„Sozialarbeiter des Geldes“
Einst half er Hausbesetzern, heute Hausbesitzern – Alfred Platow ist der wohl ungewöhnlichste Vermögensverwalter Deutschlands
Ortstermin in einem ehemaligen Hausbesetzerviertel im Düsseldorfer Stadtteil Flingern. Hier hatte bis 2002 Alfred Platows Vermögensverwaltungsfirma ihren Sitz, als sie noch Versiko hieß. Plötzlich steht Platow vor uns. Leise ist er in einem Elektroauto herangeschlichen. Regenjacke, Wuschelhaar, Vollbart: Auf den ersten Blick wirkt er wie ein Sozialpädagoge. Und ist ja auch einer. Sich selbst nennt er, gern und oft, „Sozialarbeiter des Geldes“. Markus Wanzeck hat sich mit Alfred Platow über seinen ungewöhnlichen Werdegang unterhalten. Wie wurden Sie denn zum „Sozialarbeiter des Geldes“? Ich habe eine Ausbildung zum Heimerzieher gemacht und anschließend Sozialarbeit studiert. Acht Semester, Diplom. Nebenher arbeitete ich, weil ich mich darin von Haus aus gut auskannte, als Unternehmens- und Steuerberater, etwa für Kinderbuchläden, von Berlin-Kreuzberg bis Freiburg. Wie konnten Sie solche Kontakte aufbauen neben dem Studium? War gar nicht nötig. Unsere Firma hieß „Alfred & Klaus“– das sprach sich so was von rum. So viel konnten wir gar nicht arbeiten. Obwohl ich nur von Dienstag bis Donnerstag studiert habe. Sie studierten nur pro forma? Nein! Das war nicht pro forma. Also wollten Sie ursprünglich Sozialarbeiter werden? Nein! Auf keinen Fall. Warum nicht? Zu langweilig. Sozialarbeit war Mitte der 1970er- bis Mitte der 1980er-Jahre Teil des Widerstandes. Das war meine Welt. Ich hab mal mit 50 Kommilitonen das Gebäude 24.21 der Uni Düsseldorf besetzt ... Was Ihnen so viel Spaß machte, dass Sie am Hausbesetzen Geschmack fanden? Unwahrscheinlichen Spaß, ja! Unter einem Vorwand habe ich den Gebäudeschlüssel erschlichen. Dann sind wir mit einem Lkw gekommen und haben alles mit Sperrmüll vollgestellt. Da steht noch unser Name! Unglaublich. Was haben wir heute? 2017? Seit 15 Jahren hat niemand das Klingelschild entfernt … Das ist echte Nachhaltigkeit. Das kann man wohl sagen. Wobei wir bei Ökoworld den Begriff Nachhaltigkeit gar nicht mehr benutzen. Eben weil er so dermaßen verwaschen ist. Nachhaltig, das ist ja heute alles. Auch die Allianz oder die Deutsche Bank bieten nun nachhaltige Anlagemöglichkeiten. Ist das nur Standardwein in neuen Schläuchen? Das ist nicht mal Wein. Das sind nur Schläuche. Reines Marketing, Greenwashing. Wir dagegen hatten immer einen ethischen, einen politischen Anspruch. Wir waren basisdemokratisch organisiert. Im Plenum. Jeden Mittwochabend hatten wir Plenum. Da wurde dann alles in der großen Runde verhandelt. Bis keiner mehr konnte, um zwei, drei Uhr nachts. Das war nervig und anstrengend. Aber alle konnten sich damit identifizieren, das war das Entscheidende. Wir hatten auch Einheitslöhne. Wie kann man sich das vorstellen? Jeder von uns bekam 800 D-Mark. Dazu 200 D-Mark für jedes Kind. Das haben wir bis 1995 so gemacht. Dann ging es nicht mehr. Weil wir zu groß wurden. Hatten Sie hier damals auch ein Haus besetzt? Ich selbst habe nie ein Haus besetzt – aber eine ganze Reihe von Besetzungen initiiert und organisiert. Das war wichtig. Aber wissen Sie, was die wichtigste Aufgabe in einem besetzten Haus ist? Der Küchendienst? Falsch. Die Überbrückung des Stromanschlusses. Das konnte ich nie. Ich bin handwerklich total unbegabt. Ich war der fürs Verhandeln, fürs Organisieren. Ich habe zum Beispiel Joseph Beuys für unsere Sache aktivieren können. Er hat uns immer wieder mal einen Scheck ausgestellt, für Farbtöpfe, Reinigungsmaterial, gebrauchte Möbel. Weil er Geld hatte damals. Und wir alle nicht. Das hat sich geändert. Ja, die Zeiten haben sich geändert. Die Gesellschaft ist nicht mehr so politisiert. Es hat sich ein umfassendes, radikal wirtschaftliches System entwickelt, das uns alle beherrscht. Vor 15 Jahren haben Sie diesem Viertel, einer Hochburg der alternativen Szene, den Rücken gekehrt und sind mit Ihrem Unternehmen ins beschauliche Städtchen Hilden gezogen. Eine Kapitulation? Schon – allerdings vor allem eine Kapitulation vor der schlechten Luft. Auf der Straße hier stauten sich jeden Tag die Lkws. Wir sind vor dem Dreck geflohen, in die Natur. In Hilden gab es dann sofort zwei Laufgruppen. Von unserem Büro aus war man in einer Minute im Wald. Heute hat Ökoworld rund 60 Mitarbeiter und 55 000 Kunden, die fast eine Milliarde Euro investiert haben. 2016 war Ihr erfolgreichstes Jahr. Boomt die ethisch-ökologische Geldanlage? Ja und nein. Wenn man den gesamten Kapitalmarkt betrachtet, ist der Anteil immer noch sehr gering. Ich würde den ehrlichen Marktanteil – ohne das Greenwashing von Deutscher Bank & Co. – auf vielleicht 1,5 Prozent schätzen. Aber diese Art des Investierens wird immer beliebter. Auch weil die Menschen sehen, dass sich damit durchaus eine gute Rendite erwirtschaften lässt. Einige Anleger haben mit grünen Geldanlagen böse Überraschungen erlebt. Wer in die Windenergiefirma Prokon oder den Holzpellethersteller German Pellets investiert hat … Das waren Firmen, die Anleger mit Zinsversprechen von bis zu acht Prozent gelockt haben! Ja, wo soll denn das herkommen? Es kann doch keiner zaubern! Hohe Renditen bedeuten immer ein hohes Risiko. Das muss jedem mit gesundem Menschenverstand klar sein.