Das Londoner Trio The xx zieht den Rollladen hoch
Doch die Kraft der neuen Songs liegt auch auf „I See You” weiterhin in ihrer Stille
BERLIN - Zunächst einmal möchte Oliver Sim (27, Gesang und Bass) beim Gespräch im Berliner Privatclub „Soho House“mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufräumen. So schüchtern, wie alle immer schreiben würden, seien sie nämlich gar nicht, weder er, noch Sängerin/ Gitarristin Romy Madley Croft (27), noch Keyboarder/ Produzent Jamie Smith (28) alias Jamie xx –na gut, der vielleicht schon. „Wir sind von Anfang an als extrem scheue Menschen porträtiert worden, aber das sind wir nur im Vergleich zu manchen sehr offensiven, draufgängerischen Popstars. Alles in allem sind wir recht normale Menschen“, sagt Sim.
Er und Romy kennen sich seit Ewigkeiten, sie gingen zusammen in London zur Schule, Jamie stieß etwas später hinzu. Ein Paar waren Croft und Sim trotz des ewigen emotional-amourösen Tauziehens in ihren Texten nie, beide sind homosexuell. „Wir schrieben unsere ersten Songs als Teenager, und gleich hieß es, da sei so viel Sex, so viel Erotik in unserer Musik. Das war uns damals mordsmäßig unangenehm und peinlich. Jeder andere Mensch, der so schnell wie wir im öffentlichen Interesse gelandet wäre, hätte wohl ähnlich zurückhaltend reagiert.“Auch vor Auftritten habe das Trio bis heute ordentlich Bammel.
Für eine derart introvertierte Band hat es das stets ganz in schwarz gekleidete Freundestrio verdammt weit gebracht. Direkt das erste Album „The xx“war 2009 ein Erfolg bei Publikum und Kritikern, es gewann unter anderem den renommierten „Mercury Prize“. Das zweite Album „Coexist“untermauerte den Erfolg und erreichte auch in Deutschland die Top Drei der Charts. Auf beiden Alben spielt The xx einen reduzierten, minimalistischen Mix aus IndiePop und R&B, aus klassischen Instrumenten und Beats, aus Schönheit und Melancholie. „Wir können auch wunderbar miteinander schweigen“, sagt Oliver Sim, und wenn man hört, wie sie bisweilen in ihren Stücken eine gefühlte Ewigkeit überhaupt nicht singen und trotzdem in der Stille harmonieren, glaubt man ihm aufs Wort.
Probleme mit der Kommunikation Doch die große Stärke war zeitweise zum Problem geworden für das Trio, auch deshalb dauerte es fünf Jahre, bis nun endlich das dritte Album erscheint. „Es haperte an der Kommunikation“, gibt Sim zu. „Plötzlich wurde unser Schweigen zu einem ‚Haben wir uns überhaupt noch etwas zu sagen?‘ Aber wir haben an unseren Schwachpunkten gearbeitet, sind offener und verletzlicher geworden.“Auch deshalb habe man das Album „I See You“genannt. „Wir haben uns alle drei noch einmal neu kennengelernt, sehen die anderen – aber auch uns selbst – mit frischen Augen. Die Zeit zwischen Anfang und Ende 20 ist diesbezüglich ja ein riesiger Sprung. Immer besser verstehen wir, wer und was wir sind und sein wollen.“
Um zu reifen, gingen Romy, Oliver und Jamie zeitweise eigene Wege. Jamie xx nahm 2015 das feine Soloalbum „In Colour“auf und produzierte etwa für Drake und Rihanna. Oliver Sim verdingte sich als Model für „Dior Homme“(„sehr schmeichelhafte Erfahrung, aber eine zweite Karriere soll das nicht werden“), und Romy Madley Croft lebte eine Weile in Los Angeles, wo sie an „Songwriting Camps“teilnahm und etwa gemeinsam mit Ryan Tedder an neuen Hits für Beyoncé tüftelte. „Wir hatten uns voneinander entfernt, doch als wir schließlich wieder zusammenkamen, war uns sofort klar, dass unsere Freundschaft wie auch die kreative Verbundenheit noch völlig intakt waren.“
Tapetenwechsel für neue Ideen The xx haben auf „I See You“sprichwörtlich die Sonne hereingelassen, die neuen Songs sind bunter und mehrdimensionaler als die alten, für ihre Verhältnisse passiert auf dieser Platte unheimlich viel. „Der Sound ist nicht mehr so nackt. Wir sind lockerer geworden, haben mehr gewagt.“Auch das Umfeld trug zum helleren Gesamtklang bei. Sie arbeiteten an den neuen Songs erstmals nicht in den heimischen Londoner Schlafzimmern, sondern in Los Angeles, Marfa/Texas und Reykjavik, wo sie mit „On Hold“den womöglich poppigsten Song ihrer Karriere komponierten. „Dangerous“wiederum geht fast schon als „uptempo“durch, auch Bläser sind neu. „Wir haben sehr viel Soft Rock gehört“, so Sim, „Fleetwood Mac, The Beach Boys, die amerikanische Westküste hat uns insgesamt stark inspiriert. Für mich ist ,I See You’ ein Album, das am Tag spielt, während die ersten beiden reine Nachtalben waren.“
Aber alles bleibt relativ. Wundervoll tieftraurige und intime Lieder wie „Performance“oder „Brave for You“haben mit dem üblichen Chartpop aber auch rein gar nichts gemein. „Wir sind forscher, abenteuerlustiger und mutiger geworden“, fasst Oliver Sim zusammen, „aber wir sind immer noch The xx.“
Live: 24.2. München, Zenith.