Experten fordern mehr Studiengänge für Integrationshelfer
Im Einwanderungsland Deutschland gibt es kaum Weiterbildungen für Menschen, die mit Migranten arbeiten
HEIDELBERG (lsw) - Halina Kammerer versteht ihre Schüler mit jedem Abschnitt ihres Studiums besser. Die Spannungen zwischen den Schülern, das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen, die vielen Fragen, die mitunter verständnislosen Blicke. Die 56-Jährige unterrichtet an einer Schule nahe Mosbach (NeckarOdenwald-Kreis) minderjährige Flüchtlinge – und studiert an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg „Migration und Flucht“. Jetzt wisse sie, dass es zum Beispiel unter Syrern verschiedene Ethnien und Religionszugehörigkeiten gebe. Manche Schüler dächten deshalb, sie seien die besseren Gläubigen in der Klasse.
Die berufsbegleitende Weiterbildung bringe ihr sehr viel, sagt Kammerer, vor allem der Austausch über die Praxis mit den anderen Studenten. Über zwei Semester gibt es für die bis zu 30 Teilnehmer mehrere Präsenzphasen, ergänzt durch Selbststudium. Im Oktober dieses Jahres beginnt der zweite Durchgang des Programms. Es richtet sich vor allem an Lehrer und Menschen in öffentlich-kommunalen Institutionen, die beruflich mit Flüchtlingen oder anderen Migranten zu tun haben. Zulassungsvoraussetzung: ein Jahr Erfahrung.
Aus Sicht von Migrationsforscher Jochen Oltmer gibt es in Deutschland viel zu wenige Weiterbildungen und Studiengänge dieser Art. „Das Angebot müsste stark ausgebaut werden – wir sehen den Bedarf ganz explizit“, sagt der Professor vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Uni Osnabrück. „In einer Einwanderungsgesellschaft sollte man erwarten, dass auch im akademischen Bereich entsprechende Ausbildungsgänge vorgehalten werden.“Das Angebot an regulären Studiengängen zum Thema Migration und Integration beschränke sich in Deutschland auf nicht einmal fünf – mit sehr geringer Kapazität, kritisiert Oltmer.
Migrationsexpertin Havva Engin hat die Heidelberger Weiterbildung ins Leben gerufen. Auch aus ihrer Sicht müsste es bundesweit mehr davon geben. Die Nachfrage in Heidelberg sei sehr groß gewesen – es hätten sich Teilnehmer aus ganz Deutschland angemeldet, sagt sie.
In Kammerers Klasse gab es anfangs viele Konflikte zwischen Jungen und Mädchen. „Man muss immer wieder wiederholen, dass sie die gleichen Rechte haben“, sagt die Lehrerin. Sie spreche auch über Themen wie Homosexualität – dabei hätten ihr die Tipps aus dem Studium geholfen. Sie gehe sehr offen an solche Themen heran. „Ich verkaufe das als etwas ganz Normales, damit die Schüler merken: Es gibt noch etwas anderes als das, was ich bisher kenne.“Das Studium gebe ihr Selbstsicherheit.
In der Heidelberger Weiterbildung ist die Verbindung zwischen Theorie und Praxis besonders wichtig, die Diskussion über reale Fallbeispiele. „Wir haben ganz verschiedene Berufsfelder dabei – alle schauen hier über den Tellerrand“, erzählt Engin. Die meisten arbeiteten mit Flüchtlingen. „Im Gespräch merken sie, wie viel Expertise sie schon haben.“Es gehe auch darum, Handlungsmöglichkeiten zu erkennen: Welche Ressourcen habe ich sonst noch in meiner Kommune?