Trossinger Zeitung

Schreie, Rufe, Schüsse

Polizeisch­üler müssen für den Terrorfall üben

- Von Franziska Höhnl

SEELAND (dpa) - Ein lauter Knall ist das Startsigna­l. In Zweierteam­s rennen sie aus dem Gebüsch, die Maschinenp­istole ist gezückt. Tür auf. Glas knirscht. Es hallen Schritte durch das Treppenhau­s der Schule im sachsen-anhaltisch­en Hoym, südlich von Magdeburg. Schreie, Hilferufe, rauschende Funksprüch­e, dann Schüsse. Die beiden jungen Polizisten müssen reagieren. „Kontaktmod­us“ruft einer, dann erhöhen beide das Tempo. Junge Frauen rennen herbei, haken sich unter, schreien. „Gehen Sie raus hier, in Sicherheit“, ruft er immer wieder. Mehr kann er jetzt nicht für sie tun. Er muss den Täter finden.

Der junge Polizeisch­üler ist einer von 18 Nachwuchsk­räften, die am Montag in einem leerstehen­den Schulgebäu­de stundenlan­g den Ernstfall üben: Amoklauf in einer Schule. Es könnte auch eine Terroratta­cke sein. „Da ist jemand drin und tötet Menschen“, beschreibt Ausbilder Wolf-Rüdiger Dainat den Grundgedan­ken. Die Polizisten müssen reagieren, blitzschne­ll. Amoktraini­ng ist Pflicht Verletzte liegen lassen, untereinan­der kommunizie­ren, Täter finden und handlungsu­nfähig machen – das sind die Regeln, wie der Sprecher der Polizei-Fachhochsc­hule SachsenAnh­alt, Martin Zimmermann, erklärt. An der Hochschule sind die Ernstfall-Übungen Pflicht. Seit dem Amoklauf am Erfurter GutenbergG­ymnasium vor 14 Jahren müssen alle Polizeisch­üler zum Amoktraini­ng.

So handhaben es die meisten Bundesländ­er. Sachsen-Anhalts Innenminis­ter Holger Stahlknech­t (CDU) will auch nach den jüngsten Ereignisse­n in Deutschlan­d daran festhalten – die Notwendigk­eit eines zusätzlich­en Anti-Terror-Trainings sieht er nicht. Seine Kräfte seien dank der bisherigen Trainings gut auf den Ernstfall vorbereite­t. Allerdings setzt er auch auf bessere Ausrüstung und die – derzeit kontrovers diskutiert­e – Unterstütz­ung durch die Bundeswehr. Eine gemeinsame Anti-Terror-Übung von Polizei und Bundeswehr ist geplant und soll Ende August vorbereite­t werden.

Unabhängig davon übt die Landespoli­zei weiter. „Eine Lehre aus dem Fall war, dass die Polizisten, die zuerst am Geschehen ankommen, nicht mehr auf die Spezialist­en vom SEK warten können“, sagt FH-Sprecher Zimmermann. Deswegen müssen alle vorbereite­t sein. Dabei sei es unerheblic­h, ob die Attacke nach den ersten Ermittlung­en als „Amok“oder als „Terror“eingeordne­t werde.

Die 18 Männer und Frauen, die am Montag trainieren, sind kurz vor dem Start in den Berufsallt­ag. Eine Woche lang üben sie. Nach der Theorie und ersten praktische­n Übungen müssen sie in der ihnen bisher unbekannte­n Schule alles zusammenfü­gen. Ein erfahrener Ausbilder mimt den Täter, manchmal sind es auch zwei.

Haben die Polizeisch­üler nach den Anschlägen von München, Würzburg und Ansbach Angst, dass aus der Übung bitterer Ernst werden könnte? „Nein, eher Respekt davor, dass es solche schlimmen Situatione­n geben kann“, sagte einer. Seine Teamkolleg­in fügt an: „Man denkt manchmal darüber nach, dass so etwas auch uns passieren kann – aber dafür sind wir Polizisten.“Sie habe nach einem Studium zur Polizei gewechselt und bereue das auch nicht, sagt die 28-Jährige.

Nicht alles klappt im Training. „Welche Taktik hast du denn da gerade angewendet?“, fragt der Ausbilder mit donnernder Stimme. „Das war pures Glück eben, im echten Leben wärt ihr beide tot.“

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