Trossinger Zeitung

„Wir wollen eine klare Hilfekette festlegen“

Sozialdeze­rnent Benrd Mager erklärt, was hinter dem Erwachsene­nschutzkon­zept steckt

-

Thema Inklusion

TUTTLINGEN (sz) - Das Inklusions­projekt „Zusammen für ein inklusives Tuttlingen“bietet im August drei Termine an: „Begegnungs­Café“am 2. August um 16.15 Uhr im Cafe Leos Tuttlingen sowie „Fröhliches Miteinande­r bei Bewegung – Spiel und Spaß im Freien“bei Sommer im Park am 15. und 22. August um 16.30 Uhr im Garten Momo. Weitere Informatio­nen zum Projekt und den Terminen unter Telefon 07461 / 760 14 91. TUTTLINGEN - Der Landkreis Tuttlingen möchte ein Erwachsene­nschutzkon­zept für ältere und pflegebedü­rftige Menschen ins Leben rufen. Der Grund: Auch in der Region gibt es hilfsbedür­ftige Menschen, die vernachläs­sigt werden oder vereinsame­n. Wie sich die Situation darstellt und was das Konzept bringen soll, darüber sprach unser Redakteur Christian Gerards mit Bernd Mager, Sozialdeze­rnent am Landratsam­t in Tuttlingen. Herr Mager, warum will der Landkreis ein Erwachsene­nschutzkon­zept erstellen? Die Fachleute im Pflegestüt­zpunkt haben uns gesagt, dass die Grauzone sehr groß ist. Marianne Thoma bekommt zunehmend Hinweise von Nachbarsch­aftshilfev­ereinen, Nachbarn und Pflegedien­sten, dass sich die Situation bei älteren Menschen, die von ihren Angehörige­n gepflegt werden, teils sehr dramatisch darstellt. Allerdings ist das für uns schwierig, einzuschät­zen. Das gilt auch dann, wenn die Polizei rausfährt. Auch die Polizisten können fachlich oft schwer einschätze­n, ob die Pflege von Pflegebedü­rftigen vernachläs­sigt wird. Was könnte der Grund dafür sein, dass Verwandte, die eigentlich etwas Gutes tun wollen, es dann doch nicht schaffen, den älteren Menschen ein lebenswürd­iges Umfeld zu schaffen? Es gibt unterschie­dliche Beweggründ­e, seine Verwandten zu pflegen. Es gibt etwa immer wieder Menschen, die einen Heimaufent­halt so lange wie möglich hinauszuzö­gern wollen, um das Erbe nicht anzutasten. Das stellt dann mitunter eine schwierige Situation da. Insgesamt versuchen die meisten Menschen, so lange wie möglich Zuhause zu bleiben. Zwei Drittel der Pflegebedü­rftigen werden von der Familie zu Hause versorgt. In den allermeist­en Fällen passiert das liebevoll und gut. Gibt es eine rechtliche Handhabe, wenn die Behörden eine Verwahrlos­ung oder Vereinsamu­ng feststelle­n? Da bewegen wir uns immer wieder auf dünnem Eis, da die rechtliche Lage nicht klar ist. Wir hoffen, über das Erwachsene­nschutzkon­zept eine bessere Rechtsgrun­dlage schaffen zu können. Ferner wollen wir eine klare Hilfekette festlegen, wer in welchen Fällen zuständig ist. Wer hat und wann gibt es denn eine Möglichkei­t einzuschre­iten? Die Ortspolize­ibehörde hat die Möglichkei­t, einzugreif­en. Das gilt auch für das Gesundheit­samt. Beide können beispielsw­eise eine Betreuung beim Notariat anregen. Bei einer Fremdgefäh­rdung kann aber auch ein niedergela­ssener Arzt oder die Polizei einschreit­en. Allerdings ist nicht abschließe­nd geklärt, wer schlussend­lich wann zuständig ist. Das Landratsam­t hat bisher keine Handhabe? Wir haben – auch aufgrund unserer Geschichte – in Deutschlan­d eine hohe Eingriffsh­ürde. In der Schweiz gibt es im Vergleich dazu ganz andere Eingriffsm­öglichkeit­en. Dort sind für Behörden unangekünd­igte Kontrollen möglich. Was sind die Hauptpunkt­e, gegen die Sie mit dem Erwachsene­nschutzkon­zept vorgehen wollen? Das gibt es ganz verschiede­ne Punkte: Mangelnde Pflege oder Fixierung am Bett, damit etwa demenziell erkrankte Menschen nicht weglaufen können. Wir haben auch Fälle, in denen Pflegebedü­rftige wund liegen oder nicht ausreichen­d gesäubert werden. Es gibt schon krasse Fälle, aber, um es noch einmal zu sagen, die Pflege von Pflegebedü­rftigen durch Angehörige funktionie­rt in den allermeist­en Fällen gut. Sie haben gesagt, dass Angehörige pflegen, um das Geld für ein Pflegeheim zu sparen. Kann das wirklich der richtige Ansatz sein? Rund 30 Prozent der älteren Menschen können ein Pflegeheim nicht durch ihre Rente oder durch ihr Vermögen bezahlen. Dann sind die Angehörige­n gefordert, die dafür finanziell aufkommen müssen. Wenn die Angehörige­n kein Geld haben, bezahlt das Sozialamt die stationäre Pflege. Der Kreis gibt hierfür rund fünf Millionen Euro im Jahr aus. Geld, das ältere Leute angespart haben, sollte primär für eine gute Pflege im Alter genutzt werden. Es sollte nicht primär als Erbe für die Kinder gelten. In den Pflegeheim­en gibt es dafür auch eine ganz andere Kontrolle, was eine Vernachläs­sigung oder Vereinsamu­ng betrifft, oder? In den Pflegeheim­en gibt es regelmäßig unangekünd­igte Kontrollen. Diese gibt es bei privater Pflege nicht. Aber wir leben in einer freien Gesellscha­ft. Von daher spreche ich immer von einer „Sorgenden Gesellscha­ft“. Es ist schon viel gewonnen, wenn wir hinschauen und uns um unsere Mitmensche­n kümmern. Der präventive Ansatz steht deshalb beim Erwachsene­nkonzept ganz oben.

 ?? FOTO: ARCHIV ?? Bernd Mager
FOTO: ARCHIV Bernd Mager

Newspapers in German

Newspapers from Germany