Die Einkaufstouristen
Starker Franken treibt die Schweizer über die Grenze – Boom in Handel und Gastronomie
KONSTANZ - Morgens halb elf in Konstanz. Die Parkplätze in der Innenstadt sind bis auf drei Plätze belegt. An den Kassen im Einkaufszentrum Lago bilden sich die ersten Schlangen. Eine Dame schiebt einen randvollen Einkaufswagen aus dem Drogeriemarkt. 252,25 Euro hat sie für ihren Einkauf liegen lassen. Im Wagen stapeln sich Haarwaschmittel, Cremes, Duschgel und Putzmittel. „Hier in Deutschland ist alles viel billiger. In der Schweiz hätte ich dafür bestimmt 500 Euro bezahlt“, sagt Nena Canovic. Etwa alle fünf Monate kommt sie aus St. Gallen zum Großeinkauf nach Konstanz.
Anita Furrer hat eine einstündige Bahnreise aus dem Toggenburg hinter sich. Sie sucht eine passende Garderobe für eine Hochzeitsfeier. „Hier ist es einfach günstiger“, sagt sie. Erst vor wenigen Tagen habe sie eine Gerry Weber Hose für 120 Franken gekauft. Hier gibt es sie für 90.
Für Schweizer Kunden zahlt sich der Shopping-Trip nach Deutschland doppelt aus. Die Produkte sind nicht nur günstiger. Kunden aus der Schweiz bekommen auf ihren Einkauf noch 19 Prozent Mehrwertsteuer zurückerstattet.
Nochmal angezogen hat der Ansturm aus dem Nachbarland seit die Schweizer Nationalbank im Januar 2015 den Mindestkurs des Schweizer Franken aufgehoben hat. Dadurch hat sich die Nachfrage nochmals um elf Prozent erhöht, heißt es in einer Studie der Schweizer Großbank Credit Suisse. Rund 4,7 Milliarden Euro haben Schweizer Bürger demnach 2015 in Deutschland ausgegeben. In der Region Hochrhein Bodensee hängen 8000 Händler von Schweizer Kunden ab, sagt der Geschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, Bertram Paganini. Beliebtestes Einkaufsziel ist Konstanz. Der Anteil des Umsatzes mit Schweizer Kunden liegt bei 35 Prozent. Aber auch Städte wie Lindau, Friedrichshafen und Ravensburg haben mehr Schweizer Kunden. Der Arbeitsmarkt profitiert Die Grenzregion profitiert davon enorm. Laut einer aktuellen Studie der IHK Hochrhein-Bodensee ist in der Grenzregion die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel zwischen 2012 und 2015 um 15 Prozent auf 24 000 gestiegen. Das Gastgewerbe verzeichnet im gleichen Zeitraum sogar einen Anstieg um 58 Prozent auf 10 800 Beschäftigte.
Das bringt auch Probleme. Die Auswirkungen auf den Schweizer Einzelhandel etwa in der Nachbarstadt Kreuzlingen seien dramatisch und hätten bereits zu Geschäftsschließungen geführt, sagt Matthias Hotz, Präsident des Verbandes TGshop Fachgeschäfte Thurgau.
Auch auf deutscher Seite wächst der Unmut. Seit dem starken Frankenkurs nehmen Schweizer Kunden immer längere Anfahrtswege in Kauf. Im Lago Parkhaus am Bahnhof stehen nicht nur Autos aus den Grenzregionen, sondern auch aus der Innerschweiz: Zürich, Zug – sogar aus Luzern fahren Schnäppchenjäger zum Shoppen an den Bodensee.
In den Ferien und an Samstagen kommt der Verkehr in der Innenstadt praktisch zum Erliegen, sagt eine Verkäuferin. „Dann regeln hier immer Verkehrskadetten den Verkehr.“Schon morgens war der Rückstau oft so stark, dass auch in Kreuzlingen nichts mehr geht. Mittlerweile ist ein Zollübergang für Autos gesperrt.
Die Konstanzer stehen dem Ansturm daher mit gemischten Gefühlen gegenüber. Vor wenigen Tagen soll ein Drogeriemarkt im Zentrum so überfüllt gewesen sein, dass aus Sicherheitsgründen nur noch Leute hineindurften, wenn jemand hinauskam, berichtet ein Anwohner. Wer kann, meidet vor allem am Samstag die Innenstadt.
Lange Staus gibt es auch an den Grenzübergängen. Die Zollbeamten kommen mit dem Stempeln der sogenannten grünen Zettel für die Rückerstattung der Mehrwertsteuer kaum hinterher. 11,3 Millionen von den Formularen haben allein die Beamten vom Hauptzollamt Singen, zu dem auch die Konstanzer Übergänge gehören, im vergangenen Jahr abgestempelt – acht Prozent mehr als im Vorjahr. Die Beamten leisten damit ein Stück Wirtschaftsförderung in der Grenzregion, lobt IHK-Geschäftsführer Paganini.
Doch damit könnte bald Schluss sein. Schon lange klagt der Zoll, keine Zeit mehr für die eigentlichen Aufgaben zu haben. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte daher die Einführung einer elektronischen Variante in Aussicht gestellt. Laut IHK sei man auch schon auf einem guten Weg gewesen. Ende 2015 sollte es eine Ausschreibung geben, 2017 einen Pilotversuch.
Doch momentan liegt das Projekt auf Eis. Hintergrund ist ein Vorstoß der baden-württembergischen Landesregierung im Februar. Demnach sollten Kunden aus Nicht-EU-Ländern die Mehrwertsteuer erst ab einem Einkauf von 50 Euro zurückerstattet bekommen. Die IHK schlägt jetzt Alarm. Sie befürchtet mit der Einführung einer Bagatellgrenze nicht nur Umsatzrückgänge, sondern auch das Aus für die Pläne der elektronischen Mehrwertsteuerrückerstattung. Denn mit der Bagatellgrenze würde rund ein Drittel der grünen Zettel wegfallen, sagt Paganini. Eine elektronische Verarbeitung wäre dann vermutlich nicht mehr wirtschaftlich.