Debatte um US-Waffenrecht
Nach Massenmord in der Kirche flammt der Streit auf
SUTHERLAND SPRINGS (AFP/epd) Erneut hat ein Massaker die USA in Schockzustand versetzt. Weniger als eine Woche nach dem Terroranschlag von New York und fünf Wochen nach dem Massenmord von Las Vegas schoss am Sonntag ein Täter in einer Kirche in Sutherland Springs in Texas um sich: 26 Gottesdienstbesucher starben im Kugelhagel, 20 weitere wurden verletzt. Der 26-jährige Täter, der frühere Soldat Devin Kelley, wurde kurz danach tot in seinem Wagen gefunden. Laut Polizei nahm er sich mutmaßlich selbst das Leben.
US-Präsident Donald Trump verurteilte den Angriff als „Tat des Bösen“, sieht aber offenbar keinen Zusammenhang mit dem amerikanischen Waffenrecht. Von kirchlicher Seite gab es hingegen die Forderung nach restriktiveren Gesetzen für Waffenbesitz. Trump-Vorgänger Barack Obama erklärte, Gott möge helfen, „Gewalt und die Waffen in unserer Mitte zu reduzieren“.
RAVENSBURG - Viele US-Amerikaner lieben schwere Waffen – das wird wohl auch nach dem Massaker von Sutherland Springs so bleiben. Die Gründe dafür erläutert Thomas Gijswijt (Foto: privat) im Interview mit Thilo Bergmann. Gijswijt lehrt an der Universität Tübingen amerikanische Geschichte und Politik. Wieder eine Schießerei, wieder in den USA. Und es ist nicht absehbar, dass die Regierung daraus Konsequenzen zieht. Warum? Leider werden auch weitere Massaker nichts ändern. Für die Republikaner lohnt sich das Thema nicht. Zwar sind viele Sitze im Kongress für beide Parteien relativ sicher, aber bei parteiinternen Vorwahlen machen sich die Politiker angreifbar, wenn sie stärkere Kontrolle fordern. Man kann als Politiker eigentlich nur verlieren. Die bekannteste Lobbygruppe ist die Schusswaffenvereinigung NRA. Worin besteht deren Stärke? Sie ist sehr gut organisiert, vor allem in ländlichen Gebieten. Zwei bis drei Millionen Wähler kann die Lobby sehr schnell aktivieren. Wenn die NRA sagt, dass die Rechte der Amerikaner in Gefahr sind, dann aktiviert sie ihre Unterstützer und die schreiben ihren Abgeordneten oder spenden viel Geld. Viele Politiker müssen in den parteiinternen Vorwahlen überzeugen. Da kann es politischer Selbstmord sein, etwas an den Waffengesetzen ändern zu wollen. Wird die NRA so stark bleiben? Solange sich nicht eine ähnlich starke oder stärkere Gegen-Lobby auf lokaler Ebene etabliert, wird sich nichts ändern. Es hat sich inzwischen viel getan, aber die Gegner sind noch nicht stark genug. Woher kommt in den USA die Begeisterung für schwere Waffen? Ist das wirklich historisch begründet, wie es immer heißt? Das ist völliger Blödsinn. Das ist NRA-Propaganda, die seit den 70er Jahren extrem effektiv verkauft wurde. Die Amerikaner denken deshalb heute sie müssten sich gemäß der Verfassung schützen und das Tragen von Waffen mache sie zu etwas Besonderem. Viele Amerikaner glauben, sie sind sicherer mit einer Waffe unter dem Kopfkissen. Also ist die amerikanische Liebe zu Waffen nur eine großangelegte Marketingkampagne? Ja, das kann man so sehen. Natürlich gibt es auch eine gewachsene Waffenkultur. Es wird viel gejagt und die Menschen fühlen sich auf dem Land auch sicherer, wenn sie Waffen haben. Es ist aber auch kein Zufall, dass für Mädchen bereits rosa Gewehre entwickelt werden. Dass jetzt in Texas ein Nachbar zurückgeschossen hat, wird von der NRA auch groß ausgeschlachtet werden. Und wie könnte man die USA entwaffnen? Australien hat es gut vorgemacht. Man müsste die Waffengesetze verschärfen, ein Waffentraining vorschreiben, die Waffen sicher verstauen und kostenlos abgeben können. Politisch ist das nicht durchsetzbar. Was sagen Ihnen diese Ereignisse über die aktuelle Lage der USA? Man fragt sich inwieweit dieses Land noch handlungsfähig ist, weil es so schwer ist, etwas Grundsätzliches zu ändern. Nach dem Amoklauf an der Grundschule in Newtown 2012 habe ich gedacht es ändert sich etwas, aber es ist damals im Senat gescheitert, weil zu viele Angst hatten, dass sie ihren Platz im Kongress verlieren. Es macht mich schon traurig.