„Von niemandem vereinnahmen lassen“
Thomas Kästle ist 80 – Leitlinie des Ehrenringträgers: „Mitmachen bei der Demokratie“
SPAICHINGEN - Mit Thomas Kästle anlässlich seines 80. Geburtstags am 25. Januar zu reden und seine Biografie in Stichworten zu betrachten, löst gegensätzliche Eindrücke aus. Der eine: Da ist ein hoch respektierter Mann – Bundesverdienstkreuz am Bande, Ehrenring der Stadt Spaichingen –, der Bankvorstand war und der seit 1971 bis 2004 die Freien Wähler in Spaichingen wie kaum jemand anders geprägt hat – jahrzehntelanger Stadtrat, Fraktionsvorsitzender, Kreisrat, Stadtverbandsvorsitzender. Und dann ist da der Mann, der kein Wort zu viel sagt. Aber die, die er sagt, sitzen.
Und der macht: In Vereinen, in seinem Jahrgang, im persönlichen Umfeld, nicht mehr in der Politik. Der dabei lacht und sich immer schon an die berühmte Geschichte des legendären Papst Johannes XXIII halten will, als dieser geplagt von Sorgen über die große Verantwortung nachts den göttlichen Satz geträumt hat: „Johannes, nimm dich nicht so wichtig.“ Im Vorstand der Bürgerstiftung Wenn er von seinem Leben, seinen Anliegen spricht, erzählt er nicht von den Ehrungen oder den Positionen die er hatte. Dabei waren die Freien Wähler lange Zeit das wichtige Gegengewicht zur allmächtigen CDU und hatten es also solche nicht leicht. So sieht es Thomas Kästle aber nicht. Es seien positive Auseinandersetzungen gewesen. Miteinander das Beste für die Stadt herauszuholen sei das Ziel gewesen. „Erfolg ist, wenn man miteinander schafft. Im Streit muss Respekt und Achtung mitschwingen.“
Dass dem wirklich so war, das zeige, wie gut heute der Vorstand der Bürgerstiftung zusammenarbeite mit dem CDU-Granden Franz Schuhmacher und Regina Wenzler, frühere CDU-Stadträtin und eben ihm, DEM Freien Wähler in Spaichingen. Wenn Kästle über die heutige Stadtpolitik spricht, ist die Sorge spürbar, dass eben genau diese Umgangsregeln nicht mehr tragen. Mit dem heutigen Stadtverband und der Fraktion gebe es keine Kontakte wegen Meinungsverschiedenheiten.
Thomas Kästle ist ein Freigeist. „Ich habe mich von niemandem vereinnahmen lassen“, sagt er und: „Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was ich denken soll“. Man habe ihm nach seinem Einzug in den Spaichinger Gemeinderat prophezeit: „Du wirst nicht lange bei den Freien Wählern bleiben. Du kannst es dir als Bankvorstand nicht leisten, nicht in der CDU zu sein.“Doch in eine Partei habe er nie gewollt. Und die Prophezeiung ging auch nicht in Erfüllung. Kriegszeit prägt bis heute Der Krieg und die Nachkriegszeit prägten ihn, so sagt er, auch politisch. Die Situation, die dazu geführt hat, dass das Naziregime entstehen und einen solchen Krieg entfesseln konnte. Er sah die KZ-Häftlinge ausgemergelt vor dem Haus Richtung Lehmgrube ziehen, erlebte als kleines Kind, wie der Vater 1943 nach einem Urlaub zum letzten Mal zum Bahnhof gebracht wurde und wenige Monate später in Russland an Fleckfieber starb. Verscharrt wurde und nur ein Foto mit einem Kreuz übrig geblieben ist. Er erlebte, wie das Nachbarhaus zerbombt wurde und drei Nachbarn dabei starben. Sechs Söhne verlor die Böttinger Familie Kästle: drei im ersten und drei im zweiten Weltkrieg. Das kann man eigentlich nicht aushalten. Beim Sohn und Neffen löste es eines aus: „Mitmachen wollen bei der Demokratie.“Gerade jetzt sei das wichtig: „Es gibt wieder schlimme Rattenfänger.“
Vater und Mutter waren 1937 von Böttingen nach Spaichingen gezogen und Sohn Thomas an der ersten Anschrift, in der „Adolf-Hitler-Straße“, geboren. Ausgerechnet. Heute heißt sie wieder Gartenstraße.
Der Privatmann Thomas Kästle übernimmt auch im Privatleben Verantwortung. Etwa im Jahrgang, wo er seit vielen Jahren Vorstand ist. Der Jahrgang ist außerhalb der Familie sein wichtigster privater Bezugspunkt sagt er. Dass er so fit ist – geistig und körperlich glaubt man ihm die 80 Jahre fast nicht –liegt auch am Sport: Handball (auch hier natürlich im Verlauf seines Lebens in Vereinsfunktion), Schwimmen (DLRG), er hat lange Tischtennis gespielt und pflegt den Garten. „Wer rastet, der rostet“, sagt er und lacht.
Mit seiner Frau Sieglinde hat Thomas Kästle zwei Söhne und zwei Töchter. Außerdem gibt es sechs Enkel, die sehr wichtig sind für den Opa und anders herum. Und von denen der inzwischen das „Whatsappen“gelernt hat.
Und lesen? „Ich bin interessiert an allem, insbesondere an Biografien von berühmten Leuten.“Und natürlich die Zeitung. Dazu gehört neben dem Heuberger Boten auch „Die Zeit“. Ob er etwas in seinem Leben bereut? Vielleicht hätte er Abi machen können, wenn sein Vater nicht gestorben wäre, aber er habe auch so gute berufliche Erfolge gehabt, so Kästle. „Ich bin mit meinem Leben zufrieden.“ Die Stadt richtet einen Sektempfang vor der nächsten Gemeinderatssitzung am 5. März um 17 Uhr für Thomas Kästle im Sitzungssaal des Rathauses aus.