger Schulabgänger damals die alten Sprachen besser kannte als ein heutiger Uni-Absolvent. Zweifel verstummen nicht Die lückenhafte Bildung dient all jenen als Argument, die den Stratforder Provinzbuben als Autoren des Shakespeare’schen Oeuvres anzweifeln. Ein Mann aus wenig gebildetem Elternhaus sei nicht fähig gewesen, die komplexe Welt von Hamlet, Malvolio und Macbeth zu erfinden. Zudem habe dem vielbeschäftigten Schauspieler und Theaterdirektor die Zeit gefehlt – zum Reisen, zum Lesen, zum Schreiben.
Shakespeare lädt zu Spekulationen ein, weil zwar viel über sein Leben bekannt ist, aber an manchen Stellen auch kuriose Lücken auftauchen. Sein Testament, in dem er seiner Frau Anne „das zweitbeste Bett“vermachte, enthält beispielsweise keinen Hinweis auf die Bühnenstücke, welche ihn unsterblich gemacht haben. Das Original-Dokument aus dem Nationalarchiv ist noch bis Ende Mai in einer Ausstellung im Londoner Somerset House zu bewundern, die schriftliche Zeugnisse aus dem Leben des Dichters zusammengeführt hat.
Wer heutige Interpretationen von „Richard III“, „Wie es Euch gefällt“oder „Der Kaufmann von Venedig“erleben will, begibt sich ins nachgebaute Globe-Theater am Londoner Themse-Ufer. Oder natürlich in den 2010 renovierten Bau der Royal Shakespeare Company (RSC) am Ufer des Avon-Flusses in Stratford. Nach der Vorstellung wird dann gern im gleich danebenliegenden Pub Black Swan (Schwarzer Schwan) gefeiert. Der Volksmund nennt die Trink- und Begegnungsstätte liebevoll Dirty Duck (Dreckige Ente). Sprachwitz à la Shakespeare.