Es muss Liebe sein
Autorin Nana Rademacher schreibt über starke Mädchen
Es vergehen keine fünf Minuten, und man ist mit Nana Rademacher tief ins Gespräch verwickelt. Selbst im kühlen Interieur eines Bahnhofhotels – Ort des Treffens – zeigt die Autorin eine warme Herzlichkeit. Und ehrliche Bescheidenheit. Bereits nach wenigen Sätzen hat sie das Gespräch von sich weg hin zu anderen Themen gelenkt: Flüchtlingsproblematik, Kanzlerin Merkel, der anstehende runde Geburtstag, die Spaltung der Gesellschaft, Urlaubspläne, moderne Kommunikation.
Die knapp 50-Jährige stellt sich ungern selbst in den Mittelpunkt, kanalisiert die Aufmerksamkeit lieber auf ihre Romanheldinnen. Das sind starke Mädchen im Teenageralter, in deren Leben gerade die Liebe einzieht. In ihrem ersten Jugendroman „Wir waren hier“ist es die 15-jährige Anna, die im Jahr 2039 in Berlin lebt. Nach einem Krieg liegt die Stadt in Trümmern, das öffentliche Leben ist zusammengebrochen. Für die Menschen geht es um die nackte Existenz, der Alltag ist geprägt vom Kampf gegen Hunger und Kälte. All das erzählt Anna in einem Blog, den sie versteckt auf dem Dach ihres Elternhauses schreibt, immer mit der Angst, von der Web-Polizei entdeckt zu werden. Doch statt von der WebPolizei erhält Anna plötzlich Antwort von Ben (Peter Härtlings „Ben liebt Anna“lässt grüßen). Eine Liebes-, aber auch Leidensgeschichte beginnt ...
Die Bilder, die Rademacher vom Berlin beziehungsweise Deutschland der Zukunft zeichnet, sind dunkel und beängstigend. Die Frage drängt sich also auf: „Sind Sie depressiv veranlagt und blicken Sie tatsächlich so düster in die Zukunft?“Nana Rademacher lacht und antwortet: „Nein, überhaupt nicht. Eigentlich kann ich mir dieses grau gezeichnete Szenario selbst nicht erklären.“Es passt auch so gar nicht zu dieser Frau mit dem frechen Kurzhaar-Schnitt, dem offenen Lachen und der gänzlich positiven Ausstrahlung. Den ersten Teil des Buches hat sie ursprünglich für einen Wettbewerb um einen Jugendliteraturpreis der deutschen Landwirtschaft geschrieben zum Thema „Schönes neues Landleben“. „Die Themenstellung hat mich geärgert. Ich wollte dazu einen Gegenentwurf liefern. Die Geschichte war als Warnung gedacht“, erklärt sie. Einen Preis hat Rademacher damit zwar nicht gewonnen, dafür die Aufmerksamkeit einer Literaturagentin, die Annas Blog im Internet las und Rademacher darin bestärkte, die Geschichte weiterzuschreiben. Der daraus entstandene Jugendroman wurde jetzt von Ravensburger verlegt.
Noch bezeichnet Rademacher das Schreiben als Hobby. Ihre Arbeit hat sie beim SWR in Stuttgart, wo sie für Hörspielproduktionen die passenden Stimmen aussucht. Allerdings hat sie diesen Job bereits auf 70 Prozent reduziert – um mehr Zeit fürs Schreiben zu haben. Geschichten erfinden bereitete ihr schon als Schülerin viel Spaß, weil man dann „für einen Moment die Welt schön machen kann“. Ursprünglich erzählte sie sie ihrem zehn Jahre jüngeren Bruder. Weil der aber immer wieder die gleichen Geschichten hören wollte, begann die große Schwester, sie aufzuschreiben.
Ihr erstes veröffentlichtes Buch war jedoch keine Kindergeschichte, sondern ein Regionalkrimi, der in Freiburg spielt. Danach schrieb sie zusammen mit Freundinnen zwei Fantasy-Romane, dann schließlich „Wir waren hier“. Künftig will sich Rademacher ganz dem Jugendbuch widmen. Ein weiteres ist schon so gut wie fertig, wird im nächsten Frühjahr erscheinen und erzählt von Sarah („Ich mag kurze Namen“), die in einem Stuttgarter Brennpunktviertel wohnt und sich den Themen Bildung sowie Jugendarbeitslosigkeit stellen muss. Auch für den dritten Jugendroman gibt es bereits ein Konzept. „Er hat die Integration von Flüchtlingen zum Inhalt“, verrät die Autorin. Aber auch die Liebe käme in diesem Buch nicht zu kurz. Überhaupt ist ein Jugendroman ohne Liebe in ihren Augen undenkbar. „Das ist doch das alles beherrschende Thema bei Mädchen im Teenageralter. Daran erinnere ich mich selbst noch gut.“
Gleich darauf aber lenkt die selbstbewusste Frau wieder komplett von ihrer eigenen Person ab und erklärt, dass so ein Roman immer eine Gemeinschaftsarbeit zwischen ihr, ihrer Agentin, der Lektorin und dem Verlag sei. „Es findet ein ständiger Austausch statt“, sagt die Autorin. Da sie selbst keine Kinder hat, versucht sie, als Beobachterin möglichst viel über Jugendliche zu erfahren. Dabei helfen ihr vor allem die heranwachsenden Töchter und Söhne der Freunde. „Aber ich stell’ mich schon auch ganz bewusst zum Beispiel in der Straßenbahn immer wieder zu Jugendlichen, um zuzuhören.“Dabei interessieren sie die Themen der Kids, vor allem aber auch deren Sprache. „Ich versuche schon immer wieder, Worte aus deren Jargon und typische Satzbauten einfließen zu lassen und gleichzeitig zu vermeiden, mich über die Sprache anzubiedern. Das wäre nämlich ,voll peinlich’.“
Bis dato finden die jungen Leser – vor allem Leserinnen – Nana Rademacher alles andere als peinlich. „Wir waren hier“-Rezensionen von Jugendlichen im Internet sind überwiegend positiv. Auch Ravensburger will eine weitere Zusammenarbeit und hat Rademacher zum Lesefestival kommende Woche eingeladen. „Darauf freue ich mich schon sehr“, erzählt die Stuttgarterin, die in Norddeutschland geboren wurde, in Bielefeld Sozialpädagogik studiert hat, zwischendurch in Hamburg arbeitetet und wohnte und nun schon seit vielen Jahren in Süddeutschland lebt. Ravensburg selbst, aber auch die Nähe zum Bodensee interessieren sie, denn ihr Lebensgefährte – früher Redakteur bei See-TV – schwärme ihr immer wieder von der herrlichen Landschaft dort vor.
Zunächst aber sieht das Nordlicht seinen Schaffensmittelpunkt in Stuttgart und beim SWR. So ganz will sich Nana Rademacher nämlich gar nicht aufs Schreiben konzentrieren. Es sei ganz gut, noch einen normalen Job zu haben und geerdet zu bleiben. Denn: „Kreativ zu sein, kann sehr anstrengend sein.“ Nana Rademacher liest am Mittwoch, 27. April um 9.30 Uhr und um elf Uhr im Musiksaal des Welfen-Gymnasiums in Ravensburg aus „Wir waren hier“. Die Karten können per E-Mail an lesefestival@ravensburger.de bestellt werden. Das Ravensburger Lesefestival dauert vom 26. bis zum 29. April. Weitere Informationen unter www.ravensburger.com/ ravensburger-lesefestival/start/ index.html Die „Schwäbische Zeitung“verlost zehn Exemplare von „Wir waren hier“. Einfach E-Mail an beilagenredaktion@schwaebischezeitung.de mit dem Stichwort „Rademacher“schicken.