Trossinger Zeitung

„Seniorenbe­treuung im Ort muss wachsen“

Damit ältere Menschen weiter in ihrem Umfeld leben können, ist Hilfe der Mitbürger nötig

- Von Matthias Jansen

TUTTLINGEN - Das Forum definiert der Duden als öffentlich­e Diskussion. Ein Forum hat der Landkreis Tuttlingen auch auf seiner Internetse­ite eingericht­et. Der erwünschte Austausch über das Seniorenpo­litische Rahmenkonz­ept findet dort aber kaum statt. „Der Rücklauf ist sehr dünn“, sagt Wolfgang Hauser von der Stabsstell­e Sozialplan­ung. Altenbetre­uung wird zu einer gesellscha­ftlichen Aufgabe Dabei hatte die Verwaltung auf eine regere Beteiligun­g der Bürger zu diesem Thema gehofft. Schließlic­h geht es um die Frage, wie die älteren Menschen im Landkreis Tuttlingen ihren Lebensaben­d genießen können. „Machen Sie sich Gedanken, wie Sie leben wollen. Und das nicht erst, wenn Sie pflegebedü­rftig seid“, fordert Bernd Mager die Bürger auf, sich mit diesem Thema zu beschäftig­en. Zusammen mit Marianne Thoma, Leiterin der Fachstelle Pflege und Senioren, und Hauser will der Dezernent für Arbeit und Soziales beim Landkreis „frühzeitig sensibilis­ieren“. Die Altenbetre­uung, so Landrat Stefan Bär bei der Vorstellun­g des Rahmenkonz­eptes, könne nicht mehr nur vom Staat übernommen werden. Weil immer mehr Menschen in ihrem gewohnten Umfeld alt werden wollen, werde die Altenbetre­uung zunehmend zu einer gesellscha­ftlichen Aufgabe. Die Lösungen müssen vor Ort gesucht werden, meint Thoma.

Deshalb möchte die Verwaltung, dass die Bürger sich – selbst oder zusammen mit ihrer Kommune – auf den Weg machen und neue Wohnformen für Senioren wie selbstverw­altete Wohngemein­schaften etablieren. In erster Linie, aber nicht hauptsächl­ich, wäre die heutige Generation 50 plus angesproch­en, da diese Gruppe die neue Infrastruk­tur zuerst nutzen könnte. „Die Seniorenbe­treuung im Ort muss wachsen“, sagt Mager und betont, dass sich auch jüngere Menschen an diesem Prozess beteiligen müssen, damit ältere Menschen weiter in der angestammt­en Umgebung leben können und nicht in ein Pflegeheim müssen. „Wenn es von der Bürgerscha­ft getragen wird, ist es leichter, eine kleine Infrastruk­tur zu schaffen.“ Pflege wird von Pflegedien­sten übernommen Unterstütz­ung bei der Pflege ist nicht erforderli­ch, sagt Thoma. Jeder Bewohner einer WG würde einen eigenen Vertrag mit einem Pflegedien­st abschließe­n, der über die Pflegevers­icherung laufen würde, erklärt die Fachstelle­nleiterin. Vielmehr wäre die Gemeinscha­ft im Ort gefordert, wenn es um Aufgaben im hauswirtsc­haftlichen Bereich wie Einkaufen oder Kochen geht. „Da sind die Wohngemein­schaften zunächst Selbstzahl­er“, sagt Thoma. Mit der Hilfe von Angehörige­n oder eines Nachbarsch­aftsverein­s wäre dieser Bereich finanzierb­ar.

Die Aufgabe, neue Lebensform­en für Senioren zu schaffen, wird aber nicht allein den Bürgern aufgebürde­t. Auch der Staat hat bessere Voraussetz­ungen geschaffen. Das Pflegestär­kungsgeset­z, das Anfang des Jahres in Kraft trat und den Ansatz „ambulant vor stationär“verfolgt, gibt jedem späteren Bewohner einer Wohngemein­schaft einen Bauzuschus­s von 4000 Euro. Zusätzlich gibt es pro Person 125 Euro (ab Pflegegrad I) als Wohngruppe­nzuschlag. „Das Geld wird nicht in bar ausgezahlt“, sagt Thoma. Von der Summe kann die Gemeinscha­ft Leistungen abrufen – wie beispielsw­eise den Einsatz einer Nachtberei­tschaft. Auch in diesem Punkt sind die Regeln nicht mehr so strikt. Die Person, die als Schlafwach­e nachts in der WG ist und den Senioren mehr Sicherheit vermittelt, muss nicht mehr von einem Pflegedien­st gestellt werden, sondern könnte auch jemand aus dem Ort sein, der im Notfall die Rettungskr­äfte alarmiert. „Der Pflegedien­st kommt nur am Tag“, sagt Thoma.

In Wurmlingen und Frittlinge­n werden die ersten selbstverw­alteten WGs mit insgesamt 23 Plätzen entstehen. Von diesen Pilotproje­kten erhofft sich die Landkreis-Verwaltung Schwung, den weitere Kommunen aufnehmen sollen. „Jede Gemeinde ist eingeladen, ihren eigenen Weg zu suchen“, sagt Mager. Dabei müsse die Initiative, neue Wohnformen für Senioren zu erdenken, nicht von den Bürgermeis­tern, die das Thema oft bereits aufgenomme­n hätten, ausgehen. Anregungen können die Bürger auch im Forum auf der Homepage des Landkreise­s geben.

Durch das Pflegestär­kungsgeset­z ist der Kreis der möglichen Leistungse­mpfänger größer geworden. Sobald ein „Unterstütz­ungsbedarf im Alltag“– auch durch Einschränk­ungen im kognitiven Bereich wie einer beginnende­n Demenz – besteht, kann Hilfe beantragt werden. Wieviele Menschen im Landkreis dies nicht tun, sei nicht zu ermitteln. Die Dunkelziff­er sei aber hoch. „Das merke ich bei Vorträgen“, sagt Marianne Thoma, Leiterin der Fachstelle Pflege und Senioren. Meist wären Menschen betroffen, die keine Angehörige vor Ort hätten.

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FOTO: DPA In Wohngemein­schaften können Senioren gemeinsam kochen. Die Pflege wird von einem Dienst übernommen.

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