Ost-West-Konflikt um Serbien
Das Land ist zerrissen zwischen Russland und der Europäischen Union
BELGRAD - Und schon wieder wird auf dem Balkan gekämpft. Dieses Mal nicht mit Waffen, sondern mit Geld. Es geht um die Vormacht in Südosteuropa, um politischen Einfluss, um Märkte und um ein friedliches Europa. Im Fokus steht Serbien, der größte und am besten entwickelte jener Balkan-Staaten, die noch nicht in der Europäischen Union sind. Berlin und Brüssel wollen Serbien in der EU, aber auch Länder aus dem Osten zerren an dem Land. Serbien spielt eine Schlüsselrolle für politische Stabilität und Wohlstand in der Region – unter anderem wegen der ungelösten Kosovo-Frage. In der kommenden Woche reist BadenWürttembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf den Westbalkan. Er will den pro-europäischen Kräften in der Region den Rücken stärken.
Seit Jahrhunderten streiten sich Mächte aus Ost und West um den Balkan. Die Grenze zwischen ostund weströmischem Reich verlief hier, später besetzten Österreicher, Ungarn und Osmanen den Balkan. Im Zweiten Weltkrieg kämpften die kroatisch-nationalistische Ustascha mit den Nazis gegen die Serben. Die vielen Grenzverschiebungen und Besatzer schafften eine gefährliche Situation, die schließlich im Zerfall Jugoslawiens mit Kriegen und Völkermord gipfelte.
Heute investieren Saudi-Arabien und die Türkei kräftig in BosnienHerzegowina, die Vereinigten Arabischen Emirate halten 49 Prozent der serbischen Fluggesellschaft Air Serbia, sie stampfen auch das milliardenschwere Nobelviertel „Belgrade on Water“aus dem Boden. China baut die Eisenbahnstrecke BelgradBudapest. Der russische Erdgas-Gigant Gazprom, der den serbischen Ölkonzern NIS Petrol aufgekauft hat, gibt den Kredit dafür. In einem ist man sich in Europa weitgehend einig: Der Weg zu Frieden, Stabilität und Wohlstand für den Balkan kann nur über die Europäische Union führen. Das sieht auch Kretschmann so und führt deshalb eine rund 100-köpfige Delegation nach Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Es geht um politische und wirtschaftliche Beziehungen – aber auch um ein klares Zeichen, dass gerade das wirtschaftsstarke Baden-Württemberg Serbien in der EU haben will. Es ist der zweite Besuch aus dem Land in einem Monat: Vor drei Wochen war Justiz- und Europaminister Guido Wolf (CDU) mit einer Delegation in Belgrad und Novi Sad. Wichtigster Handelspartner Besuche aus Deutschland spielen in den serbischen Medien eine große Rolle, weil Deutschland zusammen mit Italien und Russland wichtigster Handelspartner des Landes ist. 85 Prozent der Direktinvestitionen im Land kommen aus der EU. Baden- württembergische Unternehmen wie Würth oder die Gruner AG aus Wehingen im Landkreis Tuttlingen schaffen Arbeitsplätze. Das hat mit dem niedrigen Lohnniveau zu tun – durchschnittlich 534 Euro im Monat verdienen Serben –, aber auch mit dem guten Bildungsniveau. „Für uns war es kein Problem, die Ingenieure und Akademiker zu finden, die wir brauchen“, sagt Eduard Spreitzer, Vorstandsvorsitzender der Gruner AG. So eindeutig der Wunsch Brüssels und Belgrads ist, Serbien in die europäische Familie aufzunehmen, so zerrissen ist die serbische Bevölkerung in dieser Frage.
Es gibt viele EU-Befürworter, insbesondere in der jüngeren Generation, aber mindestens ebenso viele EU-Skeptiker. Sie fürchten, eine Kolonie Brüssels und Berlins zu werden und fühlen sich Russland, dem großen slawischen Bruder, verbunden. In den immer zahlreicher werdenden Souvenirläden in Belgrad gehen russische Flaggen und Tassen mit Wladimir Putins Konterfei über die Theke. Der christlich-orthodoxe Glaube und die kyrillische Schrift verbinden die Serben mit den Russen. Dass Russland bei den Investitionen in Serbien nicht einmal zu den Top 10 gehört, ändert daran nichts.
Auf politischer Ebene hält Belgrad trotz EU-Ziel an seiner Nähe zu Moskau fest. Serbien schloss Sanktionen gegen Russland als EU-Mitglied aus. Als Montenegro 2017 der Nato beitrat, erklärte Belgrad, dass sich Serbien nicht dem westlichen Militärbündnis anschließen werde. Das Land kauft Panzer und Waffen aus Russland. Mit der Nato üben die Serben aber deutlich öfter als mit den Russen.
Ein emotionales Verhältnis zur EU hingegen findet man in Serbien selten. Die pro-europäische Stimmung ist eher vernunftgelenkt, weil Europa als einzige Option gilt, sagen internationale Beobachter. Bis 2025 könnte Serbien EU-Mitglied sein. Das hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Februar in Aussicht gestellt. Ein System der Abhängigkeit Auf dem Weg dahin ist allerdings noch viel zu tun: Die Organisierte Kriminalität ist mächtig, Antikorruptionsaktivisten stellen Serbien ein schlechtes Zeugnis aus, um die Pressefreiheit ist es nicht zum Besten bestellt. Serbiens stärkste und pro-europäische Partei SNS hat unter Staatspräsident Aleksandar Vucic ein System der Abhängigkeit aufgebaut, in dem ohne Parteizugehörigkeit nichts geht – ob im öffentlichrechtlichen Rundfunk oder im öffentlichen Dienst. Auch die Justiz ist nicht wirklich unabhängig.
Eine weitere Bedingung für einen EU-Beitritt Serbiens ist eine Einigung in der Kosovo-Frage. Serbien erkennt die Unabhängigkeit seiner einstigen Provinz – ebenso wie fünf EU-Staaten – bis heute nicht an. Im heute hauptsächlich von Albanern bewohnten Kosovo ist Serbien einst entstanden, weshalb es für viele Serben emotional so wichtig ist. Präsident Vucic hat einen Kompromiss in der Kosovo-Frage angekündigt. Wie der allerdings aussehen wird, weiß noch niemand.