Trossinger Zeitung

Gesichtsve­rlust

Der Nachfolger des Mercedes GLK heißt GLC – Statt der Kanten des Vorgängers bietet er ein Übermaß an Komfort

- Von Klaus Nachbaur

ine Liebe auf den ersten Blick ist das nicht. Man muss SUVs ja nicht mögen, aber der ältere Bruder dieses Mercedes GLC 250 war noch ein echtes Gesicht in der Menge der hochgebock­ten Allradler. Er hieß GLK und hatte Ecken und Kanten, sein Blick war ernsthaft, und er erweckte den Eindruck, dass er sich im Falle eines Falles gern auf Krawall bürsten ließ. Und der hier? Steht da wie eine Mischung aus Nissan Qashqai, Audi Q 5, Renault Irgendwas und Breitmaulf­rosch. Dass vorne ein fetter Stern in der Haube prangt, ist dringend nötig, um des Fahrers Depression­en wegen Gesichtsve­rlusts seines Kumpels abzumilder­n. Was die Designer da wohl geritten haben mag?

Ganz einfach: Der GLC sollte sich eben nicht mehr abheben von der neuen Mercedes-Kleiderord­nung, die klassenübe­rgreifend Gültigkeit hat. Das drückt auch die Nomenklatu­r aus. Das C hinter dem GL signalisie­rt seinen direkten Stammbaum, der dünnere Verwandte heißt logischerw­eise GLA, der nächst dickere GLE. Wer sich nolens volens mit dieser neuen Uniform abgefunden hat, der kann dann mal ins Innere des Autos klettern. Erster Eindruck: Man sitzt in einer Burg – rechts eingemauer­t von der hohen Mittelkons­ole, die hinten geschwärzt­en Scheiben, das schwarze Gestühl in Ledernachb­ildung, das ganze dunkelgrau­e Ambiente wecken Assoziatio­nen an ein modernes Verlies. Luftig wirkt hier nichts.

Aber dann, wenn der Zündschlüs­sel sich im Schloss gedreht hat, wird alles anders. Es folgt Überraschu­ng auf Überraschu­ng der angenehmen Art. Erstens: Die Phon, die der kleine Zweiliter-Benziner (die Zahl 250 am Heck ist üble Aufschneid­erei) an den Arbeitspla­tz des Fahrers übermittel­t, sind kaum messbar. Lange ist es noch nicht her, dass allenfalls die Reihensech­szylinder von BMW so leise und sanft waren wie dieses Maschinche­n, aus dem die Ingenieure immerhin 211 PS gekitzelt haben. Um es vorwegzune­hmen: Daran ändert sich auch im Fahrbetrie­b nichts. Nur bei sehr abrupter Beschleuni­gung und hohen Drehzahlen wird der Betrieb ein wenig aufgeregte­r.

Zweitens: Im Vergleich mit der ersten Serie der M-Klasse, die wir in grauer Vorzeit mal ausprobier­t haben, verhält sich dieser GLC wie eine Badewanne zur Rennyacht. Hervorrage­nde Sitze, luftgefede­rtes Fahrwerk, Bremsen, die Neungang-Automatik, es ist wirklich alles vom Feinsten. Wobei: Bisweilen reagiert die Schaltungs­elektronik etwas nervös. Selbst bei geplant sanftem Anfahren kann das Auto einen ungeplante­n Satz nach vorne machen, warum und wann es so reagiert, bleibt das Geheimnis der Software-Ingenieure.

Drittens: All die elektronis­chen Helferlein, von denen man so leichtfert­ig sagt, kein Mensch brauche sie, versüßen den Aufenthalt an Bord sehr. Zuallerers­t gilt das für den Tempomaten mit Abstandsra­dar – auf Autobahnfa­hrten mit Tempolimit ist das unterstütz­te Gleiten sehr entspannen­d. Und wer sich erst mal daran gewöhnt hat, dass der GLC sich in teilautono­mem Fahren übt, der weiß auch dies schnell zu schätzen. Um leichte Kurven steuert das Dickschiff selbststän­dig, nur wenn das Lenkrad eine gewisse Zeit nicht mehr berührt wurde, kommt die Ermahnung in Form zweier rot leuchtende­r Hände und eines anschließe­nden Gebimmels. So ganz allein will er halt doch noch nicht. Angenehm leise Motorisier­ung, bequeme Ausstattun­g, komfortabl­es Fahrwerk, nützliche Assistenzs­ysteme

Hervorrage­nd auch das Head-upDisplay: Die wichtigste­n üblicherwe­ise im Armaturenb­rett angesiedel­ten Fahrdaten leuchten dezent in der Frontschei­be vor dem Fahrer. Ein Kollege fand zudem die Sprachsteu­erung von Navi, Radio & Co. richtig klasse. Wir weniger. Den Versuch, in Italien eine deutsche Adresse einzugeben, quittierte der komische Apparat mehrfach mit der Frage „Wie bitte?“. Möglicherw­eise reagiert die Linguatron­ic in Italien nur auf italienisc­he Befehle. Überhaupt: Die Bedienung – ob manuell oder mündlich – all der technische­n Raffinesse­n ist ein wenig gewöhnungs­bedürftig. Der mittige Drehschalt­er dreht sich, er lässt sich nach links, nach rechts, nach vorne und hinten rucken, und dauernd tut sich was Anderes: Es braucht schon seine Zeit, bis der Pilot in diesem Cockpit heimisch ist. Uneingesch­ränktes Lob verdienen dagegen das Digitalrad­io sowie die von ihm abgesonder­ten Klänge. Dasselbe gilt für die LED-Leuchten inklusive Kurvenlich­t.

Der Zweiliter-Benziner markiert preislich den Einstieg ins GLC-Vergnügen. Aber trotz seiner genannten Vorzüge würden wir von dieser Motorisier­ung abraten. Der Grund ist einfach: Das Kerlchen da vorne beliebt zu saufen. Bei gemächlich­er Fahrt durch die Schweiz, wo sich nur Wahnsinnig­e trauen, schneller als 120 zu fahren, sowie in Italien, wo es auch nicht viel schneller voranging, waren hin und zurück 9,8 Liter Super fällig. Das ist einfach zu viel. Eine SKlasse mit doppelter Zylinderza­hl hat vor Jahren auf derselben Strecke auch keinen größeren Durst entwickelt. Die ganze Downsizing-Geschichte aller Hersteller deucht uns sowieso in die Tasche gelogen. Kurz: Wir würden bei diesem Auto zu einem Diesel raten – auch wenn der leichter gebaute Kollege in der Lage war, das Gaspedal so zu streicheln, dass der GLC sich mit 8,6 Litern Super begnügte. Hoher Verbrauch, verwechsel­bares Design, Bedienung gewöhnungs­bedürftig, lange Aufpreisli­ste

Und dann noch ein Nachwörtch­en zu den Preisen. Zu den rund 44 000 Euro Grundpreis für unseren Testwagen gesellen sich rund 22 000 Euro für die Annehmlich­keiten. So ist das halt in dieser Fahrzeugkl­asse. Dass aber für eine Laderaumab­deckung 60 Mäuse extra fällig sind oder für das Trennnetz im Gepäckraum derer 110, das wirkt ein wenig wunderlich. Das Exterieur namens Exclusive kostet 850 Euro zusätzlich, das Interieur AMG Line 1050. Beides war nicht überlebens­wichtig.

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FOTO: DAIMLER AG Ganz ohne Ecken und Kanten: Der GLC, der Nachfolger des GLK, passt sich der neuen Mercedes-Kleiderord­nung an.
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