Punkt, Punkt, Kringel, Strich ...
Meditatives Zeichnen soll entspannen und den Geist beruhigen – ein Selbstversuch mit der Methode Zentangle
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Man soll in kürzester Zeit entspannen. Muss nichts können. Kann enorm kreativ sein. Inspiriert gar. Und sogar den „Flow“erleben. Und das ohne Drogen zu nehmen oder jahrelang in einem tibetischen Kloster zu meditieren. Ach ja, nicht zu vergessen: Es kostet weder viel Geld noch viel Zeit, man braucht dafür nur Stift und Papier. Na dann! Malen als Anti-Stress-Therapie ist ohnehin gerade schwer angesagt. Höchste Zeit, Zentangle auszuprobieren, wie sich diese meditative Zeichenmethode nennt, die all dies verspricht.
Katharina Königsbauer-Kolb empfängt mich zu einer Privatstunde zu Hause. Die Münchnerin, die am schönen Ammersee wohnt, gibt sonst auch Kurse für Gruppen, sie ist eine von etwa 15 Zentangle-Lehrerinnen in Deutschland. Grade hat sie ein Buch herausgebracht, in dem sorgfältig erklärt wird, wie’s geht. Denn so leicht und spielerisch diese Zeichenmethode sein soll, ganz ohne Anleitung geht es halt doch nicht. Ein bisschen mehr als jenes Gekritzel, das neben dem Telefonieren oder in endlosen Konferenzen entsteht, ist Zentangle schon. Und etwas künstlerischer Ehrgeiz steckt auch dahinter. Beeindruckend, diese filigran gezeichneten, ineinander verschmolzenen Muster, die auf den Vorlagen der Meisterin zu sehen sind. Ob das wirklich – völlig entspannt – in einer halben Stunde hinzuzaubern ist, wie’s heißt?
Katharina Königsbauer-Kolb weiß die skeptischen Blicke zu deuten und lacht: „Keine Angst, es gibt keine Fehler.“Keinen Radiergummi, kein Lineal. Vielleicht sollte man noch hinzufügen: keine Noten. Eigentlich nicht mal ein Ziel, denn das Werk soll spontan entstehen. Der Weg ist das Ziel. Alles klar.
Vor uns liegen eine typische Zentangle-Kachel, das heißt: ein quadra- tisches, exakt 9 x 9 Zentimeter großes Stück leeres, raues Baumwollpapier, ein feiner, pechschwarzer Stift, ein weicher Bleistift und ein Spezialstift, mit dem man Konturen verwischt. Jetzt kann’s also losgehen. Mit lockeren Strichen wird die Kachel in verschiedene Felder unterteilt, die wiederum systematisch mit unterschiedlichen Mustern gefüllt werden. Immer schön der Reihe nach.
Wir beginnen mit einer Art von Halbmonden, dem Muster „Crescent moon“, danach folgt „Hollibaugh“, das an Mikadostäbe erinnert. Seltsam, wie lange ist es her, seit ich das letzte Mal etwas gezeichnet habe – oder gar gemalt? Viele Jahre vermutlich. Viel zu lange. Kurz nur schweifen die Gedanken ab, denn es gilt, sich zu konzentrieren: Punkt, Punkt, Kringel, Strich ...
Ziel ist es, ganz im Hier und Jetzt zu sein und den unruhigen Geist zu Katharina Königsbauer-Kolb über den Sinn des „Tangelns“ bändigen. Die ständigen „Ich-du-ersie-es-sollte-müsste-könnte-Gedanken“eine Weile zu verbannen. Und irgendwie gelingt das auch.
Während die Stifte übers Papier kratzen und der kleine Buddha auf dem Kachelofen milde lächelt, erzählt Katharina Königsbauer-Kolb mehr über ihre Entdeckung von Zentangle: „Vor etwa zweieinhalb Jahren habe ich damit angefangen“. Ihr Mann, der wie sie selbst Yogalehrer ist, habe ihr ein Buch darüber mitgebracht. „Das hat mich sofort fasziniert, weil es so einfach war und so leicht im Alltag umzusetzen.“Ihr Mann war dann doch nicht so begeistert. „Tangeln“scheint Frauensache zu sein, das merkt die 35-Jährige auch in den Kursen oder auf den InternetPlattformen, wo man sich gegenseitig seine schönsten Kacheln zeigt.
Die Form dieser „aktiven Meditation“findet sie ideal: Es gibt acht Schritte und festgelegte Muster, was eine Struktur vorgibt. Aber es bleibt genug Raum, um zu variieren und selber kreativ zu sein. Das bedeutet: Man ist gefordert, aber nicht überfordert. Eine wichtige Voraussetzung, um entspannt zu bleiben – oder zu werden.
Die Methode stammt aus den USA und wurde erfunden von Rick Roberts und Maria Thomas. Das Künstlerpaar hat die Kombination von Meditation und Mustern zur Methode erhoben und unter dem Namen „Zentangle“zu einer Marke gemacht. Vor einem Jahr, so erzählt die Bayerin, sei sie selbst in den USA gewesen, um sich zur Lehrerin ausbilden zu lassen, wie Interessierte aus der ganzen Welt. Viele stammten aus den USA, nicht wenige auch aus dem asiatischen Raum. Zen lässt grüßen.
Und was ist nun mit dem Flow? Vielleicht habe ich den vor lauter Versunkenheit gar nicht bemerkt. Nach gut einer Stunde begutachten wir die fertigen Werke. Ein etwas alberner, kindlicher Stolz stellt sich ein. Meine erste Kachel! Am Ende lächelt nicht nur der Buddha. Buchtipps für Einsteiger: Katharina Königsbauer-Kolb: Zentangle für jede Gelegenheit. Meditatives Zeichnen für mehr Gelassenheit, Entspannung und Inspiration. Gräfe und Unzer Verlag 2016. 128 Seiten, 14,99 Euro. Kathleen Murray: Zentangle. Das Einführungsbuch. Frechverlag Stuttgart, 2016. 160 Seiten, 11,99 Euro. Internet-Adressen: www.zentangle.com: offizielle Webseite der Erfinder www.tangle-ammersee.de: K. Königsbauer-Kolbs Webseite