Schreie, Rufe, Schüsse
Polizeischüler müssen für den Terrorfall üben
SEELAND (dpa) - Ein lauter Knall ist das Startsignal. In Zweierteams rennen sie aus dem Gebüsch, die Maschinenpistole ist gezückt. Tür auf. Glas knirscht. Es hallen Schritte durch das Treppenhaus der Schule im sachsen-anhaltischen Hoym, südlich von Magdeburg. Schreie, Hilferufe, rauschende Funksprüche, dann Schüsse. Die beiden jungen Polizisten müssen reagieren. „Kontaktmodus“ruft einer, dann erhöhen beide das Tempo. Junge Frauen rennen herbei, haken sich unter, schreien. „Gehen Sie raus hier, in Sicherheit“, ruft er immer wieder. Mehr kann er jetzt nicht für sie tun. Er muss den Täter finden.
Der junge Polizeischüler ist einer von 18 Nachwuchskräften, die am Montag in einem leerstehenden Schulgebäude stundenlang den Ernstfall üben: Amoklauf in einer Schule. Es könnte auch eine Terrorattacke sein. „Da ist jemand drin und tötet Menschen“, beschreibt Ausbilder Wolf-Rüdiger Dainat den Grundgedanken. Die Polizisten müssen reagieren, blitzschnell. Amoktraining ist Pflicht Verletzte liegen lassen, untereinander kommunizieren, Täter finden und handlungsunfähig machen – das sind die Regeln, wie der Sprecher der Polizei-Fachhochschule SachsenAnhalt, Martin Zimmermann, erklärt. An der Hochschule sind die Ernstfall-Übungen Pflicht. Seit dem Amoklauf am Erfurter GutenbergGymnasium vor 14 Jahren müssen alle Polizeischüler zum Amoktraining.
So handhaben es die meisten Bundesländer. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) will auch nach den jüngsten Ereignissen in Deutschland daran festhalten – die Notwendigkeit eines zusätzlichen Anti-Terror-Trainings sieht er nicht. Seine Kräfte seien dank der bisherigen Trainings gut auf den Ernstfall vorbereitet. Allerdings setzt er auch auf bessere Ausrüstung und die – derzeit kontrovers diskutierte – Unterstützung durch die Bundeswehr. Eine gemeinsame Anti-Terror-Übung von Polizei und Bundeswehr ist geplant und soll Ende August vorbereitet werden.
Unabhängig davon übt die Landespolizei weiter. „Eine Lehre aus dem Fall war, dass die Polizisten, die zuerst am Geschehen ankommen, nicht mehr auf die Spezialisten vom SEK warten können“, sagt FH-Sprecher Zimmermann. Deswegen müssen alle vorbereitet sein. Dabei sei es unerheblich, ob die Attacke nach den ersten Ermittlungen als „Amok“oder als „Terror“eingeordnet werde.
Die 18 Männer und Frauen, die am Montag trainieren, sind kurz vor dem Start in den Berufsalltag. Eine Woche lang üben sie. Nach der Theorie und ersten praktischen Übungen müssen sie in der ihnen bisher unbekannten Schule alles zusammenfügen. Ein erfahrener Ausbilder mimt den Täter, manchmal sind es auch zwei.
Haben die Polizeischüler nach den Anschlägen von München, Würzburg und Ansbach Angst, dass aus der Übung bitterer Ernst werden könnte? „Nein, eher Respekt davor, dass es solche schlimmen Situationen geben kann“, sagte einer. Seine Teamkollegin fügt an: „Man denkt manchmal darüber nach, dass so etwas auch uns passieren kann – aber dafür sind wir Polizisten.“Sie habe nach einem Studium zur Polizei gewechselt und bereue das auch nicht, sagt die 28-Jährige.
Nicht alles klappt im Training. „Welche Taktik hast du denn da gerade angewendet?“, fragt der Ausbilder mit donnernder Stimme. „Das war pures Glück eben, im echten Leben wärt ihr beide tot.“