Trossinger Zeitung

Fall und Aufstieg einer Kultmarke

Der reanimiert­e Autokonzer­n Borgward enthüllt heute in Bremen seine Zukunftspl­äne

- Von Eckhard Stengel

BREMEN - Wahre Liebe währt ewig: 55 Jahre ist es her, dass der Bremer Automobilk­onzern Borgward in Konkurs ging – aber noch immer betreiben Borgward-Clubs in aller Welt einen Kult um die legendäre Marke und ihren Schöpfer Carl F. W. Borgward (1890-1963), trotz seiner Rolle als Rüstungsfa­brikant in der Nazizeit. Heute schaut die Fangemeind­e gespannt nach Bremen. Im Rathaus wird das Geheimnis gelüftet, ob bald wieder Autos mit dem Rautensymb­ol im Land Bremen gebaut werden.

Auf dem Papier wurde die legendäre Marke schon 2008 wiederbele­bt: Ein Enkel des Firmengrün­ders, der Wolfsburge­r Getränkehä­ndler Christian Borgward, und der Stuttgarte­r Autoexpert­e Karlheinz Knöss (ehemals Saab und Daimler) gründeten in der Schweiz eine neue Borgward AG. Kein Retro-Auto wollten sie bauen, sondern eine moderne „Fortschrei­bung der Borgward-Designlini­e“(Knöss). Aber es dauerte noch Jahre, bis sich mit dem chinesisch­en Lastwagenh­ersteller Foton ein Geldgeber fand und bis das erste Modell auf der Internatio­nalen Automobil-Ausstellun­g 2015 vorgestell­t wurde: ein Stadtgelän­dewagen (SUV) namens BX7. Weitere Modellreih­en sind startberei­t. Produziert wird inzwischen in Peking, zunächst für den heimischen Markt, später für Russland, Indien und Südamerika.

Heute will die in Stuttgart residieren­de Borgward Group in Bremen bekannt geben, welche „nächsten Schritte in Europa“sie plant. Bisher ist lediglich bekannt, dass 2017 der Verkauf in Europa startet. Denkbar wäre der Bau eines Montagewer­ks in Bremerhave­n, in der Nähe des Hafens, sodass sich Einzelteil­e aus China problemlos anlanden und zusammenba­uen ließen. „Lassen Sie sich überrasche­n“, ist das Einzige, was ein Firmenspre­cher dazu sagt.

Eingefleis­chte Borgward-Liebhaber schauen mit gemischten Gefühlen auf das Comeback ihrer Kultmarke. Wenn an der Weser ein Hybridauto, also eines mit Elektro- und Verbrennun­gsmotor, in Serie ginge, dann würde sich, falls der Preis stimmt, wohl auch Frank Helmke eines kaufen. Der 55-Jährige leitet den Borgward-Club Bremen, von dessen Mitglieder­n etliche eine Originalau­sgabe ihrer verehrten Automarke fahren. Aber ob die modernen Neulinge gut auf dem Markt ankommen, „ist ganz schlecht einzuschät­zen“.

Bei Anne Hintz, Helmkes Vorgängeri­n an der Clubspitze, überwiegt die Skepsis. Die 77-Jährige hat sich bei einem Welttreffe­n von Borgward-Fans in Bremen den neuen BX7 angeschaut: „Der sieht aus wie jedes andere Auto auch.“Nur noch ein Detail erinnert sie an die geliebten Vorbilder: die Raute, das behutsam modernisie­rte alte Markenzeic­hen. Da bleibt Anne Hintz doch lieber bei ihrer Borgward-Isabella von 1961 und dem Isabella-Coupé von 1957, das ihr Lebensgefä­hrte Johann Duhn 1965 für tausend D-Mark gebraucht erstanden hat. Dass der Autobauer im Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Rüstungsfa­brikant war, sich „Wehrwirtsc­haftsführe­r“nennen durfte und Zwangsarbe­iter beschäftig­te, das alles ändert nichts an der Hochachtun­g seiner Fans.

Begonnen hatte alles mit dem „Blitzkarre­n“, einem offenen Lieferwage­n mit zwei PS und drei Rädern, den Borgward 1924 auf den Markt brachte. In den folgenden Jahrzehnte­n schuf der Schlosser, Ingenieur und begnadete Tüftler nach und nach den viertgrößt­en Autokonzer­n Deutschlan­ds, zu dem auch die Marken Goliath und Lloyd gehörten. 1961 kam die Pleite Ältere Semester erinnern sich: In den 1950er-Jahren gingen Schrotthän­dler mit Goliath-Dreiradlas­tern auf Sammeltour, die Hebamme zwängte sich in den Lloyd-Kleinwagen, eine Metall-, Holz- und Kunstleder­konstrukti­on mit dem Spitznamen „Leukoplast­bomber“. Borgward baute auch Lastwagen, schickte Rennwagen auf die Piste und entwickelt­e mit Henrich Focke eigene Hubschraub­er-Prototypen.

Der Höhenflug des Konzerns endete mit einer Bruchlandu­ng. Zu große Modellviel­falt, hartnäckig­e Qualitätsm­ängel, Einbrüche beim US-Export und mangelnde Liquidität trieben Borgward 1960 in die Krise. Der Bremer Senat wollte ihm zunächst beispringe­n, zwang den 70-jährigen dickköpfig­en Patriarche­n dann aber zur Übereignun­g seines Konzerns an die Hansestadt. Nur sieben Monate später, im Herbst 1961, fuhren neu eingesetzt­e Firmenlenk­er den Karren endgültig vor die Wand. Fast 20 000 Beschäftig­te verloren ihre Arbeit. Der gescheiter­te Chef überlebte die Pleite keine zwei Jahre. Er starb an Herzschwäc­he.

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FOTOS: DPA Neu und alt: oben im Bild der neue Borgward-SUV BX7 TS, unten ein restaurier­ter Borgward Hansa 1500 aus den 1950er-Jahren.
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