Zwischen Maschinen und Maßanfertigung
Von der Arbeit in einem Kleinstbetrieb und einer Großwerkstatt
TUTTLINGEN - Um sechs Uhr morgens geht der Tag für Jürgen Benk los. Am Stadtrand von Tuttlingen liegt seine Werkstatt, gleich gegenüber seines Wohnhauses. Morgens geht er über den Innenhof hinüber, um Büroarbeiten zu erledigen. Auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht. Ein Kunde möchte wissen, wann er sein Regal abholen kann, ein anderer fragt per E-Mail, wann Benk Zeit hat, ein individuell gestaltetes Holzschild zu bearbeiten. Rasch versucht der Schreiner einen Überblick über die Aufgaben des Tages zu gewinnen, ruft die Kunden zurück, organisiert wann er auf welche Baustelle geht: mal zu einem Privatkunden, mal zu einem Auftrag des Landkreises. Von der Büroarbeit bis zum Einbau eines Möbelstücks liegt alles in seiner Hand. Denn Benk gehört eine Zwei-Mann-Schreinerei.
Jahrelang hat der Handwerker alle Aufträge alleine abgearbeitet, seit Oktober vergangenen Jahres arbeitet ein Geselle für ihn. „Jetzt ist es doch eine Erleichterung. Zum Beispiel beim Einbau einer Haustür. Alleine ging schon auch, ich musste mir eben immer kreativ etwas ausdenken und Hilfsmittel benutzen“, sagt Benk. Den Vorteil in einem ganz kleinen Betrieb sieht der Schreiner in der Flexibilität, seinen Alltag selbst zu gestalten und darin, sein eigener Chef zu sein. „Das Unternehmen ist ganz individuell von mir geformt worden.“Natürlich würde seine Arbeit aber auch durch die Aufträge das der Kunden und zeitliche Beschränkungen gestaltet werden. Wenn er zum Beispiel in einer Schule etwas reparieren soll, geht das nur in den Ferien. Urlaub macht er dann später oder gar nicht: „Wer selbstständig ist, muss dazu bereit sein 14 bis 16 Stunden am Tag zu arbeiten.“ Soloselbstständige im Handwerk Doch Jürgen Benk ist ein sehr untypischer Soloselbstständiger im Handwerk. Denn als Schreiner hat er einen Meisterbrief. Viele seiner Kollegen in anderen Gewerken sind dagegen nach der Handwerksreform im Jahr 2004 in die Selbstständigkeit eingestiegen. Damals wurde die Meisterpflicht für viele Berufe aufgehoben. Das Ziel sei gewesen, mehr Betriebsgründungen und damit mehr Arbeitsplätze zu schaffen, erklärt Georg Hiltner, Geschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz: „Letztlich hat sich herausgestellt, dass es in vielen zulassungsfreien Gewerken zwar viele Neugründungen gab, etwa im Fliesenlegerhandwerk, dass diese Betriebe aber nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen haben.“Ein Fliesenleger ohne Meisterbrief zum Beispiel dürfe keine Lehrlinge ausbilden. Dadurch sei der Nachwuchs zurückgegangen.
Der Fliesenleger sei ein typisches Beispiel für einen Solohandwerker, sagt auch Tobias Mehlich, Geschäftsführer der Handwerkskammer Ulm. Wer als Fliesenleger arbeiten möchte, kann direkt ohne Meisterausbildung Handwerksarbeiten anbieten. „Der Konkurrenzdruck zwischen Solohandwerkern und größeren Betrieben ist besonders im Bereich der Privataufträge sehr groß. Ein alleinarbeitender Fliesenleger kann eine Arbeitsstunde für 15 Euro anbieten, da kann ein größeres Unternehmen mit Meister und Gesellen nicht mithalten“, erklärt Mehlich. Trotzdem habe die Handwerkskammer eine negative Entwicklung beobachtet: „Viele Solobetriebe können sich nur sechs bis zwölf Monate am Markt halten.“Gerade die soziale Absicherung sei in größeren Unternehmen leichter zu machen als in einem Solobetrieb. Dass von 15 Euro Lohn pro Stunde nach allen Abzügen nur sechs Euro zum Leben übrig blieben, sei manchen zuerst nicht klar.
Nun beobachtet Mehlich einen weiteren Trend: Der Nachwuchs in Gewerken wie Fliesenlegen fehlt, das Angebot auf dem Markt schrumpft und somit steigt der Preis. Kunden, die nun mehr für Fliesenlegerarbeiten zahlen müssen, setzten vor allem auf Qualität. „Wir haben jetzt wieder eine hohe Nachfrage nach Fliesenlegerkursen bei der Handwerkskammer. Selbstständige, die eigentlich keinen Meister bräuchten, fragen nach Ausbildungsmöglichkeiten.“
Einen Vorteil der Solo-Handwerker sieht Georg Hiltner: „Soloselbständige können schnell reagieren, auch wenn es um kleinere Aufträge geht. Egal ob groß oder klein, das Gesamtkonzept und die Qualität der Ausführung müssen stimmen.“Dem Konkurrenzdruck zwischen kleinen Betrieben, mit wenig Zeitkapazität und wenig Maschinen und größeren Firmen mit mehr Kapazität für Großaufträge, müsse ein Soloselbstständiger mit Kreativität begegnen.
Unser Handwerk
Klein und Groß Kreativität voll ausleben Gerade diese Kreativität schätzt Solohandwerker Jürgen Benk. In seinem Lager hat er zum Beispiel Platten aus Altholz, die er zu einer speziellen Wandvertäfelung für ein Restaurant verarbeiten will. So ein Auftrag kann auch schon mal zwei Wochen in Anspruch nehmen. „Das Spektrum meiner Arbeit ist sehr groß, weil es in meiner Werkstatt keine Arbeitsteilung gibt“, erklärt der Schreiner. Spaß mache ihm vor allem das Entwerfen von Möbeln. Dann bestellt er das Material, schneidet das Holz zu und baut das Werkstück schließlich ein. So habe er Tag für Tag Abwechslung bei seiner Arbeit.
Als abwechslungsreich beschreibt auch Dario Emminger seine Arbeit. Der Schreiner arbeitet seit rund zwei Jahren in der Werkstatt des Einrichtungshauses Strohm in Tuttlingen. Etwa 30 Kollegen hat der junge Schreiner in der Werkstatt. Fünf bis sechs Projekte bearbeiten die Schreiner parallel. „Man muss bei allen Aufträgen mitdenken und Bescheid wissen, wer gerade welche Schritte macht. Jeder kann alles“, erklärt Emminger. Gerade fräst er mit einer CNC-Maschine Löcher in eine Spanplatte. Bestimmt ist dieses Holzstück für einen Großauftrag einer Straßburger Klinik. Dort werden Rückwände verkleidet. Er begleitet diesen Auftrag von Anfang bis Ende. Aufgeteilte Arbeitsschritte Trotzdem gibt es in der Werkstatt eine klare Aufgabenteilung. In zwei Büros bereiten Schreinermeister und Techniker Zeichnungen von Möbeln vor, die zu bearbeiten sind und schicken diese zusammen mit einer Materialliste in die Werkstatt. Gezeichnet und aufgelistet wird mit einer speziellen Computersoftware. In der Werkstatt unterstützen vollautomatische Sägen, Fräsmaschinen und Furnierpressen die Handwerker dann bei ihrer Arbeit. Etwa ab einer Betriebsgröße von 15 Schreinern kämen vollautomatische Maschinen zum Einsatz, erklärt Dario Emminger, der in einem kleineren mittelständischen Betrieb gelernt hat. Lehrlinge dürfen im ersten Jahr nur unter Aufsicht an die Hightech-Maschinen.
Die Kundenanfragen reichen von Saunabau über Rückwände für Operationssäle bis hin zum Kleiderschrank für einen Privatkunden, erklärt Produktionsleiter Andreas Hahn. Rund 60 Stunden Arbeit stecken beispielsweise in einem maßgefertigten Schrank, von der Arbeitsvorbereitung im Büro, bis zur abschließenden Lackschicht. „Private Aufträge machen 30 bis 40 Prozent unserer Arbeit aus, der Rest kommt aus der Industrie. Diese Mischung ist für die Mitarbeiter abwechslungsreich.“Gerade kommen die Zeichnungen für den individuellen Schrank aus dem Büro in der Werkstatt an. Wie viel Holz die Schreiner zuschneiden müssen, wo gefräst werden muss: alles ist aufgelistet.
Auch Jürgen Benk hat in seiner Werkstatt gerade fertige Rückwände lackiert. Der Alltag zwischen Maßanfertigungen und Maschinenbetrieb in den beiden Schreinereien unterscheidet sich, eines aber vereint die beiden Betriebe: Aus dem Material Holz erfüllen die Schreiner mit Kreativität und handwerklichem Können individuelle Kundenwünsche. Im Süden gehören Handwerker zu den tragenden Säulen der Wirtschaft. Doch nicht nur die Digitalisierung stellt viele Handwerker vor große Herausforderungen. Wie sie mit den Umbrüchen umgehen, zeigt die Serie „Unser Handwerk“. Am Mittwoch lesen Sie ein Interview mit Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks. Die Serie läuft bis Ende Juni und ist online zu finden unter schwaebische.de/ unser-handwerk