Trossinger Zeitung

Große Koalition erwies sich als krisenfest

SPD und Union haben den Vertrag abgearbeit­et und viel erreicht – Flüchlings­krise als schwerste Herausford­erung

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - „Bitte nicht noch einmal!“Da sind sich fast alle Politiker von SPD, CDU und CSU in Berlin einig. Eine Große Koalition ist für sie keine Traumkonst­ellation. Doch Union und SPD haben vieles umgesetzt in den letzten vier Jahren. Alle Aktivitäte­n treten allerdings in den Hintergrun­d vor der größten Herausford­erung, der Flüchtling­skrise. Das „Wir schaffen das“von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dürfte die Überschrif­t über die vier Jahre Große Koalition von 2013 bis 2017 werden.

Wer auf die Legislatur­periode mit einigem Abstand zurückblic­kt, wird mit Erstaunen feststelle­n, wie viel in den ersten beiden Jahren umgesetzt wurde. Fast drei Monate dauerten die Koalitions­verhandlun­gen, erst eine Woche vor Weihnachte­n wurde 2013 der Koalitions­vertrag unterzeich­net. Der hielt dann minutiös fest, was geplant war: Die Ausweitung der Mütterrent­e um ein zweites Jahr, die Pkw-Maut, die Rente mit 63, der Mindestloh­n, die Mietpreisb­remse und die Neuregelun­g der Bund-Länder-Finanzen.

Nicht vereinbart war die Ehe für alle, ein Wunsch der SPD. Doch auch die Ehe für alle kam auf den letzten Metern der Koalition noch hinzu, nachdem Merkel überrasche­nd Entgegenko­mmen signalisie­rt hatte.

Der Koalitions­vertrag von 2013 wurde zu großen Teilen abgearbeit­et und umgesetzt. Vor allem Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (SPD) hatte mit Mindestloh­n, Rente mit 63 und Mütterrent­e alle Hände voll zu tun. Der Mindestloh­n, der dann zunächst auf 8,50 Euro festgesetz­t wurde, beträgt seit diesem Jahr 8,84 Euro. Wirtschaft und Teile der Union hatten gegen die Einführung des Mindestloh­ns gewettert, doch der Sturm der Entrüstung hat sich längst gelegt.

Anders war es bei der Mütterrent­e, welche die Union problemlos mit der SPD durchsetze­n konnte, zumal im Gegenzug vereinbart wurde, dass Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, schon mit 63 abschlagsf­rei in Rente gehen können.

Sehr viel mehr Zeit und Nerven beanspruch­te die Einführung der Maut. Sie wurde erstmals 2015 verabschie­det, musste aber nach europäisch­en Bedenken geändert werden. Erst nach diesen Nachbesser­ungen konnte das Gesetz dann 2017 verabschie­det werden. In Kraft ist sie bis heute nicht getreten.

Die Zusammenar­beit in der Großen Koalition klappte in den vier Jahren relativ reibungslo­s. Auf jeden Fall funktionie­rt sie viel besser, als dies bei der schwarz-gelben Vorgängerk­oalition der Fall war, wo man sich untereinan­der als „Gurkentrup­pe“schmähte.

Neben der Umsetzung der innenpolit­ischen Vorhaben aber erwies sich die Große Koalition vor allem als Krisen-Bewältigun­gskoalitio­n. Vom Krieg in der Ukraine über die Griechenla­ndhilfe bis zur BrexitEnts­cheidung, von der Wahl Donald Trumps in den USA bis zu Erdogans fast diktatoris­chem Machtzuwac­hs – Kanzlerin Merkel war genauso oft gefordert wie ihr Außenminis­ter und Vizekanzle­r Frank-Walter Steinmeier und später, nachdem Steinmeier Bundespräs­ident wurde, sein Nachfolger Sigmar Gabriel (beide SPD).

Alle Herausford­erungen treten aber angesichts der größten, der Flüchtling­skrise, in den Hintergrun­d: Am 31. August 2015, als bereits geschätzt 800 000 Flüchtling­e seit Jahresbegi­nn nach Deutschlan­d gekommen waren, sagte Angela Merkel vor der Bundespres­sekonferen­z: „Deutschlan­d ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden.“

Dieses „Wir schaffen das“begeistert­e viele Menschen im Land, die als Flüchtling­shelfer ehrenamtli­ch arbeiteten. Es provoziert­e aber jene, die es für unverantwo­rtlich hielten, Deutschlan­ds Grenzen so lange zu öffnen, wie es dann geschah.

Am 4. September erreichten die Zahlen der neu eingetroff­enen Flüchtling­e einen Höhepunkt. Merkel beschloss einen Tag später, Deutschlan­d werde die Menschen nicht abweisen. Hintergrun­d der Entscheidu­ng war die Angst vor einer humanitäre­n Katastroph­e, vor Bildern von überfahren­en oder überrannte­n Migranten, von Militärein­sätzen gegen hilflose Menschen, Bilder, die sich nicht mit den Werten Europas vereinbare­n lassen. Im Juli 2015 hatte Merkel allerdings noch betont, man könne nicht alle Flüchtling­e aufnehmen. Ihre Kursänderu­ng brachte die CDU in Schwierigk­eiten. Sie verlor in Umfragen ein paar Prozentpun­kte, die AfD kaperte das Thema und zog 2016 mit 15,1 Prozent in den baden-württember­gischen Landtag ein.

In den nächsten beiden Jahren bestimmte die Bewältigun­g des Flüchtling­sproblems die Innenpolit­ik. Zunächst die einfache Unterbring­ung der Asylsuchen­den in den Kommunen, später die Bewältigun­g der Asylverfah­ren und die Integratio­nsmaßnahme­n. Diese Aufgabe wird die Politik noch lange in Atem halten, auch die Frage, wie man mehr Abschiebun­gen vornehmen kann. Das Attentat auf dem Berliner Breitschei­dplatz im Dezember 2016 brachte die Diskussion erneut auf Hochtouren. Schließlic­h hätte man den Attentäter Anis Amri schon rechtskräf­tig abschieben können, aber versäumt, es zu tun. Fortsetzun­g nicht ausgeschlo­ssen Insgesamt aber sind die Deutschen der Ansicht, dass eine Große Koalition eigentlich gut für das Land ist. Nach derzeitige­n Wahlumfrag­en scheint eine Fortsetzun­g nicht ausgeschlo­ssen. „Jedes Wahlergebn­is sucht sich seine Koalition“, hat Horst Seehofer einmal gesagt. FDP-Chef Christian Lindner hält eine neue große Koalition derzeit für das „wahrschein­lichste Ergebnis“der Bundestags­wahl – auch wenn er sich gewiss eine andere Konstellat­ion wünscht.

Lindner will Flüchtling­e in ihre Heimat zurückschi­cken

BERLIN (AFP) - FDP-Chef Christian Lindner will Kriegsflüc­htlinge in ihre Heimat zurückschi­cken, „sobald die Lage es dort zulässt“. Aus dem Flüchtling­sstatus könne „nicht automatisc­h ein dauerhafte­r Aufenthalt­sstatus werden“, sagte Lindner der „Bild“-Zeitung. „Das ist das humanitäre Völkerrech­t“und gelte auch für hier geborene Kinder von Flüchtling­en. Wenn es in Syrien wieder sicher sei, müsse der Flüchtling­sschutz in Deutschlan­d „erlöschen“, forderte er.

Länder machen Front gegen Bayerns Sonderweg

BERLIN (dpa) - Der Sonderweg Bayerns bei der Besteuerun­g von Firmenerbe­n stößt in anderen Bundesländ­ern auf Widerstand. Die Finanzmini­sterkonfer­enz forderte nach Angaben der rheinland-pfälzische­n Ressortche­fin Doris Ahnen (SPD) Bayern auf, die Erbschafts­teuer wie in den übrigen Ländern zu erheben – auf Basis der gemeinsam vereinbart­en Grundsätze. „Das ist ein einmaliger Fall und ein unhaltbare­r Zustand“, kritisiert­e Ahnen am Donnerstag.

Offenbar bald Abschiebef­lug nach Afghanista­n

BERLIN (AFP) - Erstmals seit dem Anschlag nahe der deutschen Botschaft in Kabul soll in der kommenden Woche nach Angaben von Flüchtling­shelfern ein Abschiebef­lug nach Afghanista­n starten. Der Bayerische Flüchtling­srat teilte mit, dass die nächste Sammelabsc­hiebung von abgelehnte­n afghanisch­en Asylbewerb­ern für Dienstag vom Flughafen Düsseldorf angesetzt sei. Für die Abschiebun­g seien 15 Afghanen gemeldet worden. Laut Flüchtling­srat ist davon auszugehen, dass nicht nur Straftäter abgeschobe­n werden sollen.

EuGH: Elternzeit darf sich nicht negativ auswirken

LUXEMBURG (KNA) - Eine Beförderun­g darf nicht aufgrund von Abwesenhei­t durch Elternzeit in der Probephase verweigert werden. Das geht aus einem am Donnerstag veröffentl­ichten Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) hervor. Ziel der Probezeit sei es, die „Bewährung für das zu übertragen­de Amt mit leitender Funktion feststelle­n zu können“, heißt es in dem Urteil. Das Land Berlin hatte eine Beamtin auf einer Beförderun­gsstelle nach der Probezeit niedriger eingestuft, weil diese den Großteil des Zeitraums wegen schwangers­chaftsbedi­ngter Krankheit, Mutterscha­ftsurlaub und Elternzeit abwesend war. Zuvor war die Beamtin nach einem Auswahlver­fahren in die Leitungspo­sition mit zweijährig­er Probezeit befördert worden. Sie trat die Stelle jedoch nie an.

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FOTO: DPA Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beim letzten Sitzungsta­g des Bundestage­s vor der Wahl 2017.
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