Mama ist noch immer dabei
50 Jahre nach dem ersten Erfolg singt Ex-Kinderstar Heintje im Duett mit sich selbst
Ach, Sie sind Stones-Fan? Mag wohl sein, aber dieses Bübchen kennen Sie trotzdem: Heintje, den ShootingStar der Herzen und Hitparaden von 1967/68, mit seiner „Mama“. Wetten, dass Sie sogar wissen, wie der Text geht? Na? Genau! „Mama, du wirst doch nicht um deinen Jungen weinen! Mama, bald wird das Schicksal wieder uns vereinen.“Merkwürdige Satzstellung, ich weiß, aber diese holprige Schnulze hat sich nun mal in unser Gedächtnis gebohrt. Und jetzt, 50 Jahre nach der ersten Aufnahme, wird nochmal nachgelegt, weil der inzwischen 62-jährige Hein Simons im Duett mit sich selbst singt: „Mama“und so weiter.
Dabei hat das Leben ihm in den letzten Jahren einiges an, um im Schlagertext zu bleiben, Kummer und Schmerz gebracht. Seine Ehefrau Doris, Mama seiner drei Kinder, ließ sich nach 33 Jahren scheiden, und wegen einer Herzschwäche musste dem armen Mann ein Defibrillator implantiert werden. Die Klatschblätter waren sehr besorgt. Aber jetzt sieht Hein Simons wirklich wieder besser aus und präsentiert mit sympathischer Zuversicht ein Album, wie es die Welt noch nicht gehört und gesehen hat: „Heintje und Ich“. Dank digitaler Tricks legt Hein da auf dem Cover die Hände wie ein Vater auf die Schultern seines eigenen Kinderbildes, und in den Videos sieht man Groß-Hein und Klein-Heintje im Auto, im Wald und im Pferdestall gemeinsam trällern. Die treuen Fans sind zu Tränen gerührt. Denn die wahre, noch rüstige Mama von Heintje ist auch dabei: Man sieht sie im Jahr 1967 am Meer mit ihrer schicken Hochsteckfrisur und kürzlich am Kaffeetisch beim alten Jungchen zu Hause.
„Mama, das Kind, das ich einmal war, fühlt sich dir heute noch nah“, singt der Mann mit seinem warmen Timbre. Die Stimme ist angenehm – doch nicht zu vergleichen mit dem volltönenden Sopran des niederländischen, in Kerkrade geborenen Knaben, der vor fünf Jahrzehnten eine rasante Karriere machte. Heintje war keineswegs ein Kind des Showgeschäfts. Sein Vater arbeitete als Bergarbeiter, und die Mutter verdiente dazu mit einer kleinen Gastwirtschaft, wo eine Musikbox stand. Da sang der Kleine gern mal mit und übertönte sogar den Jungsänger Robertino Loreti und dessen 1961 produzierten Italo-Schlager über „la Mamma“. Das fand ein Freund des Vaters so beeindruckend, dass er für Heintje die Teilnahme an einem Gesangswettbewerb organisierte.
Der Elfjährige singt „Mama“in holländischer Version und gewinnt. Ein Jurymitglied gibt dem Produzenten und Agenten Addy Kleijngeld einen Tipp, und Talentsucher Addy fährt mit seinem Akkordeon zur Gaststätte Simons. Wie die HeintjeWebseite erzählt, spielt Heintje gerade Fußball auf der Straße. Die Mutter ruft ihn herein, um den „Herrn von der Schallplattenfirma“zu begrüßen. Bereitwillig schmettert der Junge eine Strophe „O sole mio“. Addy sagt: „Ich habe genug gehört“, die Dinge nehmen ihren Lauf. Fortan holt Kleijngeld den Knaben jede Wo- che zum Üben zu sich nach Hause und verspricht ihm ein Pony, wenn er sein Bestes gibt. Noch im selben Jahr wird in Amsterdam die erste Schallplatte aufgenommen – auf Niederländisch: „Dit is Heintje“.
Im Herbst 1967 singt Heintje die „Mama“im deutschen Fernsehen – auf Deutsch. Und Muttis, die nicht viel von dieser furchtbar modernen Beatmusik halten, sind hingerissen. Der „Lausbub mit Stimme“ist nicht mehr zu überhören. Ausgerechnet 1968, in dem Jahr, das als Inbegriff des gesellschaftlichen Umbruchs gilt, ist „Mama“die meistverkaufte Single in Deutschland. Heintje, ein artig gekämmter Bengel wie aus dem Heimatfilm der 1950er-Jahre, besingt die heile Familienwelt, auch „Oma, so lieb“kommt hinzu. Das wird offenbar zum Ausgleich für den wilden Zeitgeist dringend gebraucht. Im Film mit Peter Alexander Die Erfolge des nun zwölfjährigen Heintje sind spektakulär: In den paar Jahren seiner Karriere wird Heintje mit 40 Goldenen Schallplatten, einer Platinschallplatte und etlichen anderen Preisen wie zwei Goldenen Löwen, einer Goldenen Europa und einem Bambi ausgezeichnet. Ganz nebenbei entstehen einige launige Spielfilme, die sich großer Beliebtheit erfreuen, zumal Show-Profi Peter Alexander für „Die Lümmel von der ersten Bank“einen Aushilfslehrer spielt, der in Wirklichkeit ein Fernsehreporter ist. Macht nichts, dass Laiendarsteller Heintje eher etwas steif daherkommt. Sobald er anhebt zu singen, schmelzen alle Bedenken dahin. Deshalb dreht man mit Heintje 1969 zwischen zwei „Lümmel“-Komödien auch noch „Ein Herz geht auf Reisen“, ein Drama um einen Waisenknaben, der aus dem Heim davonläuft, gemeine Gangster besiegt und am Ende ein neues Mütterlein bekommt, nicht ohne allerlei Bewegendes zu singen, von „Der Mond ist aufgegangen“bis „Heidschi Bumbeidschi“. Stimmbruch mit 16 Jahren Die weiblichen Zuschauer sind beglückt, auch im Ausland. Heintje wird in England und Amerika vorgezeigt und schmettert dort „I’m your little boy“. Ja, noch ist er in der Tat ein relativ kleiner Junge, der zu Hause bei den Eltern lebt und seine Millionen nicht verprasst, sondern Taschengeld bekommt. Die Manager geben Gas, sie ahnen schon das Ende einer fruchtbaren Beziehung. Jedem Sängerknaben droht nun mal der Stimmbruch. Zum Glück für alle Beteiligten klingt Heintje auch mit 15 noch glockenklar, wenn es heißt: „Ich sing ein Lied für dich“. Ein halbes Jahr nach seinem 16. Geburtstag ist es vorbei, die Stimme kickt ins Tiefere. Man verordnet ihm eine Zwangspause von anderthalb Jahren und versucht dann ein Comeback.
Der 18-jährige Heintje, hübsch und schlank, zeigt in „Peter Alexanders Wunschkonzert“, dass er zum erwachsenen Schlagersänger taugt: „Es wird ganz ohne Mama gehen“, singt er keck im lustigen Duett mit seinem väterlichen Freund Alexander. Aber das wollen seine deutschen Fans nicht so gern hören. Der Jüngling tourt in den 1970er-Jahren durch Indonesien und Südafrika, wo er für das Buren-Publikum auf Afrikaans singt – „van liefde en verlange“, von Liebe und Verlangen.
Weil er aber durchaus bodenständig geblieben ist, kauft Heintje 1975 einen Reiterhof im belgischen Moresnet, wo er bis heute lebt. 1981 heiratet er seine Doris. Das Paar bekommt die Kinder Pascal (1982), Gina (1989) und Hendrik (1992). Zwischendurch versucht Heintje es immer wieder mit dem deutschen Schlager, veröffentlicht 1989 im Jahr des Mauerfalls die „Herzensmelodie“und wagt 1998 als 43-Jähriger ein Duett mit seiner Tochter Gina: „Ein bisschen Sonnenschein“.
Gina hat ihn mittlerweile zum Großvater gemacht. Und er nennt sich schon lange nicht mehr Heintje. Sein neuer Manager Walter Strom hat ihm 2007 geraten, doch endlich als reifer Hein Simons aufzutreten. Er tourt durch Belgien und die Niederlande, gastiert sogar in China und verkauft an treue deutsche Fans neue Platten wie „Träum mit mir“oder „Alles halb so schlimm“. Ziemlich schlimm sind dann doch seine Scheidung und die gesundheitlichen Probleme. Jetzt, 50 Jahre nach der Entdeckung, will er es noch einmal wissen und konstruiert das große Duett mit sich selbst. Zuerst, verrät er auf Facebook, sei er sich selbst „ein bisschen fremd“gewesen, „aber nach dem zweiten, dritten Lied hatten der Heintje und ich uns so richtig lieb“. Und die alte Mutter ist auch noch dabei. Da kann ja nichts schiefgehen, oder, Mama? Das Album „Heintje und ich“von Hein Simons ist am 1. Dezember erschienen. Audio-CD ab 15,99 Euro, DVD ab 16,99 Euro. Ebenfalls neu erhältlich ist die deutsche Übersetzung der von Jan Adriaan Zwarteveen verfassten Biografie: „Ich war Heintje“. Giger Verlag, 21,90 Euro. www.heinsimons.com