Tod eines Visionärs
Zum Tod des Ikea-Gründers Ingvar Kamprad, der den Sehnsuchtsort vieler deutscher Wohnträume erschuf und am Samstag gestorben ist
Ikea-Gründer Ingvar Kamprad mit 91 Jahren gestorben
D ie Idee hinter dem Vermögen eines der reichsten Männer der Welt ist ebenso simpel wie erfolgreich: Anstatt Möbel am Stück zu verkaufen – wie vor der Ikea-Zeitrechnung Mitte der 50erJahre üblich – den Kunden Stühle, Tische oder Schränke einfach selbst zusammenbauen lassen. Und damit ganz nebenbei die traditionelle Möbelbranche komplett aus den Angeln zu heben. Weil es natürlich erheblich billiger ist, einen Haufen Bretter mitsamt einem Sack Schrauben zu verkaufen, anstelle eines fertigen Produkts, in dem viel teure menschliche Arbeit für die Endmontage steckt. Dass gerade der Umstand, die günstigen Bausätze mit eigener Hände Arbeit zu einem fertigen Möbel zusammenfügen zu müssen, den immensen Erfolg ausmacht, ist umso erstaunlicher, als dass am Zusammenbau eine unbekannte Zahl von Menschen grandios gescheitert ist. Insbesondere Männer, die von Anleitungen oft wenig halten und nicht selten der Meinung sind, der Blick in die bisweilen 20-seitigen Fertigungsanweisungen lohne sich nicht. Einer der Reichsten der Welt Den märchenhaften Aufstieg Ingvar Kamprads hat das allerdings nicht aufhalten können – am Samstag ist der Ikea-Gründer im Alter von 91 Jahren in seinem Haus in der schwedischen Provinz Småland gestorben. Und zwar als Besitzer eines der größten Familienvermögen dieser Erde, es wird auf etwa 40 Milliarden Euro geschätzt. Doch bis es soweit war, dass annähernd jeder deutsche Haushalt mindestens ein Selbstbaustück von Ikea wie etwa das berühmte Billy-Regal oder einen Pax-Kleiderschrank sein Eigen nannte, war es ein abenteuerlicher Weg, der seinen Anfang in der Geburt Ingvar Feodor Kamprads am 30. März 1926 in Elmtaryd bei Agunnaryd in Schweden nahm.
Schon als Siebenjähriger beweist er kaufmännisches Geschick: Mit dem Rad fährt er nach Stockholm und kauft Streichhölzer, weil die dort billiger sind. Zuhause verkauft er sie mit Gewinn an seine Nachbarn. 1943, mit gerade einmal 17 Jahren, gründet Kamprad Ikea. Das I und das K stehen für seine Initialen, E und A für den Bauernhof Elmtaryd bei Agunnaryd, wo er aufgewachsen ist. Sein Angebot: Stifte, Portemonnaies, Bilderrahmen, Tischläufer, Uhren, Schmuck und Nylonstrumpfhosen. Erst 1947 kommen Möbel hinzu, die Handwerker vor Ort für ihn herstellen. Doch bis zur Eröffnung des ersten Einrichtungshauses vergehen noch einmal fast zehn Jahre.
Im Visier hat Kamprad schon damals den kleinen Mann mit schmalem Geldbeutel, denn er ist selbst unter einfachen Leuten im ländlichen Småland aufgewachsen. „Ich sah die armen Landarbeiter, die nicht im Haus, sondern im Stall essen mussten“, erzählt er im Mai 2014, als er von den Lesern des „Svenska Dagbladet“zum „Besten schwedischen Unternehmer aller Zeiten“gekürt wird. Damals habe er sich eines gemerkt: „Wenn ich jemals mit meinen småländischen Ideen Erfolg haben (…) will, darf ich nie die anderen armen Menschen vergessen.“ Steuervermeidung in der Kritik Seine Möbel, die in handliche Pakete verstaut werden können, erobern die Wohnzimmer der Skandinavier und dann die der ganzen Welt. In über 40 Ländern kann man inzwischen Billy-Regale und den Wippstuhl Poäng kaufen, über 160 000 Menschen arbeiten für die Möbelhauskette. Ausgeruht hat sich Kamprad nie auf dem Erfolg. „Mich zu setzen und zu sagen: ,Ich bin gut’, wäre eine Katastrophe für mich“, sagt er im hohen Alter.
Das schwedische Design setzt Trends, auch wenn Ikea längst nicht mehr schwedisch ist, sondern vielmehr ein internationales Geflecht aus diversen Firmen.
Über Kamprad kursieren unzählige Geschichten, die sich gerne um die Sparsamkeit des Multimilliardärs drehen. So soll er bei seinen meist unangemeldeten Besuchen in seinen eigenen Möbelhäusern – unscheinbar und mit abgewetzter Kleidung – mit geradezu pedantischer Penetranz nach möglichen Quellen der Verschwendung gefahndet haben, um diese abzustellen. Zum Thema Sparsamkeit sagt er: „Es ist nicht wichtig, was einer einnimmt oder verdient. Die Hauptsache ist, was einer ausgibt. Du kannst reich werden, obwohl du arm bist. Du darfst bloß nichts unnötig ausgeben.“Kamprad lebt nicht
„Die Hauptsache ist, was einer ausgibt. Du kannst reich werden, obwohl du arm bist. Du darfst bloß nichts unnötig ausgeben.“
zuletzt wegen der günstigen Steuerkonditionen 37 Jahre sehr zurückgezogen in der Schweiz. Im Jahr 2014 zieht er nach dem Tod seiner Frau Margaret zurück nach Schweden und verkauft sein Haus in Epalinges im Kanton Waadt. Um Steuern zu sparen, wandelt Kamprad seine Firma bereits 1982 in eine Stiftung mit Sitz in den Niederlanden um. Der Konzern spaltet sich inzwischen in viele Firmen auf, die in Liechtenstein, Luxemburg, Schweden und den Niederlanden registriert sind. Seine aggressive Sparsamkeit in Sachen Steuervermeidung hat ihm viel Kritik eingebracht. Frei nach dem Motto „Zahlst du noch, oder vermeidest du schon?“ist der Konzern immer wieder in den Schlagzeilen. Zuletzt hat die Europäische Union die Steuervermeidungs-Praktiken des Unternehmens
Philosophie des Ikea-Gründers Ingvar Kamprad
unter die Lupe genommen. Die EU untersucht derzeit unter anderem Steuerabkommen, die Regierungen mit Ikea geschlossen haben, auf eventuelle illegale Staatshilfe. Schatten der Vergangenheit Die steile Karriere von Kamprad ist neben seiner zeitweiligen Alkoholsucht, gegen die er zeitlebens ankämpft, von einer Nazi-Affäre überschattet. 1994 bekennt Kamprad in einem offenen Brief, dass er als Jugendlicher mit nationalsozialistischen Ideen sympathisiert hat: „Ich war ein Nazi“– und als solcher sogar Mitglied in einer Nachfolgepartei des Schwedischen Ablegers der NSDAP. Diese Phase seiner Biographie bezeichnet Kamprad später in einem seiner außerdordentlich raren Interviews als „den größten Fehler“seines Lebens und distanziert sich von jedweder nationalistischen Gesinnung.
Warum insbesondere deutsche Konsumenten dem nordischen Charme sowie den schwedischen Fleischbällchen Köttbullar der Möbelhauskette erlegen sind, war schon Gegenstand soziologischer Studien. Denn während der Erfolg in Nordamerika mit 54 Ikea-Einrichtungshäusern stets begrenzt blieb, sind es in Europa über 270 mit weiter wachsender Tendenz. Neben dem Standort Ulm, der bereits seit 2003 besteht, soll noch in diesem Jahr Baubeginn eines Ikea-Möbelhauses in Memmingen sein, das sich gegen einen möglichen Standort in Ravensburg durchgesetzt hat, an dem lediglich eine Bestell- und Abholstation existiert.
Am Sonntag teilte der Ikea Konzern per Kurzmitteilungsdienst Twitter mit, dass der 91-Jährige in seiner Heimat nach kurzer Krankheit „friedlich eingeschlafen“ist. Seine drei Söhne, die ab 2010 die Führung des Konzerns nach und nach übernommen hatten, lenken die Geschäfte noch immer von der Schweiz aus.
So schnell wird sein Andenken sicher nicht vergehen, hat sich Ingvar Kamprad doch selbst mit seinen Produkten in nahezu jedem deutschen Haushalt ein oft mühsam zusammengeschraubtes Denkmal gesetzt.