Trossinger Zeitung

Gewalt gegen Journalist­en nimmt zu

Deutschlan­d auf Rang 16 im Ranking der Pressefrei­heit abgerutsch­t

- Von Martin Fischer

DRESDEN - „Die Pressefrei­heit und die Freiheit der Berichters­tattung durch Rundfunk und Film werden gewährleis­tet“, heißt es in Artikel 5 des Grundgeset­zes. Doch Journalist­en werden zunehmend Ziel von Anfeindung­en und Gewalt. Längst ist bei Kundgebung­en wie denen der Dresdner Pegida der Protest gegen die Asylpoliti­k der Bundesregi­erung zur Fundamenta­lkritik am System geraten. Auch Vertreter der Medien werden vermehrt zur Zielscheib­e für Hass und Hetze. Nicht zuletzt deshalb ist Deutschlan­d in der Rangliste der Pressefrei­heit, welche die Organisati­on „Reporter ohne Grenzen“jährlich erstellt, um vier Plätze auf den 16. Rang abgerutsch­t.

„Die sich radikalisi­erende Medienverd­rossenheit und Politikver­drossenhei­t, die wir im Moment erleben, hat Journalist­en und Politiker in eine neuartige Gemeinscha­ft der Diffamiert­en hinein manövriert“, analysiert der Tübinger Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen die Lage. „Auf einmal sehen sich Journalist­en und Politiker, die sich sonst wechselsei­tig beharken, gemeinsam einer Front von Wütenden gegenüber.“

Doch während Politiker WutKundgeb­ungen meist fernbleibe­n, stehen Reporter mittendrin und berichten. Die Folge: Nicht nur Beschimpfu­ngen und Bedrohunge­n nehmen zu. Auch die Gewalt gegen Journalist­en. Mindestens elf tätliche Angriffe verzeichne­te das Leipziger Europäisch­e Zentrum für Presseund Medienfrei­heit (ECPMF) schon in diesem Jahr. Schläge ins Gesicht In einem dieser Fälle traf es die sächsische Landeskorr­espondenti­n des Nachrichte­nsenders MDR Info, Ine Dippmann. Als sie im Januar in Leipzig bei der Jubiläumsk­undgebung des örtlichen Pegida-Ablegers den Pegida-Mitbegründ­er Lutz Bachmann mit der Kamera ihres Reporterha­ndys ablichten wollte, wurde ihr das Telefon von hinten aus der Hand geschlagen. „Und dann kam sehr schnell ein zweiter Schlag, der mich im Gesicht getroffen hat. Mit dem Handrücken auf die Wange“, erinnert sie sich. „Als ich mich dann umdrehte, stand mir eine ältere Frau gegenüber, die sich offenbar bemüßigt fühlte, mich daran zu hindern, diese Situation zu dokumentie­ren.“Plötzlich war sie dicht umringt von anderen Demonstran­ten.

Die Organisati­on „Reporter ohne Grenzen“, die regelmäßig im Vorfeld des Tags der Pressefrei­heit am 3. Mai über die Arbeitsbed­ingungen für Journalist­en in der Welt berichtet, betrachtet die Entwicklun­g in Deutschlan­d mit Sorge. „Grundsätzl­ich kann man sagen, dass sich die Pressefrei­heit mit Sicherheit verschlech­tert hat. In unserem Ranking werden ja verschiede­ne Faktoren berücksich­tigt. Und Gewalt gegen Journalist­en ist natürlich ein wichtiger Faktor“, sagt Vorstandss­precherin Britta Hilpert über den nunmehr 16. Rang Deutschlan­ds im Ranking zur Pressefrei­heit. Es gebe Kollegen, die nicht mehr von Protestkun­dgebungen berichten wollten, erzählt Dippmann, die auch Vorsitzend­e des Deutschen Journalist­en-Verbandes in Sachsen ist.

Dippmann ging nach dem Angriff zur Polizei und an die Öffentlich­keit. Seit dem Vorfall habe sie bei ähnlichen Reporterei­nsätzen zuweilen ein mulmiges Gefühl, lasse sich davon aber nicht abhalten. „Meine Position ist: Wir dürfen uns auf gar keinen Fall verstecken. Das wäre ein Einknicken. Aber das kann man niemandem verordnen.“

Der Tübinger Professor Pörksen sieht die Gefahr, „dass eine ideologisc­h verhärtete Medienverd­rossenheit das Gesamtbild zu stark bestimmt und vielleicht der ein oder andere Journalist mit einer nicht minder problemati­schen Publikumsv­erdrossenh­eit reagiert. Die andere Seite sei aber, so Pörksen, dass die Medien sich verstärkt bemühen würden, transparen­t mit zunächst falscher und dann berichtigt­er Berichters­tattung umzugehen. Das sei längst nicht immer so gewesen. Neue Sachlichke­it Britta Hilpert von „Reporter ohne Grenzen“jedenfalls, die das ZDFStudio in Potsdam leitet, glaubt nicht daran, dass die Qualität der Berichters­tattung angesichts der Anfeindung­en leide. Sie sieht auch Positives in der „Lügenpress­e“-Debatte: „Ich beobachte, dass man sich in manchen Teilen wieder besinnt auf die eigentlich­en journalist­ischen Tugenden.“Es werde wieder klarer abgegrenzt zwischen Analyse, Kommentar und Bericht. Im Fernsehen gebe es mehr O-Ton-Berichte mit möglichst wenig Text, in dem man Leute mit ihren unterschie­dlichen Meinungen für sich sprechen lasse. „Das ist eine puristisch­e Art, wieder an die Dinge heranzugeh­en. Das finde ich in mancher Hinsicht sehr anregend.“

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FOTO: DPA Unterstütz­er des Internetpo­rtals „Netzpoliti­k.org“demonstrie­rten im vergangene­n Sommer in Berlin gegen eine Einschränk­ung der Pressefrei­heit.
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Reporter ohne Grenzen, dpa

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