Wie viel Moral kann man sich leisten?
Die Forderung nach Solidarität unter den Vereinen gegen streikende Profis wird lauter
MÜNCHEN (dpa/SID) - Kurz vor dem Schlussverkauf auf dem Transfermarkt beschäftigt den deutschen Fußball eine Debatte um einen Werteverfall unter den hoch bezahlten Profis. Branchengrößen wie Jupp Heynckes, Niko Kovac und Matthias Sammer machen sich auch mit Blick auf das Theater um Borussia Dortmunds Top-Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang für eine Charakterprüfung und Moralklauseln in Verträgen stark. „Das ist aktuell überhaupt nicht mehr kontrollierbar. Wir haben eine Situation, die die Vereine überrennt“, sagte der frühere Nationalspieler und Bayern-Sportchef Sammer in einem Eurosport-Interview. Nach Bayerns Coach Jupp Heynckes hat auch Sammer die Fußball-Branche zur Solidarität im scheinbar aussichtslosen Kampf gegen streikende Profis aufgerufen – an einem tatsächlichen Gentlemen's Agreement zweifelt aber auch er. „Die letzte Konsequenz ist der Teufel“, sagt Sammer, „und das ist das Geld.“ „Das ist ungesund“Wenn das große Geld für Spieler und Berater lockt, ist meist das erste Opfer die Moral. Die deutlich gestiegenen Einnahmen, vor allem bei den TV-Rechten, würden sich plötzlich als „kontraproduktiv zur Moral des Arbeitgebers“erweisen, sagte Sammer: „Das ist ungesund.“Auch Heynckes sieht bedenkliche Tendenzen. „Das hat es immer gegeben, aber im Moment ist die Dimension eine ganz andere“, sagte er, „ich finde, die aufnehmenden Vereine sollten darüber nachdenken, ob sie solche Spieler verpflichten. Ich würde das ablehnen.“Diese Position vertritt auch Sammer. „Dieser sogenannte „faule Apfel“, der bei einem Verein faul war, aber sich bei seinem Verein plötzlich in voller Blüte und Schönheit präsentiert – das ist eine Mär“. Unterstützung gab es von Frankfurts Coach Niko Kovac. „So etwas kann man nicht gutheißen. Wo endet das denn? In Anarchie!“, vertraute der Frankfurter Coach dem „Kicker“an.
Vor Aubameyang hatten sich schon seine ehemaligen Teamkollegen Ousmane Dembélé (FC Barcelona) und Henrich Mchitarjan (Manchester United) erfolgreich zu neuen Clubs gestreikt. Auch der frühere Kölner Anthony Modeste und der Ex-Liverpooler Philippe Coutinho hatten mit Fehlverhalten ihre lukrativen Wechsel forciert. Eine beliebte Masche ist ein „Ich-will-hier-weg“Interview wie das von Julian Draxler vor seinem Wechsel vom VfL Wolfsburg zu Paris St. Germain.
Doch die Vereine scheinen am kürzeren Hebel zu sitzen, Langzeitverträge hin oder her. Sie machen sich erpressbar – und das nutzen vor allem Spielerberater gnadenlos aus. „Man kann – übertrieben gesagt – gleichzeitig Auftragskiller und Spielerberater sein“, sagte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin.
Laut Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV, wird hier aber der Bock zum Gärtner gemacht. Es sei „ungerecht, den Spielern einseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben“, sagte Baranowsky, „denn ihr Verhalten wird stark beeinflusst von den wirtschaftlichen Eigeninteressen von Vermittlern, Managern und Clubs.“Die geringe Zahl der streikenden Profis stehe „in keinem Verhältnis zu den arbeitsrechtlichen Verfehlungen, die die Clubs in der Vergangenheit begangen haben.“
Eine Solidarität im Geschäft Profifußball scheint auch deshalb illusorisch, weil der globale Transfermarkt eine globale Lösung erfordert. Zudem kann es sich kaum ein Club finanziell leisten, einen streikenden Spieler für lange Zeit auf die Tribüne zu setzen. Eine solche Art der Kapitalvernichtung kann sich in der Bundesliga wohl nur Bayern München erlauben. Doch beim Rekordmeister würde Aubameyang ein solches Spielchen wohl nicht spielen, glaubt Sammer. „Das würde sich die Vereinsführung des FC Bayern nicht gefallen lassen“, so der Ex-Bayern-Sportdirektor: „Die würden rigoros durchgreifen und hätten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke die Möglichkeit zu sagen: Auch wenn hier Geld kaputt geht, die Moral ist größer!“