Märchenkönigs Niedergang
Beim Füssener Festspielhaus ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Insolvenzverschleppung – Ergänzung durch Outlet-Center angedacht
FÜSSEN - Ein klarer Tag. Vom Füssener Festspielhaus aus schweift der Blick über den Forggensee hinweg bis zu den hellen Schlossmauern von Neuschwanstein. Die verspielten Türme stehen deutlich sichtbar vor dem dunklen Hintergrund des Ammergebirges. Vier Kilometer Distanz sind es. Der freie Blick ist kein Zufall, sondern eine absichtlich konstruierte Sichtachse. Das im Jahr 2000 für rund 37 Millionen Euro fertiggestellte Festspielhaus sollte visuell mit dem historischen Bauherrn des Traumschlosses verknüpft werden – also mit Märchenkönig Ludwig II. Immerhin war die Bühne als zentraler Spielort für ein Musical über den 1886 entmündigten und kurz darauf unter ungeklärten Umständen ertrunkenen bayerischen Monarchen gedacht. Aber so wie Ludwig letztlich zur tragischen Gestalt wurde, entwickelte sich auch die Geschichte des architektonisch durchaus gelungenen Festspielhauses zu einer Aneinanderreihung von Unglücksakten. Gegenwärtig kreist mal wieder der Pleitegeier – bereits zum dritten Mal. Unklare Entwicklung „Klar kennt man die Verwerfungen, wenn man am Festspielhaus arbeitet. Aber die jetzige Insolvenz ist schon überraschend gekommen“, berichtet eine Mitarbeiterin, die wegen der gegenwärtigen unklaren Entwicklung jedoch ihren Namen nicht in der Zeitung sehen möchte. Inzwischen ermittelt die Augsburger Staatsanwaltschaft gegen die Betreibergesellschaft des Festspielhauses sogar wegen des Verdachts auf Insolvenzverschleppung. Dabei hatte die Lage nach außen hin im Sommer eigentlich gut ausgesehen. Der jüngste Versuch, mit einem KönigLudwig-Musical Geld zu verdienen, war gut angelaufen. Initiiert hatte dies der Stuttgarter Regisseur Benjamin Sahler. Noch im Winter feierte er das für 1400 Besucher ausgelegte Festspielhaus „als einen der schönsten Orte für Muscial-Aufführungen in Deutschland“. Erfolg mit Ludwig-II.-Musical Sahler wollte mit seiner Neufassung des Ludwig-Stoffes aber nicht blindlings ins kalte Forggensee-Wasser springen. Er warb seinerzeit um eine Art Vorkarten-Verkauf. Die Idee dabei: Sollte es genug Interessenten geben, wird das Musical aufgeführt. Ansonsten würden die bisherigen Zahler ihr Geld zurückerhalten. Zudem wurde ausgemacht, dass Sahlers Aufführungen finanziell nicht mit der Betreibergesellschaft der Musicalbühne in einen Topf kommen. Dies führte im Sommer zu skurrilen Verhältnissen: Während dem Festspielhaus das Geld ausging, hatten die Musical-Veranstalter für die 29 vorgesehenen Aufführungen keine finanziellen Sorgen. Mehr als 30 000 Besucher kamen.
Vom Prinzip her zog der LudwigII.-Stoff auch in früheren Jahren. Nach der Eröffnung des Festspielhauses vor 16 Jahren stieß eine erste Fassung des königlichen Musicals anfangs auf großes Interesse. Die Ränge waren im Schnitt zu 75 Prozent ausgelastet. Dies gilt in der Musical-Szene als guter Wert. Der Erfolg war aber nicht nachhaltig. Betriebskosten und Bauschulden drückten die Betreibergesellschaft. Ende 2003 waren die Kassen das erste Mal leer gewesen. Der nächste Versuch, König Ludwig als Musical zu vermarkten, startete zwei Jahre später. Das Glück dauerte dieses Mal bis zum Frühjahr 2007. Die Auslastung war aber nach ersten Erfolgen zu gering geworden.
Der bisher letzte Versuch startete gleich anschließend. Dieses Mal war die Idee, das Haus als Bespieltheater an kommerzielle Veranstalter zu vermieten. Selbst eine Inszenierung von Richard Wagners „Ring der Nibelungen“kam so zur Aufführung. Bemerkenswerterweise passt dies wiederum zu Ludwig II., war dieser doch ein großer Wagner-Verehrer gewesen. Aber dies sei nur nebenbei erwähnt. Immerhin konnte sich das Festspielhaus nun neun Jahre über Wasser halten. Gegenwärtig werden jedoch vermehrt Stimmen laut, die das ganze Festspielprojekt „als grandiose Fehlentscheidung“bezeichnen. Füssen und sein eher dünn besiedeltes ländliches Umfeld verfüge doch gar nicht über genug potenzielle Kundschaft, heißt es.
Selbst die Vorstellung, dass Urlauber die Plätze füllen könnten, wird inzwischen von manchem belächelt. „Feriengäste besuchen schnell in Bussen Schloss Neuschwanstein. Danach sind sie wieder weg. Dies sind doch vor allem internationale Touristen mit wenig Zeit auf Europatour“, lästert ein regionaler Immobilen-Unternehmer. So richtig an die Öffentlichkeit will mit solchen abwertenden Aussagen aber niemand. Dies hängt womöglich immer noch mit der anfänglichen Projekt-Euphorie zusammen. In den 1990er-Jahren war der ostbayerische Musicalautor und Regisseur Stephan Barbarino mit der Idee hausieren gegangen, ein Stück über Ludwig II. an Originalschauplätzen auf die Bühne zu bringen. Dass dies im Umfeld des berühmtesten Königsschlosses sein sollte, lag nahe.
In der Füssener Gegend fand man seinerzeit zunehmend Gefallen an der Vorstellung. Wirtschaftlich gesehen gilt die Region eher als strukturschwach. Geld bringt in erster Linie der Tourismus. Zentral dabei ist wiederum Schloss Neuschwanstein, das am häufigsten besuchte Einzelziel Deutschlands. Durch eine weitere Vermarktung des König-LudwigMythos könnten womöglich zusätzliche Geldquellen erschlossen werden, war der Grundgedanke. Nicht umsonst wurde dann auch beim Bau der Kulturstätte geklotzt. Von der Gestaltung her nahm sich die mit dem Musical-Autor Barbarino verheiratete Architektin Josephine Barbarino das berühmte Bayreuther Festspielhaus zum Vorbild. Entgegen aller Öko-Einwände war es sogar möglich, ein Stück Forggensee aufzuschütten, um die Lage des Gebäudes attraktiver zu machen. Verklungene Lobgesänge Zur Eröffnung im Jahr 2000 kamen dann viele, die zu den oberen Zehntausend zwischen München und Alpen gehören. Ludwig II. zieht als bayerische Ikone. Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber pries das Festspielhaus als Chance für das Ostallgäu. Der damalige Füssener Oberbürgermeister Paul Wengert jubelte: „Mit dem Musical beginnt für uns eine neue Epoche.“Vorbei. Die Lobgesänge sind verklungen. Jetzt droht es zur Altlast zu werden. Der Münchner Fachanwalt Marco Liebler wickelt die Insolvenz ab und sucht seit Sommer angestrengt nach einem Investor. Welche Summen dieser für Festspielhaus sowie Gelände aufbringen müsste, ist unklar. Unter der Hand wird von zwölf bis 18 Millionen Euro geredet. Interessenten gibt es. Einer davon ist der Konstanzer Geschäftsmann Jan D. Leuze. Seine Vorstellung: das Festspielhaus durch ein Outlet-Shopping-Center ergänzen. Beifall erhielt er mit diesem Vorstoß in der Region nicht. Kürzlich meinte die Ostallgäuer Landrätin Maria Rita Zinnecker am Rande einer Abendveranstaltung: „Das würde diese tolle Gegend am Forggensee herunterziehen.“Füssens gegenwärtiger Oberbürgermeister Paul Iacob sagte der „Allgäuer Zeitung“, ein Kaufhaus passe eigentlich nicht an diese Stelle.
Aufgeschlossener werden die Pläne eines aus der Ecke von Aachen stammenden Projektentwicklers betrachtet. Nach dessen Vorstellungen soll das Festspielhaus durch einen Hotelkomplex ergänzt werden. Internationale Investoren seien bereit, bis zu 60 Millionen Euro zu investieren. Auch von anderer Seite wurden solche Pläne vorgestellt. Demnach könne man Festspielhaus und Hotel noch durch eine Erlebnisgastronomie ergänzen. Solche Gedanken waren im Ostallgäu bereits vor einigen Jahren gewälzt worden. Anfang Oktober ging Insolvenzverwalter Liebler jedoch an die Öffentlichkeit. Er klagte über bescheidene Kaufangebote. Teilweise sei auch die Finanzierung der gebotenen Summen ungesichert. Gegenüber örtlichen Journalisten mutmaßte Liebler, dass einige Interessenten wohl nur auf eine Zwangsversteigerung lauern würden. Dies wäre dann eine Art Schnäppchenjagd am Forggensee.