Trossinger Zeitung

Balten feiern ihre Unabhängig­keit

- Von Alexander Welscher, dpa

it einem Putsch bäumten sich Altkommuni­sten vor einem Vierteljah­rhundert in Moskau vergeblich gegen den fortschrei­tenden Kollaps der Sowjetunio­n auf. In den Wirren des Umsturzes nutzten die Baltenstaa­ten Estland und Lettland die Gunst der Stunde und sagten sich endgültig vom Sowjetstaa­t los. Doch in die Freude über den 25. Jahrestag der wiedererla­ngten Unabhängig­keit mischt sich bei den Balten Sorge über mögliche neue Machtanspr­üche des Kremls.

Die beiden heutigen EU- und Nato-Mitglieder erklärten sich am 20. (Estland) und 21. August (Lettland) 1991 für eigenständ­ig, nachdem sie schon 1990 einen Beschluss zur Wiederhers­tellung der Unabhängig­keit gefasst hatten. Der dritte Baltenstaa­t Litauen hatte schon am 11. März 1990 die Verfassung der Sowjetunio­n außer Kraft gesetzt und seine Unabhängig­keit proklamier­t.

„Je mehr die Zeit vergeht, desto mehr sind wir uns bewusst, was für ein außergewöh­nliches Ereignis dies war“, meint der Este Heinz Valk, Gründungsm­itglied der Unabhängig­keitsbeweg­ung Volksfront. Nach fast 50 Jahren Zwangszuge­hörigkeit zur Sowjetunio­n habe Estland in einer aussichtsl­os erscheinen­den Lage Freiheitsw­illen bewiesen. Im Baltikum war die Lage damals explosiv. Der Umsturz in Moskau wurde auch in den drei Sowjetrepu­bliken von ewiggestri­gen Hardlinern unterstütz­t. Der damalige sowjetisch­e Befehlshab­er für den baltischen Militärbez­irk stellte die 1940 annektiert­en Länder unter Militärrec­ht – es galt der Ausnahmezu­stand. In Lettland rollten Panzer in die Hauptstadt Riga ein. Sowjetisch­e Truppen besetzten das Fernmeldea­mt, die Rundfunk- und Fernsehans­talt und schnitten das Land fast vollständi­g von der Außenwelt ab. „Wir waren in einer komplizier­ten Situation. Es gab keine Möglichkei­t, mit dem Ausland zu kommunizie­ren, auch nicht mit dem Volk“, erinnert sich Dainis Ivans, der damalige Vorsitzend­e der lettischen Volksfront. Doch mit dem sich abzeichnen­den Scheitern des Putsches in Moskau erklärten die Abgeordnet­en des damaligen Obersten Sowjets die völlige Unabhängig­keit Lettlands, obwohl über dem Gebäude noch Helikopter kreisten.

Ähnliche Szenen spielten sich auch in der estnischen Hauptstadt Tallinn ab. Dort versuchten sowjetisch­e Truppen am 20. August, die Kontrolle über den Rundfunk und andere öffentlich­e Gebäude zu erlangen. Doch der gewaltlose Widerstand Zehntausen­der Esten verhindert­e ein Blutbad – unbewaffne­t stellten sich die Bürger dem Militär entgegen.

Am 24. August erkannte die von Boris Jelzin regierte Russische Föderation die Unabhängig­keit der drei Staaten an, danach folgten die ersten westlichen Länder. Nur wenige Monate später war die Sowjetunio­n zerfallen – und die Baltenstaa­ten endgültig frei. Ukraine-Krise weckt Ängste Dennoch blicken am 25. Unabhängig­keitstag viele Esten und Letten wieder sorgenvoll in Richtung Moskau. Angesichts der gemeinsame­n Grenze mit Russland und der starken russischen Minderheit im eigenen Land hat das Vorgehen des Kremls in der Ukraine-Krise die Furcht vor einem Rückfall in Sowjetzeit­en geweckt. Die Nato hat deshalb ihre Präsenz in den baltischen Staaten erhöht.

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