Die Magie in uns allen
Mittels einer Ausstellung will die British Library am Milliardengeschäft „Harry Potter“teilhaben
LONDON - „Harry Potter – eine Reise durch die Geschichte der Magie“, heißt die neue Ausstellung in der British Library. Diesen Anspruch löst die Londoner Nationalbibliothek ein: Jüngere und ältere Fans des berühmten Romanzyklus von Joanne („JK”) Rowling kommen dort ebenso auf ihre Kosten wie jene, die generell fasziniert sind von Zauberei und Alchemie. Mithilfe der Autorin und des Verlags Bloomsbury einerseits, durch Leihgaben aus dem gewaltigen British Museum wie dem kleinen Hexenmuseum in Cornwall andererseits haben die Ausstellungsmacher ein buntes Kaleidoskop zum Thema zusammengestellt. Freilich bleibt der Eindruck, es handele sich um eine Hybridausstellung, reichhaltig, aber ohne erkennbaren Zusammenhang. Aber ein Erfolg wird sie in jedem Fall: 30 000 Tickets wurden vorab verkauft.
Von ihrer früh an Multipler Sklerose verstorbenen Mutter hatte die Harry-Potter-Autorin den „Riesenappetit auf Bücher aller Art“geerbt, als erste ihrer Familie ging sie auf die Universität und schloss ein Literaturstudium ab. Da spielten auch phantastische Romane eine Rolle, schließlich „steckt die Magie tief in uns allen“, teilt Rowling, 52, gleich zu Beginn der Ausstellung in einem kurzen Filmausschnitt mit. Ein chinesischer Orakelknochen Es geht dann die Treppe hinunter in die fensterlosen Ausstellungsräume der British Library. Sie sind thematisch den Unterrichtsfächern im Zauberinternat Hogwarts zugeordnet. Da dominiert also ein gewaltiger, mindestens 2600 Jahre alter Bronzekessel den Zaubertrank-Saal, wo interaktive Displays zum Mixen eines eigenen Magiecocktails einladen. Im Alchemie-Saal beschreibt ein sechs Meter langes Manuskript aus dem 16. Jahrhundert die Suche eines mittelalterlichen Priesters namens George Ripley nach dem Stein der Weisen. Und als Beispiel für Wahrsagerei dient das älteste Sammlungsstück der British Library, ein chinesischer Orakelknochen, auf dem eine Mondfinsternis im Jahr 1192 vor Christus verzeichnet steht.
Was das mit Harry Potter (HP) zu tun hat? Der sei ihr „als fertige Figur in den Sinn“gekommen, hat Rowling berichtet, und die Ausstellungsmacher erzählen es nach: Der beinahe magische Moment geschah 1990 auf einer Zugfahrt von Manchester nach London. Aber gewiss stützte sich die gelernte Literaturwissenschaftlerin auf ihre eigene Lektüre, auf Begegnungen mit dem gerade in ihrer englischen Heimat verbreiteten Glauben an Überirdisches und Irreales.
Kenner des siebenbändigen Romanzyklus erhalten kostbare Einblicke in die Werkstatt der Schöpferin. Ausgestellt sind etwa heftig bekritzelte Manuskriptseiten, die es nicht in die fertigen Bücher geschafft haben. Rührend zu lesen ist auch die Beurteilung der damals achtjährigen Verlegertochter Alice Newton: Harry Potter sei möglicherweise eines der besten Bücher, die eine Achtoder Neunjährige lesen konnte. 2500 Pfund zahlte Papa Nigel Newton daraufhin 1996 der mittellosen, völlig unbekannten Autorin, ein Jahr später kam „Harry Potter und der Stein der Weisen“in einer Startauflage von 500 Exemplaren auf den Markt. Ein Milliardengeschäft Beide Parteien haben den Deal nicht bereut. Mehr als 450 Millionen Bücher der siebenteiligen Fantasyserie wurden verkauft, Harry Potter kann man in 68 Sprachen lesen, auch die acht Filme waren ein Milliardengeschäft. Im nahen Bahnhof King’s Cross stehen die Harry-Potter-Fans am Bahnsteig 93/4 für ein Foto Schlange, nun haben sie bis Februar in fußläufiger Nähe eine zweite Wallfahrtsstätte in London. Sogar die sagenhaften Lebewesen Einhorn und Hyppogriff, eine Mischung aus Adler und Pferd, haben die Ausstellungsmacher eingefangen.
Ausdrücklich weist Co-Kuratorin Tanya Kirk auf die vielen Sonderveranstaltungen, besonders für Kinder, rund um die Ausstellung hin. Während Minderjährigen die Lesesäle verschlossen bleiben, haben Künstler und Erzieher monatelang ein Programm erarbeitet, um der jüngeren Generation die Bibliothek zu erschließen. Für auswärtige Besucher mit Kindern lohnt sich also der Blick auf die Webseite bl.uk besonders, ganz abgesehen vom bequemen Ticketkauf vorab – die ersten zehn Tage sowie sämtliche Wochenenden im November sind schon ausverkauft. Die Ausstellung läuft noch bis 28. Februar. Erwachsene zahlen 16 Pfund (17,82 Euro/20,57 Franken), Pensionisten 11 Pfund, junge Leute und Studenten 8 Pfund. Ermäßigungen für Familien.