Kritik an AfD-Chef Meuthen
Politiker behält Landtagssitz trotz Wechsel nach Brüssel
STUTTGART (tja) - Politiker aller Parteien haben am Dienstag scharfe Kritik an Jörg Meuthen, AfD-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, geübt. Sie werfen ihm vor, aus machtpolitischem Kalkül ins Europaparlament zu gehen. Meuthen hatte einen entsprechenden Bericht der „Schwäbischen Zeitung“zuvor bestätigt. Als Grund führte er an, die AfD im EU-Parlament stärken zu wollen. Allerdings will er sein Landtagsmandat in Stuttgart zunächst behalten, aber „höchstwahrscheinlich“nicht bis 2021. Meuthen gehe es darum, „durch das Doppelmandat seine Schäfchen ins Trockene zu bringen: Wenn er bei den Europawahlen 2019 nicht gewählt wird, bliebe ihm noch bis 2021 sein Landtagsmandat“, kritisierte die Heidenheimer Europa-Abgeordnete Inge Gräßle (CDU). SPD, Grüne und FDP werteten Meuthens Abschied als Ausdruck seiner Überforderung. Er habe keine Machtbasis in der eigenen Fraktion.
STUTTGART - In Deutschland ermitteln Behörden immer häufiger gegen Terroristen. Das spüren auch die Gerichte in Baden-Württemberg. 2017 gingen bei der zuständigen Generalstaatsanwaltsschaft Stuttgart 56 neue Verfahren ein – 2016 waren es 18. Am Donnerstag beginnt in Stuttgart der nächste Prozess. Angeklagt ist ein 24-jähriger Iraker. Er soll mit Köpfen enthaupteter Terroristen der Terrormiliz „Islamischer Staat“für ein Foto posiert haben. Katja Korf beantwortet die wichtigsten Fragen zu solchen Verfahren.
Wer ist in Deutschland für Terrorermittlungen zuständig? Zunächst sind die Staatsanwaltschaften Stuttgart oder Karlsruhe im Land die Terrorexperten. Sie legten im vergangenen Jahr 128 Fälle beim Generalbundesanwalt (GBA) vor. Er ist Deutschlands oberster Strafermittler. 2017 hat seine Behörde bereits 900 Terrorismusverfahren geführt, 2016 waren es nur 240. In den meisten Fällen geht es um den Verdacht auf islamistisch motivierte Taten. Bei besonders gravierenden Taten, vor allem bei Tötungen, leitet der GBA die Ermittlungen und führt den Prozess vor einem Oberlandesgericht (OLG) in den Bundesländern. Viele Fälle verfolgt der GBA aber nicht bis zum Ende, sondern übergibt sie wieder den Bundesländern. 2017 waren dies bislang 300 Verfahren.
Was bedeutet das für die Justiz in Baden-Württemberg? Das Justizministerium hat 2016 eine neue Abteilung bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart geschaffen, die sich um Terror und Extremismus kümmert. Dort verfolgt man jene Fälle weiter, die der GBA an die Länder zurückgibt. Zwischen 2007 und 2010 kam so etwas nie vor, bis 2014 ein bis zweimal jährlich. In den ersten zehn Monaten 2017 musste die Abteilung bereits 56 Verfahren übernehmen. Kommt es zum Prozess, verhandelt diesen in der Regel das Oberlandesgericht. Dort hat die Landesregierung ebenfalls neue Stellen für Staatsschutzverfahren eingerichtet.
Um welche Taten geht es? Die meisten angeklagten Verbrechen wurden im Ausland begangen, vor allem in Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Somalia. Meistens geht es um Kriegsverbrechen, die Mitgliedschaft in oder die Unterstützung einer Terrorgruppe. Auch, wer seine Ausreise in ein Kriegsgebiet plant, um sich Terrororganisationen anzuschließen, landet vor dem OLG. Unter den Verdächtigen sind sowohl deutsche Staatsbürger als auch Menschen, die Asyl in Deutschland beantragt haben. Warum sind solche Prozesse so aufwendig? Die Terrorverfahren am OLG liefen in den Jahren 2014 bis 2016 sehr lange – im Schnitt 17 Monate. Zum einen sprechen die Angeklagten nicht oder kaum Deutsch. Gute Simultanübersetzer für Arabisch oder andere Sprachen sind rar. Sie arbeiten bundesweit für mehrere Gerichte und haben viele Termine. Dasselbe gilt für Gutachter. Diese müssen neutral sein, die Landessprache sprechen und möglichst dort gelebt haben, wo ein Verbrechen begangen worden sein soll. Da die Taten aber meistens in Krisengebieten geschehen, ist es selbst für Landeskenner schwierig, enge Verbindungen zu halten. Hinzu kommen strafrechtliche Besonderheiten.
Welche sind das? Die Tatorte liegen in der Regel in Krisengebieten. Diese sind schwer zugänglich, die Lage ist unübersichtlich. Beispiel Syrien: Dort sind im Laufe des Bürgerkriegs neue Milizen entstanden, haben sich mit anderen verbündet oder aufgelöst. Deshalb sind die Ermittler in Deutschland auf Informationen von Geheimdiensten angewiesen. Naturgemäß geben diese ihre Informationen ungern preis. Das erschwert die Beweisführung. In vielen Fällen müssen die Ankläger beweisen, dass Vereinigungen nach deutschem Recht als Terrorgruppen gelten. Dabei gilt es, viele schwierige Fragen zu beantworten: Wo beginnt Terrorismus, wo endet einfacher Widerstand gegen despotische Regierungen? Sind die Gruppen gegründet, um Attentate aus politischen oder religiösen Motiven zu begehen? Die Richter und Staatsanwälte müssen diese Fragen anhand der Ermittlungsakten beantworten, Gutachter hinzuziehen und gigantische Mengen elektronischer Daten sichten – E-Mails, Chatnachrichten, Verläufe von Internetbesuchen.
Wie sieht es bei den Ermittlungen für die Zukunft aus? Von Januar bis Oktober legten Staatsanwaltschaften aus BadenWürttemberg 348 Fälle beim GBA vor, fast dreimal so viele wie 2016. Justizminister Guido Wolf (CDU) will die Entwicklung genau beobachten. Noch könne die Justiz die Verfahren bewältigen. „Derzeit ist das OLG im Bereich Staatsschutz noch gut ausgestattet. Das sieht bei den Strafkammern der Landgerichte, die in Stuttgart und Karlsruhe teilweise auch für Staatsschutzverfahren zuständig sind, schon anders aus. Die Zahlen der Verfahren beim Generalbundesanwalt und bei der Generalstaatsanwaltschaft in Stuttgart verheißen aber nichts Gutes – wenn diese weiter zunehmen, stoßen auch wir rasch an Grenzen“, sagt Cornelia Horz, Präsidentin des OLG Stuttgart.