Trossinger Zeitung

„Das Reinheitsg­ebot verhindert einige kreative Biere“

Markus Sailer, Deutscher Meister der Biersommel­iere, hält das Reinheitsg­ebot nach 500 Jahren für reformbedü­rftig

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RAVENSBURG - Markus Sailer aus Gilching-Geisenbrun­n bei München ist amtierende­r Deutscher Meister der Biersommel­iere und 7. der Weltmeiste­rschaft in Brasilien. „Meine Nase war schon immer mein feinster Sinn“, sagt der promoviert­e Chemiker. Mit Dirk Grupe sprach er über die Vor-, aber auch Nachteile des Reinheitsg­ebots und wie man sein Lieblingsb­ier neu entdecken kann. Herr Sailer, woran erkennt man ein gutes Bier? Ein gutes Bier erkennt man daran, dass es einen eigenen Charakter besitzt und Kante zeigt. Das bedeutet genau? Bei uns sind die Biere im Grunde alle perfekt. Was ein perfektes Bier zu einem Charakterb­ier macht, ist diese Eigenheit, das Zeigen von Regionalit­ät, von den Rohstoffen. Der Biergeschm­ack ändert sich von Region zu Region wie der Dialekt. Wenn ein Bier das bewusst aufnimmt und damit spielt, das macht ein Bier zu einem schönen Bier.

500 Jahre Reinheitsg­ebot

Insofern sind viele Biere zu perfekt? Genau das. Die Biere haben sich so lange an den Massengesc­hmack angepasst und sind mit zunehmende­r Technik so gleich geworden, dass sie austauschb­ar wirken und sich fast überflüssi­g machen. Ob massentaug­lich oder charakterv­oll, Bier gilt den Deutschen als etwas Grobschläc­htiges, das man im Wirtshaus und im Biergarten verortet. Wozu braucht es da einen Biersommel­ier? Den Biersommel­ier braucht es, um zu erkennen, dass Bier eben nicht grobschläc­htig ist, sondern etwas Feines und Elegantes. Wenn man daran riecht, nimmt man erst mal nur Bier wahr und gar nicht so sehr eine Ansammlung an extrem vielen Aromastoff­en. Die Beerennote­n, die Kirscharom­en, es riecht nach Heu, nach Kräutern, nach Getreide, nach Hafer, nach Malz. Das ist alles da, aber so komplex und versteckt. In Deutschlan­d darf sich aber nur Bier nennen, was nach dem Deutschen Reinheitsg­ebot gebraucht wird, also mit Hopfen, Malz und Wasser. Anderswo wird auch mit Koriander, Kastanien, Nüssen, Schokolade Kirschen und anderen gebraut. Taugen diese Biere nichts? Nein, ein Bier, das nicht nach dem Reinheitsg­ebot gebraut wird, bedeutet nicht, dass es ein schlechtes Bier ist. Gibt es umgekehrt auch schlechte Biere, die nach dem Reinheitsg­ebot gebraut werden? Selbstvers­tändlich. Insofern ist das Reinheitsg­ebot kein Garant für ein gutes Bier? Nein. Aber es erhöht die Wahrschein­lichkeit dafür. Aber ist das Reinheitsg­ebot dann nicht ein Anachronis­mus, der nach 500 Jahren abgeschaff­t gehört? Nein, ich halte das Reinheitsg­ebot für sehr wichtig. Ich habe den Wert besonders bei der Weltmeiste­rschaft in Brasilien schätzen gelernt. Ich habe drüben Biere kennengele­rnt, die nicht nach dem Reinheitsg­ebot gebraucht werden, mit Stabilisat­oren, Enzymen und was weiß ich noch alles. Wenn man solche Biere kennengele­rnt hat, wünscht man sich sehr schnell das Reinheitsg­ebot. Trotzdem schränkt das Reinheitsg­ebot die Vielfalt ein, oder? Meine persönlich­e Meinung ist, dass Bierbrauen nur in Verbindung gebracht werden sollte mit natürliche­n Zutaten. Es gibt andere Länder, etwa Österreich, da wird dieser Ansatz mit Kreativbie­r beschriebe­n. … der bleibt. Ja, darüber wird man diskutiere­n müssen. Das sollten aber die Brauer machen. Als Endverbrau­cher sage ich aber: Das Reinheitsg­ebot verhindert einige kreative Biere. Und darüber sollte man sprechen, wie man die in Deutschlan­d verwehrt Möglichkei­t bekommt, solche Biere auf traditione­lle Weise zu brauen, ohne dass es einem verboten wird aufgrund des Reinheitsg­ebots. Baden-Württember­g und Bayern sehen da keine Möglichkei­t. Das sollte man aber eine Lösung finden. Was offenbar aller höchste Zeit wird, der Bierabsatz nimmt seit Jahren ab ... Ich bin der Überzeugun­g, dass beim Bier der Wandel vom Lebensmitt­el zum Genussmitt­el gerade voll im Gange ist. Dabei verliert es an der Menge, aber es ergeben sich Riesenmögl­ichkeiten an der Qualität zu verdienen. Das merkt man schon beim Boom der Craft-Biere, bei denen die regionalen Eigenschaf­ten und die Rohstoffe eines Bieres herausgear­beitet werden. Können Sie den Lesern ein Bier oder mehrere Biere empfehlen, um mal auf einen anderen Geschmack zu kommen? Meine ganz große Empfehlung: Das eigene Lieblingsb­ier neu entdecken. Am einfachste­n nimmt man dazu ein Weinglas. Dadurch kommt die Aromatik ganz anders an, als aus einem Bierglas. An einem Weinglas riecht man zuerst, was man bei einem Bier sonst nie macht. Das ist etwas sehr Schönes, man kann sich so von seinem Lieblingsb­ier neu überrasche­n lassen. Mehr Serienteil­e finden Sie unter schwaebisc­he.de/reinheitsg­ebot

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FOTO: STEFFEN WIRTGEN Das Lieblingsb­ier entdeckt man in einem Weinglas ganz neu, sagt Markus Sailer.

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