Orbans Triumph spaltet EU
Glückwünsche und Mahnungen für Ungarns Wahlsieger
BUDAPEST (AFP/dpa) - Der klare Wahlsieg des nationalistischen Regierungschefs Viktor Orbán in Ungarn ist in Europa auf ein geteiltes Echo gestoßen. Die obligatorischen Glückwünsche, etwa aus Brüssel von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker oder aus Berlin von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), wurden am Montag von Ermahnungen abgeschwächt. Bei Rechtspopulisten und Rechtskonservativen löste Orbáns Erfolg dagegen Begeisterung aus. Die regierende Fidesz-Partei war bei der Parlamentswahl am Sonntag mit rund 49 Prozent mit großem Abstand stärkste Kraft vor der rechtsextremen Partei Jobbik (19,6 Prozent) geworden. Orbán kann damit bei seiner dritten Amtszeit in Folge voraussichtlich wieder auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit bauen, die Verfassungsänderungen ermöglicht. Der 54-jährige Regierungschef sprach von einem „historischen Sieg“.
BUDAPEST - Viktor Orbán im Siegestaumel, die Opposition im Schock: Nach der Parlamentswahl am Sonntag kann sich Ungarns nationalistischer Premier als Alleinherrscher bestätigt fühlen.
Schon am ersten Tag nach der Wahl machte Premier Viktor Orbán klar, dass er von seinem bisherigen Kurs nicht abrücken werde. Bereits im Mai werde das neue Parlament das geplante, verschärfte NGO-Gesetz beschließen, kündigte sein Fraktionssprecher an. Es zielt vor allem auf die Stiftung des US-Milliardärs Georges Soros und das Helsiniki-Komitee: Demnach müssen Flüchtlingshelfer beim Innenministerium um eine Lizenz ansuchen sowie ihre Finanzierung offenlegen; andernfalls machen sie sich künftig strafbar und es droht die Schließung.
Orbán fühlt sich durch den Wahlsieg bestätigt. Die Meinungsinstitute lagen selbst für ungarische Verhältnisse weit daneben. So erstreckte sich die Bandbreite der Prognosen für Orbáns nationalpopulistische Partei Fidesz von 32 bis 53 Prozent der Stimmen. Auch die rekordverdächtige Beteiligung von fast 70 Prozent der Wahlberechtigten hat Meinungsforscher und mit ihnen viele Journalisten überrascht. Konkrete Zahlen ab Mitternacht Zu Fehlschlüssen wie einem „Aufstand der Orbán-Gegner“– so der Titel in der Montagsausgabe der „Schwäbischen Zeitung“– kam es vor allem, weil sämtliche Analysen eine mögliche höhere Wahlbeteiligung im Vergleich zu 2014 als Nachteil für Fidesz und als Stärkung der Opposition gedeutet haben. Sogar die absolute Mehrheit für die OrbánPartei schien gefährdet, ganz zu schweigen von der Zweidrittelmehrheit. Verstärkt wurde die Erwartung eines Wandels durch Fernsehbilder von Menschenschlangen vor Wahllokalen; in der Hauptstadt Budapest musste der Wahlschluss um mehrere Stunden verschoben werden, damit möglichst alle ihre Stimmen abgeben konnten.
Erste konkrete Zahlen lagen am Sonntag gegen Mitternacht vor. Diese belegten: All die zusätzlichen Wähler sind für Orbán an die Urnen gegangen. Die Opposition liegt, mit Ausnahme leichter Gewinne von Kleinparteien, am Boden. „Ungarn hat heute einen großen Sieg errungen“, triumphierte Orbán noch in der Wahlnacht vor jubelnden Anhängern in Budapest. Mobilisierungsmotor war allein seine Botschaft: Ich oder das Migrantenchaos. Orbán sprach von einer „Schicksalswahl“um die Zukunft Ungarns.
Die Parolen gegen Flüchtlinge, die EU und die Opposition haben offenbar ihre volle Wirkung entfaltet: Millionen von Ungarn, vor allem auf dem Land, hören seit Jahren nichts anderes als das, was staatlich kontrollierte Medien wie Fernsehen, Radio und regierungsfreundliche Lokalmedien berichten und kommentieren. So haben Fidesz und das christdemokratische Anhängsel KDNP – das nie als eigenständige Partei antritt – deutlich zugelegt, nach noch inoffiziellen Ergebnissen um rund 4,5 auf knapp 49 Prozent. Damit scheint die Zweidrittelmehrheit von 134 der 199 Parlamentssitze zum dritten Mal seit 2010 gesichert. Demnach kann Orbán die Verfassung weiterhin im Alleingang ändern, wenn die noch ausständige Auszählung der Stimmen in Direktwahlkreisen nicht noch eine Mandatsverschiebung ergibt.
Sowohl linke als auch rechte Oppositionsparteien stehen nach dieser Wahl vor einem Scherbenhaufen. Ihre Devise „Orbán muss weg“reichte offenbar nicht, nun müssen sie sich komplett neu aufstellen. In erster Linie die postkommunistische MSZP: Der junge Hoffnungskandidat Gergely Karácsony, Parteichef Gyula Molnár und mit ihm der gesamte Parteivorstand traten noch in der Wahlnacht zurück. Dass die MSZP halbiert aus dieser Wahl hervorging und auf knapp zwölf Prozent abstürzte, liegt wohl nicht an dem Polit-Neuling Karácsony, sondern an erstarrten Strukturen und der tiefen Glaubwürdigkeitskrise, aus der die Sozialdemokraten seit Jahren nicht herausfinden.
Just Ex-Premier Ferenc Gyurcsány, der die MSZP mit seiner berühmten „Lügenrede“vor zwölf Jahren in die Krise gestürzt hatte, schnitt von allen Oppositionspolitikern am besten ab: Seine linke Abspaltung „Demokratische Koalition“(DK) schaffte mit 5,4 Prozent der Stimmen erstmals den Einzug ins Parlament. Gyurcsány hatte im Mai 2006 in einer Rede vor Parteigremien mit zynischer Kälte erläutert, Wähler würden regelmäßig belogen, um Wahlen zu gewinnen. Auch Jobbik-Chef tritt ab Bemerkenswert ist, dass die einst rechtsextreme Jobbik-Partei unter ihren eigenen Erwartungen blieb. Ihr langjähriger Chef Gabor Vona trat ebenfalls zurück, weil er das Ziel, „die Wahlen zu gewinnen und einen Wechsel herbeizuführen“, weit verfehlte. Seine Strategie, der Partei ein gemäßigtes Profil zu geben, um sich von Orbáns radikalnationalistischem Anti-EU-Kurs zu unterscheiden, erwies sich nicht als zielführend. Jobbik hat kaum dazugewonnen. Immerhin ist die Partei mit 20 Prozent der Stimmen nun zweitstärkste Kraft im Parlament.
Den Einzug schaffte auch die nationalliberale Grünpartei LMP mit 6,5 Prozent. Doch jene neuen Kleinparteien, die als Zeichen für eine lebendige Demokratie galten, zerschellten an der Parlamentsschwelle, allen voran die Jugendbewegung Momentum, die bei 2,6 Prozent der Stimmen blieb. Dabei hatten der junge Anführer András Fekete-Györ und seine Freunde Anfang 2017 noch über Orbán triumphiert, als sie die Olympia-Bewerbung für 2024 per Unterschriftensammlung zu Fall brachten.