Schwäbischer Japaner aus Großbritannien
Der Infiniti Q30 fährt viele Gene der Mercedes A-Klasse spazieren – Besonders das Design des Crossovers überzeugt
s ist erschreckend. Die stichprobenartige Umfrage im Bekanntenkreis während der zweiwöchigen Testphase des Infiniti Q30 fördert Ernüchterndes zutage. Niemand, wirklich niemand, hat diesen Namen bislang gehört oder bringt ihn gar in Verbindung mit einem Automobil. Der mangelnde Bekanntheitsgrad der noblen NissanSchwester zumindest in Deutschland (1357 verkaufte Fahrzeuge von Januar bis Ende Juli 2016) dürfte den japanischen Managern seit dem Markteintritt 2008 arges Kopfzerbrechen bereiten. Der neue Q30 allerdings – ein Crossover, der irgendwo zwischen Premium-Kompaktklasse, Coupé und Beinahe-schonSUV rangiert, so ganz genau weiß man das nicht einmal bei Infiniti – könnte den verzweifelten Griff zu Aspirin und Co. überflüssig machen. Denn das Vehikel, das in enger Kooperation mit Mercedes entwickelt wurde und viele Gene der A-Klasse spazierenfährt, ist gelungen. Abzüge gibt’s allenfalls für ein paar technische Nickligkeiten sowie die miserable Sicht nach hinten.
Doch beginnen wir lieber mit überschwänglichem Lob und zitieren ausnahmsweise Alfonso Albaisa, den bis dato ebenfalls unbekannten Executive Design Director: „Wir möchten, dass unsere Kunden die Blickfang im nüchternen Autoalltag, edle und gut verarbeitete Innenausstattung, komfortable Fahreigenschaften Hand des Designers in der skulpturalen Ästhetik nachempfinden können. Die Gestaltung des Infiniti Q30 zeichnet sich durch stürmische Charakterlinien und bildhauerische Formen aus, die den Eindruck erzeugen, die Karosserie sei über Knochen und Muskeln gespannt.“Was uns der Gute an dieser Stelle etwas umständlich und blumig, aber zu Recht sagen will? Der kompakte Japaner, der in Großbritannien vom Band rollt, ist ein außergewöhnliches, zumindest in unseren Augen todschickes Auto geworden – mit erhöhter Karosserie, rechteckigen Doppelrohr-Auspuffblenden, coupéhafter Silhouette, doppelt gewellter Motorhaube, schwarz lackierten Schwellern unter den Türen, abgedunkelten Fenstern im Fondbereich. Mehr dynamisches, edles Design haben wir selten gesehen in dieser Klasse. Da verstummen sogar die Spötter, die Infiniti vor wenigen Minuten noch für ein japanisches Fischgericht hielten.
Klar, dass da der Innenraum mit seinen asymmetrischen Oberflächen mit gewellter Formgebung – sehr hübsch, sehr originell – nicht zurückstehen mag: Feine Stoffe statt billigem Plastik dominieren. Zwei Beispiele gefällig? Erstens: Die erhöhten Sitze – sehr bequem mit etwas zu wenig Seitenhalt – aus weißem Nappaleder mit roten Ziernähten lassen zwar die zarten Hände der Gemahlin schweißnass werden („Und wer soll das sauber halten?“), erfreuen dafür aber das Auge des nicht putzaffinen Betrachters außerordentlich. Zweitens: Ein Dachhimmel aus einem wildlederähnlichen Material, das italienische Modedesigner etwa für das Innenfutter von Schuhen entwickelt haben, begegnet uns auch nicht alle Tage. Schade eigentlich.
Was sonst noch auffällt am Innenraum, dem es hinten zum Leidwesen der Mitfahrer an Kniefreiheit mangelt? Das übersichtliche, intuitiv zu bedienende und nicht mit Knöpfen und Schaltern überfrachtete Cockpit wird Mercedes-Fahrern überaus vertraut vorkommen. Kein Wunder, ist es doch beinahe ein Klon des Cockpits in der A-Klasse. Einen Schaden bedeutet das gewiss nicht, im Gegenteil. Zwei gewichtige Ausnahmen gibt es jedoch: Den Schalthebel für das vorzügliche Doppelkupplungsgetriebe haben die Japaner kurzerhand vom Lenkrad geschraubt und in die Mittelkonsole verpflanzt. Das verschmerzen wir ebenso problemlos wie den kunstvoll ins Armaturenbrett eingebauten, sieben Zoll großen Farbtouchscreen fürs Infotainmentsystem. Diese Lösung – nicht böse sein, werte Mercedes-Designer! – erscheint uns stimmiger als ein Bildschirm auf dem Armaturenbrett.
Ein wenig rumgeschraubt haben die Infiniti-Techniker auch an der Plattform, die sich der Q30 mit der AKlasse teilt. Noch komfortorientierter soll die Karosse aus dem Fernen Osten über die europäischen Straßen rollen. Ein Vorhaben, das formidabel geglückt ist: Bodenwellen und Schlaglöcher bügelt der Q30 jedenfalls anstandslos weg. Nur fürs sportlichere Kurvenfahren ist er nicht ausdrücklich gebaut. Muss er natürlich auch nicht sein angesichts des getesteten, 170 PS starken, eher gemütlichen (Mercedes-)Dieselaggregats, das stets etwas brummig startet, nach einigen Minuten jedoch die ersehnte Ruhe gibt. Ein alles in allem durchaus zufriedenstellender Motor, der zwar nicht in olympischen Sprintwettbewerben antreten mag, dafür aber mit gemäßigten Trinksitten zu überzeugen weiß: 5,6 Liter (6,6 Liter im Sportmodus bei sehr zügiger Assistenzsysteme mit Mängeln, Kniefreiheit im Fond lässt zu wünschen übrig Fahrweise) sind ein akzeptabler Wert bei 170 Pferdchen und fast 1,6 Tonnen Leergewicht.
Wir vergaßen zu meckern? Schon gut. Einige Assistenzsysteme stiften – gelinde ausgedrückt – leichte Verwirrung. Der Totwinkel-Assistent beispielsweise warnt bei der Auffahrt auf die Autobahn vor Vehikeln, die sich dankenswerterweise auf der ganz linken Spur befinden. Der Verkehrszeichen-Assistent gibt sich dafür hin und wieder kreativ und erfindet Tempolimits. Andererseits drückt er gern auch mal ein Auge zu. Und die Sprachsteuerung des Navigationssystems mag manchen Straßennamen gar nicht hören und bestraft uns dann regelmäßig mit einem Neustart. Vielen Dank auch!
Ein triftiger Grund, den Q30 nicht zu kaufen, ist das selbstverständlich keineswegs. Aber: Die unter anderem in den USA und China erfolgsverwöhnten Japaner müssten das Geschäft hierzulande wesentlich einfacher gestalten, wenn der Q30, wie erhofft, zum Renner werden soll. Zehn Infiniti-Center sowie bis zum Jahresende 21 Infiniti-Servicepartner in ganz Deutschland bilden nicht das Vertriebsnetz, das Konkurrenten wie Mercedes, Audi oder BMW erzittern lässt. Und die Bekanntheit steigert es auch nicht gerade.