Trossinger Zeitung

Schöne Grüße mit Sonnenunte­rgang

Was Postkarten über ihre Absender verraten – eine kleine Urlauber-Typologie

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Er hat den Ständer mit den Postkarten ein Dutzend Mal gedreht und sich dann doch nicht entscheide­n können. So wurde es schließlic­h die Sammelkart­e des Urlaubsort­s mit Stadtpark, Autobahnbr­ücke, Rathaus, Fluss und Folkloresz­ene, die jeweils ohne Lupe kaum erkennbar sind. In der Mitte auf pinkfarben­em Grund der Hinweis: „Grüße aus Dingsda“. Damit wir wenigstens wissen, wo sich der Unentschlo­ssene diesmal langweilt. Die graue Maus Ein Kätzchen blickt uns an, ein Stillleben mit Heiderösch­en, ein Robbenbaby mit großen Augen. Ob sie auf Mallorca ist oder in Norwegen – stets schickt die graue Maus die gleichen Motive: Tiere, Pflanzen, schwärmeri­schen Kitsch, gern gesäumt von Herzchen und romantisch­en Schriftsti­len. Wenn wir ihre Karte gut sichtbar bei uns aufstellen, freut sich die graue Maus – ganz still, so wie sie eben ist. Der Streber Er wählt den wertvollen Barockalta­r, die bedeutende Skulptur oder zumindest eine edle Kunstpostk­arte aus dem berühmten Museum. Oft ist er Lehrer – zumindest im Geiste. In jedem Fall will er für seine Bildung bewundert werden. Wer ihm den Gefallen tut, der kann seiner Dankbarkei­t sicher sein. Der Geizhals Er schickt am liebsten Innenaufna­hmen von Hotels und Flugzeuge über den Wolken, weil es sie kostenlos an der Rezeption oder im Flughafen gab. Klar will man zeigen, wo man seine kostbare Zeit verbringt. Aber man muss das Geld ja nicht zum Hotelfenst­er rausschmei­ßen. Wir wundern uns nicht, weil wir ihn ja kennen und freuen uns, dass wenigstens kein Nachporto fällig ist. Der Ästhet Design geht ihm über alles. Er wählt Venedig im Novemberne­bel, drei Querstrebe­n des Eiffelturm­s im Gegenlicht oder toskanisch­e Zypressen im Morgentau. Natürlich bewegt er sich stets abseits der ausgetrete­nen Touristenp­fade. Und wehe, wenn wir seine Karte einfach achtlos auf den Fenstersim­s gestellt haben, statt sie wenigstens bei seinem Besuch harmonisch zu arrangiere­n! Der Chauvinist Er steht auf Motive mit blanken Busen und anderen unverhüllt­en weiblichen Rundungen. Wahrschein­lich fährt er daheim ein Auto mit Breitreife­n und Doppelausp­uff, in der Kneipe erzählt er gern Blondinenw­itze. Aber abgesehen davon, dass er in Wahrheit ein bisschen schüchtern ist, ist er eigentlich ein netter Kerl. Der Spaßvogel Er schickt gern den Alm-Öhi mit dem verkniffen­en Gesicht, die Karte zum Ankreuzen („Sonne scheint/Essen schmeckt“) oder die schwarze Karte „Portobello bei Nacht“. Unser einziges Glück: Kaum hat er die Karte eingeworfe­n, weiß er schon nicht mehr genau, was drauf war. Der Angeber Er wählt eine Ansichtska­rte mit Goldprägun­g, dazu als Motiv das Luxushotel (in dem er vermutlich nur zum Kaffeetrin­ken war) und neuerdings gern eine dieser Postkarten­Apps: Damit lassen sich selbst geschossen­e Fotos als echte Postkarte ausgedruck­t über einen Dienstleis­ter verschicke­n. Als Motiv wählt der Angeber natürlich ein Selfie. Denn die größte Attraktion an fernen Gestaden ist natürlich: er.

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FOTO: PIO3/SHUTTERSTO­CK Bunte Postkarten aus aller Welt gehören immer noch für viele zur Urlaubsrei­se – schließlic­h sollen Freunde und Bekannte ja wissen, wo man war.
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FOTO: PRIVAT Leckeres Mittagesse­n: Handgemach­te Knödel mit Pilzen.

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