Auf der Himmelsleiter in die Zukunft
München präsentiert Paul Klee in der Pinakothek der Moderne
MÜNCHEN - Paul Klee, ein weltvergessener Träumer? Alles Klischee, der Maler stand durchaus im Leben – das zeigt jetzt eine grandiose Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München.
Nichts sehen, nichts hören und am besten nichts sagen: Wer an die ständigen Querelen am Bauhaus denkt, dem könnte bei Paul Klees (1879-1940) Selbstporträt mit geschlossenen Augen und ohne Ohren durchaus das von drei Affen verkörperte Sprichwort aus dem fernen Osten einfallen. Zur Zeit der Entstehung 1919 war der Schweizer Maler mit deutschem Pass aber noch in München und hatte endlich ein eigenes Atelier in Schwabing bezogen.
Dennoch wurde es turbulent für ihn. Denn Klee, der dem Aktionsausschuss revolutionärer Künstler beigetreten war, musste nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik in die Schweiz fliehen. Überhaupt verlor die Kunststadt mehr und mehr an Bedeutung, nicht zuletzt auch weil Kollegen wie August Macke oder Franz Marc vom Blauen Reiter gefallen waren.
Leihgaben aus aller Welt Ende 1920 wird Klee ans Bauhaus nach Weimar berufen, sein Galerist Hans Goltz bereitet ihm gleich noch eine fulminante Abschiedsausstellung. Doch das alles will nicht so recht zum weltvergessenen Träumer und in sich versunkenen StaffeleiGrübler passen, zu dem sich Klee immer wieder stilisiert. Wenn’s drauf ankam, stand der Mann mit den zusammengekniffenen Augen, sehr wohl im Leben. Auch das vermittelt die erste umfassende Münchner Klee-Schau der Pinakothek der Moderne mit ihren 150 Gemälden und Papierarbeiten. Manches aus den USA oder Japan war zum Teil viele Jahrzehnte nicht mehr in Deutschland zu sehen. Nimmt man die 40 Landschaften im kooperierenden Franz Marc Museum in Kochel hinzu, tut sich jetzt ein besonders tiefreichender, vielgestaltiger Klee-Kosmos auf, der genauso für Besucher der nur wenige Wochen zurückliegenden Schau in der Fondation Beyeler neue spannende Aspekte liefert.
Im Münchner Fokus stehen die Jahre am Bauhaus, diesem einzigartigen Labor künstlerischer Experimente, das dem klassischen Tafelmaler einiges abverlangt. Zumal in Weimar und später Dessau die neuen Medien wie Fotografie und Film angesagt sind, und Design gefördert wird. Rationalisierung und Funktionalisierung lauten die Zauberworte, die Ausrichtung auf Industrie- und Massenproduktion wird von den Direktoren Walter Gropius und dann vor allem Hannes Meyer – beide Architekten – forciert. Überspitzt gesagt, hätte man die freie Malerei am liebsten abgeschafft.
Das aber scheint Klee gerade angestachelt zu haben, seinen Weg in der Tradition des denkenden Künstlers von da Vinci oder Dürer bis hin zum Romantiker Philipp Otto Runge zu gehen und sich dabei trotzdem und ganz selbstverständlich mit den Herausforderungen einer zunehmend technisierten Welt zu beschäftigen. Der stille Maler, der allenfalls mit seiner Geige laut wird, schwingt keine großen Reden, wie das viele der streitfreudigen Bauhäusler tun, er formuliert zurückhaltend und beeindruckt durch seinen Unterricht.
Was bei ihm mehr oder weniger rätselhaft daherkommt und selten konkret verortet werden kann, ist freilich minutiös ausgetüftelt. Den Ausstellungstitel „Konstruktion des Geheimnisses“nennt er 1928 selbst im Bauhaus-Magazin. Und wenn damals die Geometrie an Bedeutung gewinnt, geht auch Klee ein Stück weit mit, indem er verstärkt schwerelos erscheinende geometrische Figuren in seine Werke einbaut. Dafür wird dann aber der unbegrenzt wirkende Hintergrund zum Mysterium. Der Traum vom Flug durchs Weltall ist hier für einen farbleuchtenden Moment im Dunkeln sichtbar geworden („Raumfahrt“, 1929).
Eine Moderne mit Poesie Natürlich hat Klee lange schon Themen wie das Streben nach Erkenntnis und Höhe aufgegriffen. Doch er transformiert Aufstieg und Fall in seine eigene Zeichenwelt: Während die Fortschrittsgläubigen aufs Flugzeug setzen und an den ersten Raketen basteln, bäumen sich bei ihm märchenhafte Türme auf, kraxeln Strichmännchen fragile Himmelsleitern hinauf („Koloss im Bau“, 1919) und tanzen Sterne und Mondsicheln weit oben „über Bergeshöhen“(1917). Klees Moderne hat Poesie. Wobei der Absturz nicht lange auf sich warten lässt und am Ende, da kann sich der an Sklerodermie erkrankte Maler schon kaum mehr rühren, mit einiger Ironie auf dem Blatt „leider eher abwärts“(1939) kommentiert wird.
Zu dieser Zeit hat er sich längst befreit von allen Zwängen. Die Bauhaus-Stelle gab er zehn Jahre zuvor, 1930, auf, weil die Spannungen kaum noch auszuhalten waren – nicht einmal mit seinem Sinn für Ironie und der Fähigkeit, gelassen auf „brandaktuelle“Strömungen zu blicken. Etwas von dieser interessierten Distanz würde uns heute, im völlig aus den Fugen geratenen Digitalwahn, guttun. Auch solche Bezüge ergeben sich in dem von Oliver Kase so überzeugend konzipierten Klee-Kaleidoskop.
„Konstruktion des Geheimnisses“, bis 10. Juni, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer). 39,90 Euro