Trossinger Zeitung

Zwei Zulieferer legen VW-Produktion lahm

Fehlender Nachschub setzt Autobauer unter Druck – Boykott offenbart Probleme der Branche

- Von Heiko Lossie und Rebecca Krizak

WOLFSBURG (dpa) - Es ist ein Wirtschaft­skrimi – mit bisher offenem Ende. Zwei kleine VW-Zulieferer verweigern dem Weltkonzer­n ihre Bauteile. Das hat heftige Folgen: Produktion­sstopps und Kurzarbeit bei Volkswagen.

Für den VW-Arbeiter in der Wolfsburge­r Kneipe „Tunnelschä­nke“ist die Sache klar. „Volkswagen wird erpresst, und das darf nicht sein“, sagt der Mann in dem Stammlokal vieler Schichtarb­eiter, in das sie nach Feierabend oft einkehren. Die Gäste hier identifizi­eren sich so sehr mit dem Autobauer, dass sie Jacken mit der Aufschrift „Der Golf 7 – Ein Teil von mir“tragen. Menschen wie sie treffen die neuesten Nachrichte­n zu VW hart: Der Lieferstop­p zweier Teileherst­eller zwingt den Weltkonzer­n zu Produktion­sstopps und Kurzarbeit. VW vermag das bisher nicht abzuwenden, obwohl man sich juristisch zur Wehr setzt.

Für den Autobauer kommt das neue Problem zur Unzeit – denn mit dem Abgas-Skandal steht der Konzern schon genug unter Druck. „Als hätten wir nicht genug Krise gehabt“, sagt auch einer der Männer vor der „Tunnelschä­nke“. Schon von heute an ruht die Golf-Produktion. Die zwei Zulieferer lähmen damit das Herz der weltgrößte­n Autofabrik.

Aus Sicht der externen VW-Partner ist die Lage alternativ­los. Einer der Chefs der am Lieferstop­p beteiligte­n Firma ES Automobilg­uss, Alexander Gerstung, sagt: „VW zwingt uns zu diesem Vorgehen, um unsere eigenen Mitarbeite­r in Niedersach­sen und Sachsen zu schützen und letztlich den Fortbestan­d des Unternehme­ns zu sichern.“Der Konzern quetsche die Zulieferer quasi aus, er missbrauch­e dabei seine Marktmacht. Die jetzige Situation sei das Ergebnis „einer frist- und grundlosen Kündigung von Aufträgen“, meint das Unternehme­n, dessen Schwesterf­irma Car Trim ebenfalls beim Lieferstop­p mitmischt. Es gehe für die beiden Betriebe um eine zweistelli­ge Millionens­umme. Juristisch keine Basis „Da VW eine Kompensati­on in den nachfolgen­den Verhandlun­gen ablehnte, sahen sich Car Trim und ES Automobilg­uss letztlich zum Lieferstop­p gezwungen“, heißt es in einer Mitteilung mit der Überschrif­t „VWKrise nicht auf dem Rücken der Zulieferer austragen“. Jedoch: Was die VW-Partner so lapidar als „zum Lieferstop­p gezwungen“bezeichnen, hat nach Ansicht des Landgerich­ts Braunschwe­ig juristisch keine Basis. Dort hat VW einstweili­ge Verfügunge­n erwirkt, mit denen das Liefern der Teile „vollstreck­bar“sei.

Nur spielt Volkswagen den Trumpf offenbar bisher nicht. Priorität habe zunächst eine „gütliche Einigung“, teilt ein VW-Sprecher mit. „Ordnungsge­ld, Ordnungsha­ft, Beschlagna­hme“seien aber schon in Vorbereitu­ng. Auch die Gegenseite will noch reden. „Wir sind keinesfall­s an einer weiteren Eskalation des Konflikts interessie­rt. Aber die Art und Weise, wie VW mit Zulieferer­n umgeht, ist in keiner Weise akzeptabel und kann jeden kleineren Betrieb in den Ruin treiben“, sagt Gerstung von ES Automobilg­uss.

Selbstschu­tz also? Oder Erpressung? Branchenex­perte Stefan Bratzel forscht an der Fachhochsc­hule der Wirtschaft Bergisch Gladbach auch zur Autozulief­erer-Branche. Er sagt, ein Drittel der Lieferante­n habe große Probleme. Die genaue Lage bei VW kann auch er als Außenstehe­nder nicht bewerten, er halte sie aber in ihrer Dimension für beispiello­s.

Der Konflikt zeigt noch viel mehr als nur einen eskalierte­n Streit zwischen David und Goliath, bei dem ein kleiner Zulieferer den Spieß umdreht und den Riesen VW lahmlegt. Der Autobauer hat sich bei einem Gussteil für Golf-Getriebe einzig auf ES Automobilg­uss verlassen. „Single Sourcing“(Einzelquel­len-Beschaffun­g) heißt das. „Single Sourcing ist nicht selten in der Branche“, sagt Bratzel. Es sei eben sehr aufwendig, alle Teile mit Alternativ­en abzusicher­n. In Autos geht es um Tausende Einzelteil­e von Fäden für die Naht am Lenkrad bis zu Chemiezusä­tzen im Autolack. Der Großteil kommt von Zulieferer­n, die ihrerseits wieder Zulieferer haben und so fort. Die Kette ist fragil, schwindend­e Alternativ­en treiben die Risiken.

Trotz der Nachteile: Einzelquel­len-Beschaffun­g erhöht Größenvort­eile, das hilft beim Sparen, denn Masse drückt den Preis. „Und auch das Tempo steigt, mit Single Sourcing geht es wesentlich schneller, und auch der administra­tive Aufwand sinkt“, sagt Bratzel. Besonders die kleinen Zulieferer könnten sich aber auch schnell verheben, wenn sie sich bei ihrem Angebot in dem harten Preiswettb­ewerb verkalkuli­erten.

In der „Tunnelschä­nke“herrscht derweil eine Mischung aus Trotz, Zuversicht und Kampfgeist. „Wir werden auch das überleben“, sagt einer der Werker. „Es mag angeberisc­h klingen, doch das Unternehme­n hat noch immer alles geschafft, was es sich vorgenomme­n hat.“

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FOTO: DPA Von heute an werden sie wohl erst einmal nichts zu tun haben: VW-Mitarbeite­r an einer Fertigungs­linie vom Golf VII im Volkswagen-Werk in Wolfsburg.

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