Terrorangst zwingt Politik zum Handeln
Neue Sicherheitsmaßnahmen im Land haben einen Preis: Privatsphäre wird transparenter
RAVENSBURG - In den Regalen des kleinen Geschäfts am Ende der Fußgängerzone stauben Dutzende Pokale vor sich hin. „Das sind eher die Ladenhüter“, sagt Daniel K., der nicht wirklich so heißt. Der diskrete Besitzer eines alteingesessenen Waffenladens im Südwesten führt den Journalisten zu einer Vitrine mit seiner heißen Ware: Pfefferspraydosen aller Größen, zwischen neun und 20 Euro.
Die mit einem Reizstoff gefüllten Behälter gehen laut K. monatlich bis zu 50-mal über die Theke. Der Mittdreißiger holt hinter dem Tresen einen weiteren Verkaufshit hervor: schwere, echt wirkende Revolver, die knallen oder Patronen mit Gas abfeuern. Wer ist an solchen Schreckschusswaffen interessiert? Daniel K. zuckt mit den Schultern. „Hauptsächlich Frauen. Und Männer, die sie für ihre verängstigten Frauen kaufen“.
„Viele Menschen fühlen sich unsicherer als vor zehn Jahren“, erzählt der Händler. Besonders nach den Silvesterausschreitungen in Köln 2016 sei der Absatz an Pfeffersprays gestiegen. Manche würden sich fürchten, abends vom Parkhaus alleine heimzugehen. Er erinnert sich an Kunden, die im Laden geweint haben, weil die Freundin vergewaltigt worden war oder weil bei ihren Nachbarn eingebrochen wurde. „Diese Menschen gingen nicht zur Polizei“, sagt Daniel K. „Sie haben vielmehr das Gefühl, sich selbst beschützen zu müssen.“
Die Angst vor Gewaltverbrechern und dem islamistischen Terrorismus ist eines der großen Themen, die laut Soziologen die Bundestagswahl entscheiden werden. Laut einer neuen YouGov-Umfrage nehmen 28 Prozent der Bürger die Sicherheitslage als schlecht und 43 Prozent als eher schlecht wahr. Die Angst treibt jedoch nicht nur viele Bürger um, sondern auch die Parteien, die einander an radikalen Lösungen für mehr Sicherheit in Deutschland überbieten.
Fast alle nehmen Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger in Kauf und setzen auf verschärfte Überwachung von Verdächtigen, größere Vollmachten von Strafermittlern sowie eine Stärkung der Polizei. Dies ist auch der Weg, den die baden-württembergische Landesregierung mit ihrem Sicherheitspaket beschreiten will, das sie im Juni auf den Weg gebracht hat. Bedrohung nicht länger abstrakt Die neuen Antiterror-Maßnahmen in Baden-Württemberg waren eine Reaktion auf den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz Ende 2016 gewesen. Die „abstrakte Bedrohungslage“in Deutschland sei durch den Fall des Terroristen Anis Amri harte Realität geworden, sagte Mitte Januar Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) zur Begründung der grünschwarzen Sicherheitsoffensive.
Sie basiert auf einer Verschärfung des Polizeigesetzes, das zurzeit noch in der Anhörung ist. Im Herbst soll es verabschiedet werden. Neu darin sind die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und die präventive TKÜ zur Gefahrenverhinderung, der Einsatz von elektronischen Fußfesseln bei Gefährdern, die Regeln zum polizeilichen Gebrauch von Explosivmitteln sowie die „intelligente Videoüberwachung“.
Die Quellen-TKÜ ist eines der umstrittensten grün-schwarzen Antiterror-Vorhaben, weil sie einen enormen Eingriff in die Grundrechte bedeuten kann – aber auch weil ein Missbrauch von Sicherheitslücken durch Behörden befürchtet wird (siehe Interview). Dabei geht es vor allem um das Abfangen von Kommunikation in Messengerdiensten wie WhatsApp.
Nach Angaben der Landesregierung wurden in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr 3330 Telefonanschlüsse (zumeist Handys) von 1350 Menschen überwacht. Die Zahl der Ermittlungsverfahren mit TKÜ-Maßnahmen stieg im Vergleich zum Vorjahr um 45 auf 559. Jedoch scheiterten die Ermittler oft an der Verschlüsselung von Chats, die laut Polizei auch von Kriminellen und Terrorverdächtigen genutzt werden. Eine Abhilfe soll nun die Quellen-TKÜ schaffen. Die Daten sollen vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung abgegriffen werden. Dafür müssten die Behörden sogenannte Staatstrojaner auf den Smartphones installieren – eine Software, die sich heimlich einnistet und es den Ermittlern erlaubt, aktive Chats mitzulesen.
Ein noch größerer Eingriff ist die seit Juni gesetzlich erlaubte OnlineDurchsuchung, bei der die Ermittler sich mithilfe eines Trojaners den Zugriff auf sämtliche gespeicherten Daten in einem privaten Computer oder Smartphone verschaffen können. Dieses Instrument soll im Land jedoch zunächst nicht verwendet werden, da die Grünen dadurch die Freiheitsrechte der Bürger bedroht sehen.
Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“nannte Landespolizeipräsident Gerhard Klotter die Quellen-TKÜ einen „großen Schritt nach vorne“bei der Terrorbekämpfung und nannte die Sorge vor einem übermäßigen Gebrauch der elektronischen Überwachung unbegründet: „Das ist eine technisch anspruchsvolle Maßnahme, wir werden sie nicht flächendeckend betreiben können. Sie wird immer eine Ausnahme sein. Rechtlich ist sie nur dann zulässig, wenn wir mit anderen Ermittlungsmethoden nicht weiterkommen.“
Die elektronische Fußfessel soll bald auch zur Überwachung von den islamistischen Gefährdern benutzt werden. Bislang wird sie bei entlassenen Straftätern eingesetzt, wenn die Gefahr besteht, dass sie weitere Verbrechen begehen könnten. Laut der Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) im hessischen Bad Vilbel waren Ende 2016 bundesweit 88 solcher Fußfesseln im Einsatz, davon fünf in BadenWürttemberg und 31 in Bayern.
Nach dem Berliner Attentat hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) alle Länder dazu aufgerufen, ihre Polizeigesetze zu ändern, damit die Gefährder bundesweit zum Tragen der Fußfesseln verpflichtet werden können, wenn es Hinweise dafür gibt, dass sie Anschläge vorbereiten würden. Nach Angaben des Landespolizeipräsidenten gibt es zurzeit in Baden-Württemberg eine „mittlere zweistellige Zahl von Gefährdern“, die ansteige. Es gebe aber noch keine konkreten Überlegungen, wie viele zusätzliche Geräte das Land brauche, so Klotter. Experten warnen zudem, dass die Fußfessel weder alle Straftaten verhindern kann noch als polizeiliche Einzelmaßnahme überhaupt Sinn macht.
Die intelligente Videoüberwachung soll nach Vorstellungen der Landesregierung die Sicherheit an den Kriminalitätsschwerpunkten und gefährdeten Objekten wie Bahnhöfen, Märkten und Einkaufszentren verbessern. Das Verfahren basiert auf einem automatischen Echtzeit-Abgleich von Videoaufnahmen mit Fotos von bekannten Extremisten und Verbrechern aus einer Datenbank. Bundesweit ist es noch nirgendwo im Einsatz.
Ein Modellprojekt der Bundespolizei in Berlin zur Gesichtserkennung wurde im August von Datenschützern scharf kritisiert, weil die 300 Testpersonen angeblich unzureichend informiert worden waren. Im Südwesten hätte die intelligente Videoüberwachung ab September an drei Standorten in Mannheim getestet werden sollen. Doch der Start des Projekts wurde verschoben.