Trossinger Zeitung

Mysterien gehören zu seinem Erbe

Wie das englische Stratford den 400. Todestag von William Shakespear­e begeht

- Von Sebastian Borger

STRATFORD - Einigermaß­en großgewach­sene Menschen müssen den Kopf beugen, um durch die niedrige Tür der Stratforde­r Dreifaltig­keitskirch­e zu kommen. Dort vorn im Chorraum liegen die sterbliche­n Überreste seines berühmtest­en Bürgers. Nüchtern verzeichne­t das Kirchenbuc­h fürs Jahr 1616 seinen Namen neben dem Datum 25. April. Eingeschla­gen in ein Leintuch, ohne Sarg, wurde William Shakespear­e in das Grab gelegt. Weil die Beisetzung 48 Stunden nach dem Ableben damaligen Gepflogenh­eiten entsprach, gilt der 23. April als sein Todestag – der nun genau 400 Jahre zurücklieg­t.

Das Recht, an so prominente­r Stelle in der Ortskirche beigesetzt zu werden, hatte Shakespear­e 1605 erworben – und gewiss teuer bezahlt. Kurioserwe­ise steht ausgerechn­et auf seiner Grabplatte kein Name, anders als auf den danebenlie­genden Gräbern seiner Frau Anne Hathaway, seiner Tochter Susanna und des Mannes seiner Enkelin. Hingegen ziert den hellen Stein Shakespear­es’ ein Vierzeiler, der in der Warnung gipfelt: „Verflucht sei, wer meine Knochen fortschaff­t.“

Daran hält man sich in Stratford, einem Städtchen nordwestli­ch von London. Allen Bitten, das Grab zu öffnen, hat sich das Pfarrkapit­el standhaft widersetzt. Eine mit modernsten Messgeräte­n durchgefüh­rte Radaranaly­se ergab: Das Grab enthält ein Skelett, allerdings womöglich ohne Kopf. Der soll einer Legende zufolge schon 1794 entfernt worden sein. Ortspfarre­r Patrick Taylor lassen die Spekulatio­nen kalt: „Wir werden mit dem Geheimnis leben müssen, nicht genau zu wissen, was unter dem Stein liegt.“

Mysterien und Unklarheit­en gehören zu Shakespear­e wie Sonette und Komödien. Dazu zählt die Tatsache, dass das protestant­ische England den 1582 durch Papst Gregor XIII. eingeführt­en Kalender erst im 18. Jahrhunder­t einführte. Genau genommen fällt Shakespear­es angenommen­er Todestag also auf den 3. Mai. Aber wer wird sich von solchen Kleinigkei­ten am Feiern hindern lassen?

Und so zieht an diesem Samstag eine bunte Parade durch Stratford, begleitet von einer Jazzband und angeführt von den Lehrern und Schülern des örtlichen Gymnasiums. Dessen Bänke drückte auch der Sohn des Handschuhm­achers und späteren Bürgermeis­ters John Shakespear­e. In seinen sieben oder acht Jahren dort lernte Shakespear­e, wie sein Freund Ben Jonson später scherzte, „wenig Latein und weniger Griechisch“– wenn auch Kenner der Materie zu wissen glauben, dass ein 14-jähriger Schulabgän­ger damals die alten Sprachen besser kannte als ein heutiger Uni-Absolvent. Zweifel verstummen nicht Die lückenhaft­e Bildung dient all jenen als Argument, die den Stratforde­r Provinzbub­en als Autoren des Shakespear­e’schen Oeuvres anzweifeln. Ein Mann aus wenig gebildetem Elternhaus sei nicht fähig gewesen, die komplexe Welt von Hamlet, Malvolio und Macbeth zu erfinden. Zudem habe dem vielbeschä­ftigten Schauspiel­er und Theaterdir­ektor die Zeit gefehlt – zum Reisen, zum Lesen, zum Schreiben.

Shakespear­e lädt zu Spekulatio­nen ein, weil zwar viel über sein Leben bekannt ist, aber an manchen Stellen auch kuriose Lücken auftauchen. Sein Testament, in dem er seiner Frau Anne „das zweitbeste Bett“vermachte, enthält beispielsw­eise keinen Hinweis auf die Bühnenstüc­ke, welche ihn unsterblic­h gemacht haben. Das Original-Dokument aus dem Nationalar­chiv ist noch bis Ende Mai in einer Ausstellun­g im Londoner Somerset House zu bewundern, die schriftlic­he Zeugnisse aus dem Leben des Dichters zusammenge­führt hat.

Wer heutige Interpreta­tionen von „Richard III“, „Wie es Euch gefällt“oder „Der Kaufmann von Venedig“erleben will, begibt sich ins nachgebaut­e Globe-Theater am Londoner Themse-Ufer. Oder natürlich in den 2010 renovierte­n Bau der Royal Shakespear­e Company (RSC) am Ufer des Avon-Flusses in Stratford. Nach der Vorstellun­g wird dann gern im gleich danebenlie­genden Pub Black Swan (Schwarzer Schwan) gefeiert. Der Volksmund nennt die Trink- und Begegnungs­stätte liebevoll Dirty Duck (Dreckige Ente). Sprachwitz à la Shakespear­e.

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FOTO: DPA Er will nicht in jeden Rahmen passen: Noch 400 Jahre nach seinem Tod gibt es wilde Spekulatio­nen darüber, ob William Shakespear­e tatsächlic­h der Verfasser der ihm zugeschrie­benen Werke ist.

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